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Heiße Luft. Das Ausmaß der Plagiate muss erforscht werden, fordern Experten.

© ddp

Immer mehr Verdachtsfälle: Bund soll Plagiatsvorwürfe prüfen

Die Liste der Politiker, die bei ihren Doktorarbeiten des Plagiats überführt oder verdächtigt werden, wird immer länger. SPD-Politikerin Ulla Burchardt regt nun eine stichprobenartige Überprüfung von Dissertationen an.

Guttenberg, Koch-Mehrin, Chatzimarkakis, Althusmann, Mathiopoulos und womöglich auch der sächsische Kultusminister Roland Wöller. Die Liste der Politiker, die bei ihren Doktorarbeiten des Plagiats und des fehlerhaften wissenschaftlichen Arbeitens überführt oder verdächtigt werden, wird immer länger. Die SPD-Politikerin Ulla Burchardt, Vorsitzende des Bildungsausschusses im Bundestag, regt an, in einem Forschungsprojekt sollten Dissertationen „stichprobenartig quer über die Republik und durch die Fachbereiche“ geprüft werden. Das Auffinden von Plagiaten dürfe nicht allein anonymen Internetplattformen wie „Vroniplag“ überlassen werden, wo „Einzelne mit verschiedenen Interessen“ ans Werk gingen, sagte Burchardt dem Tagesspiegel.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) oder das Bundesbildungsministerium (BMBF) sollten Dissertationen systematisch auf Verstöße untersuchen. Nur so könne man das wahre Ausmaß der Plagiate bemessen, sagte Burchardt. Es sei davon auszugehen, dass die „bekannt gewordenen Plagiatsfälle nur die berühmte Spitze des Eisbergs sind“.

Die Ergebnisse einer solchen Studie könnten auch helfen, Schwächen bei der Qualitätssicherung von Promotionen aufzudecken. Womöglich sei eine Ursache die schlechte Betreuungsrelation bei Promotionen, eine Folge der jahrzehntelangen Unterfinanzierung der Unis. BMBF und DFG äußerten sich am Montag auf Anfrage nicht zu dem Vorschlag.

Die Schaffung einer vom BMBF geförderten „Beratungsstelle Plagiat“ habe sie schon Ende Februar vorgeschlagen, sagt Debora Weber-Wulff, Medienprofessorin an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW). „Dort können Maßnahmen und Vorgehensweisen entwickelt und erprobt werden, um Plagiate im Lehrbetrieb aufzudecken, zu ahnden und zu vermeiden“, heißt es in einer Projektskizze. Die HTW-Professorin ist selber eine prominente Plagiatsjägerin und als „Wise Woman“ eine der wenigen bekennenden Beiträger von „Vroniplag“.

Lesen Sie mehr zum jüngsten Verdachtsfall auf Seite 2

Wie häufig Plagiate in der Wissenschaft vorkommen, könne man heute noch nicht sagen. Umfragen des US-Experten Donald McCabe hätten ergeben, dass ein Drittel der Studierenden zugibt, mindestens einmal abgeschrieben zu haben. Das aber lasse keine Rückschlüsse auf die Fälschungsquote bei Dissertationen zu, betont Weber-Wulff. Sie selber habe in ihrer Laufbahn sechs bis sieben Fälschungsversuche in Diplom- und anderen Abschlussarbeiten nachgewiesen, bei rund 250 korrigierten Arbeiten sind das drei Prozent. Um in Zukunft Plagiate in Doktorarbeiten zu verhindern, müssten die Arbeiten nicht nur vom Betreuer und einem Zweitgutachter, sondern auch von einem bezahlten externen Spezialisten „auseinander genommen werden“, fordert Weber-Wulff.

Als jüngster, wenn auch weniger prominenter Verdachtsfall kommt der von Jürgen Goldschmidt hinzu, Bürgermeister der Kleinstadt Forst im Land Brandenburg. Goldschmidt wurde 2009 an der Technischen Universität Berlin mit einer raumplanerischen Arbeit über „Management des Stadtumbaus“ zum Dr. ing. promoviert. Auch ihn nahm „Vroniplag“ jetzt ins Visier. Am Montagnachmittag wollten die Aktivisten der Plattform Plagiate auf 47 der rund 450 Seiten der Dissertation gefunden haben. Insbesondere gebe Goldschmidt „seitenlang Statistiken wieder, oft mit unklarer Quelle oder ganz ohne Nachweis, ohne sie systematisch auszuwerten“, kritisieren die Plagiatsjäger. Sie heben eine Statistik zur Zu- und Abwanderung aus Ostdeutschland hervor, die Goldschmidt der „Superillu“ entnahm. Die Illustrierte sei „zwar kein Fachmagazin für Statistik“, wie es auf der Plattform heißt – habe aber immerhin die korrekte Quelle der Daten (das Statistische Bundesamt) genannt. In der Dissertation finde sich dagegen nur eine „unzureichende Quellenangabe“ und eine „nicht konsistente“ Auswahl der Daten.

TU-Präsident Jörg Steinbach habe bereits den Dekan der Fakultät Planen, Bauen, Umwelt aufgefordert, den Fall zu prüfen, erklärte die Uni am Montag. Eine Beurteilung abgeben solle auch die „Kommission zur Untersuchung wissenschaftlichen Fehlverhaltens“. Ebenfalls eingeholt würden Stellungnahmen des Autors sowie der zwei Gutachter. Erstgutachter Rudolf Schäfer und Zweitgutachter Harald Bodenschatz seien derzeit im Urlaub und stünden für Fragen nicht bereit, hieß es am Montag auf Anfrage an der Fakultät.

Sind Promotionen von Externen, die voll im Berufsleben stehen, ein besonderes Problem? Ulla Burchardt warnte davor, diese Gruppe besonders zu verdächtigen. Wer lebenslanges Lernen fordere, müsse immer den Sprung auf die nächste Qualifikationsstufe ermöglichen. Unis sollten strukturierte Promotionsprogramme „auch für Berufstätige“ anbieten.

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