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Immunbiologie: Arzneimittelresistente Tuberkulose nimmt zu

Beobachter meinen, das Problem wurde von den Verantwortlichen unterschätzt.

Einem diese Woche veröffentlichten Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge, nimmt die arzneimittelresistente Tuberkulose in großen Teilen der Welt zu.

Die WHO schätzt, dass von den neun Millionen neuen Tuberkulosefällen jährlich etwa 5 Prozent resistent gegen die Standardtherapie sind: eine sechsmonatige Behandlung mit den Erstrang-Antibiotika Isoniazid und Rifampicin. Osteuropa und Teile Chinas sind von der multiarzneimittelresistenten Tuberkulose (MDR-Tb) besonders betroffen. Baku in Aserbaidschan hält den Rekord mit haarsträubenden 22,3 Prozent MDR-Tb unter allen neuen Tuberkulosefällen.

Zum ersten Mal hat die WHO die Inzidenz der extrem arzneimittelresistenten Tuberkulose (XDR-Tb) untersucht. Die Form der Erkrankung ist gleichfalls resistent gegen die Medikamente, die angewendet werden, wenn die Erstrang-Therapie versagt hat - Arzneimittel wie zum Beispiel Fluoroquinolon. Die geschätzten 40.000 Fälle, die jährlich weltweit auftreten (weniger als 0,5 Prozent von 9 Millionen), sind sehr schwer zu behandeln: die Standardaussage lautet "praktisch nicht behandelbar".

Der Bericht bezog mehr als 90.000 Patienten mit Tuberkulose in 81 Ländern ein, das sind mehr Daten als in vorangegangenen Berichten, trotzdem sind einige Gegenden, insbesondere Afrika, nur punktuell erfasst.

Offizielle der WHO rufen dazu auf, mehr in die Bekämpfung der arzneimittelresistenten Formen der Tuberkulose zu investieren. "Wenn wir das Problem nicht direkt angehen, werden wir in weiten Teilen der Welt keinen Erfolg haben; und wir lassen zu, dass sich MDR-Tb und XDR-Tb unkontrolliert ausbreiten", sagt Mario Raviglione, Direktor der WHO-Abteilung Stop Tuberkulose.

Trotz der Zunahme der arzneimittelresistenten Tuberkulose weltweit, gibt es auch Hoffnungsschimmer, fügt Raviglione hinzu. In den baltischen Staaten, die vor zehn Jahren einer der Hotspots der resistenten Tuberkulose waren, ist die MDR-Tb rückläufig. "Wenn man investiert und sich bemüht, ist es möglich, mit der MDR-Tb fertig zu werden und sie einzudämmen." Doch noch immer wird mehr Geld benötigt, sagt er.

Unterschätzt

Tuberkulose wird normalerweise mit einer Kombination von Medikamenten behandelt, so dass ein Stamm, der immun gegen eins der Medikamente ist, durch das andere abgetötet wird. Unvollständige Therapieregimes und die Verwendung ungeeigneter Medikamente haben jedoch arzneimittelresistente Stämme hervorgebracht.

Einer kürzlich veröffentlichten Studie von Willem Sturm, Mikrobiologe an der University of KwaZulu-Natal in Südafrika, zufolge hätte der verheerende Ausbruch der XDR-Tb 2005 unter HIV-positiven Personen verhindert werden können, wenn mehr in Überwachungsprogramme investiert worden wäre, um zu ermitteln, welche Stämme Resistenzen gegen welche Arzneimittel entwickeln ( siehe Evolution eines Killers).

In der Vergangenheit wurde die WHO dafür kritisiert, Arzneimittelresistenzen nicht genug Beachtung zu schenken. "Ich denke, die WHO hat die Auswirkungen der arzneimittelresistenten Tuberkulose eine ganze Zeit lang unterschätzt", sagt Jim Kim, Leiter der Abteilung Social Medicine and Health Inequalities am Brigham and Women's Hospital in Boston, Massachusetts. In den 1990ern, so Kim, "gab es Leute bei der WHO, die meinten, es würden nie mehr als 1 Prozent, es würde nie ein Problem werden". Kim und Wissenschaftler der Organisation "Partners in Health" argumentierten dagegen, sagt er. "Ich denke, heute sind wir alle einer Meinung."

Partners in Health gab gestern bekannt, dass sie 4 Millionen US-Dollar Unterstützung von Eli Lilly, einem Pharmaunternehmen in Indianapolis, erhalten, um Mitarbeiter des Gesundheitswesens in zehn Staaten der ehemaligen Sowjetunion im Umgang mit MDR-Tb zu schulen. Diese Länder wurden zu Hotspots der arzneimittelresistenten Tuberkulose, zum einen aus Mangel an Medikamenten, als das kommunistische System zusammenbrach, zum anderen aufgrund hoher Insassenzahlen in den Gefängnissen, die zu Brutplätzen für Bakterien wurden.

Dieser Artikel wurde erstmals am 27.2.2008 bei news@nature.com veröffentlicht. doi: 10.1038/news.2008.627. Übersetzung: Sonja Hinte. © 2007, Macmillan Publishers Ltd

Emma Marris

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