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Wissen: Immer weiter Richtung Süden

Wettlauf zum Pol: Vor 100 Jahren startete Roald Amundsen zur letzten Etappe durch die Eiswüste – und gewann

„Männer gesucht für gewagte Reise. Wenig Lohn. Bittere Kälte. Lange Monate in kompletter Dunkelheit. Konstante Gefahr. Sichere Rückreise ungewiss. Ehre und Anerkennung im Erfolgsfall.“ So inserierte der Polarforscher Ernest Shackleton 1907 in britischen Zeitungen, um eine Mannschaft für eine Expedition zusammenzustellen zu dem wohl unbarmherzigsten Ziel, das sich auf diesem Planeten findet: die Antarktis.

Für den eisigen Kontinent hatte sich lange Zeit außer Robben- und Walfängern kaum jemand interessiert. Der Wendepunkt kam 1895. Auf einem Geografenkongress in London berichtete Carsten Borchgrevink, er habe das antarktische Festland betreten und sogar Pflanzen dort vorgefunden, unscheinbare Flechten, die dem extremen Klima trotzen. Die Neugier für den einzigen noch nicht erkundeten Kontinent war entfacht. Zugleich drängte sich förmlich das Ziel auf, den geografischen Südpol zu bezwingen. Jedoch kehrten bis 1911 alle Expeditionen unverrichteter Dinge um. Auch Shackletons Expedition musste, nur 180 Kilometer vom Südpol entfernt, wegen eines Unwetters umdrehen.

Der nächste Brite, der dieses Ziel endlich erreichen wollte, war der Marineoffizier Robert Falcon Scott. Bereits 1901 war er mit der „Discovery“ aufgebrochen, den Südpol zu erobern, allerdings scheiterte die Mission wegen schlechter Vorbereitung. Ein neuer Anlauf, so der Plan, sollte der britischen Krone frischen Ruhm bringen. Entsprechend viel Öffentlichkeit fanden die Vorbereitungen. Am 1. Juni 1910 verließ Scotts Forschungsschiff, der ehemalige Robbenfänger „Terra Nova“, London und nahm Kurs nach Süden.

Auch der Norweger Roald Amundsen trachtete nach neuem polaren Triumph. Nachdem er die Nordwestpassage als Erster durchquert hatte, plante er eigentlich den Nordpol zu bezwingen. Doch dann behaupteten sowohl Frederick Cook als auch Robert Peary, sie seien bereits die Ersten dort gewesen. Behauptungen, die sich im Nachhinein als zweifelhaft erwiesen, doch Amundsen disponierte um. Nach außen hin blieb es eine Nordpolexpedition, heimlich und mit größter Präzision bereitete er jedoch eine Reise zum Südpol vor, fest entschlossen, Scott dort zuvorzukommen. Erst als sein Forschungsschiff, die „Fram“, längst auf dem Weg nach Süden war, erfuhren die norwegischen Geldgeber, darunter das Königshaus und das Parlament, und zuletzt auch Scott das wahre Reiseziel Amundsens.

Auch für den Norweger war es die zweite Antarktisreise. Er war bereits 1897 als Erster Offizier auf der „Belgica“-Expedition dabei gewesen. Die Fahrt hätte beinahe in einem Desaster geendet, weil das Schiff nicht auf eine Überwinterung vorbereitet war, aber im Eis eingeschlossen wurde.

Januar 1911. Scott und Amundsen haben die Antarktis erreicht. Wo das Rossmeer in eine riesige Schelfeisplatte übergeht, errichteten sie ihre Basislager: Scott am McMurdo-Sund, Amundsen in der Bucht der Wale (siehe Karte). Die beiden Kontrahenten treffen dort sogar noch einmal persönlich aufeinander.

Noch immer trennten sie mehr als 1300 Kilometer vom Südpol. Bis zum Einbruch des antarktischen Winters errichteten die Expeditionen Vorratslager auf ihren jeweiligen Routen zum Pol. Dann hieß es ausharren, die Düsternis überstehen, wissenschaftliche Daten sammeln, sich vorbereiten – bis das Wetter die beschwerliche Reise zuließ.

Amundsen zog mit seiner Gruppe im September los, musste aber wegen eines extremen Kälteeinbruchs umdrehen. Am 20. Oktober dann der Aufbruch, der sie bis an ihr Ziel bringen sollte. Bei Temperaturen um minus 20 bis 30 Grad begaben er und vier weitere Männer sich auf Skiern und mit Hundeschlitten auf ihre Route. Unterwegs setzten sie ganz auf die Überlebensmethoden der grönländischen Inuit, bauten weitere Vorratsdepots auf, aßen und verfütterten die Hunde, die nicht mehr benötigt wurden. Am 14. Dezember 1911 erreichten sie den unberührten Pol. Nur fünf Wochen später kehrten sie ins Basislager zurück.

Scott und seine Gefährten brachen erst am 1. November auf. Schwer litten sie unter ihrer mangelhaften Ausrüstung. Die sibirischen Ponys waren dem Gelände nicht gewachsen, die Motorschlitten waren untauglich und mussten von den Menschen selbst gezogen werden, und mit den Schlittenhunden wussten die Expeditionsteilnehmer nicht umzugehen. Hinzu kamen Stürme und selbst für antarktische Verhältnisse miese Temperaturen.

Trotzdem erreichten sie am 18. Januar den Pol und mussten feststellen, dass Amundsen ihnen zuvorgekommen war. Die Rückreise endete in einer Katastrophe: Die fünf Männer waren entkräftet, einer nach dem anderen starb, am 29. März machte Scott seinen letzten Tagebucheintrag. Ein Orkan wütete um ihr Zelt, die Vorräte waren verbraucht, dabei trennten sie nur noch 18 Kilometer vom rettenden Depot. Erst Monate später wurden ihre Leichen gefunden.

Mit diesem tragischen Ende des Wettlaufs um den Südpol gerät die wissenschaftliche Arbeit, die ebenfalls Ziel der Expeditionen war, oft ins Hintertreffen. Nicht nur wurden die Gebiete benannt und kartiert, die die Expeditionsgruppen sich hart erkämpften. Während sich die Amundsen-Gruppe dem Südpol zuwandte und eine weitere Gruppe Daten über die Ostküste des Rossmeeres sammelte, kreuzte die „Fram“ im südlichen Atlantik. Unter der Leitung des jungen russischen Ozeanologen Alexander Kutschin entnahmen sie teils aus 1000 Metern Tiefe Wasser- und Planktonproben, maßen Temperaturen und gewannen so umfangreiches Datenmaterial für die Ozeanwissenschaft.

Auf der „Terra Nova“ des britischen Teams reiste ein kompletter wissenschaftlicher Stab an, bestehend aus Geologen, Biologen, einem Physiker und einem Meteorologen. Sie beobachteten Schwertwale, Robben, Pinguine in ihrem natürlichen Lebensraum, untersuchten die Beschaffenheit des Schelfeises und der Gletscher und dokumentierten die klimatischen Verhältnisse in der Antarktis. Der Fotograf Herbert Ponting hielt die eisige Wüste mit ihren Erforschern auf etlichen Glasplatten fest und machte Filmaufnahmen mit einem Cinematographen. Sogar eine Telefonleitung installierten die Briten zwischen ihrem Hauptquartier und einem Außenposten auf der Hut-Point-Halbinsel. Ein Ansatz von Zivilisation in der lebensfeindlichen Einöde.

Auch die Wissenschaftler, die nicht zum Südpol strebten, blieben von den Launen des antarktischen Wetters nicht verschont. So war eine Gruppe gezwungen, statt weniger Wochen den ganzen Winter mit wenigen Vorräten auf einer Insel zuzubringen. Dichtes Packeis hinderte die „Terra Nova“, sie abzuholen und ins Basislager heimzubringen. Die Flüche, die die Männer der Insel entgegengeschleudert haben, gaben ihr den Namen, den sie heute trägt: „Inexpressible Island“, die unaussprechliche Insel.

Eine umfangreiche Darstellung der Geschehnisse findet sich in dem Buch „Scott und Amundsen. Der tödliche Wettlauf zum Pol“ von Peter Laufmann (Frederking & Thaler, München 2011, 144 Seiten, 24 Euro 95).

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