zum Hauptinhalt

Immunbiologie: Evolution eines Killers

Hätte eine bessere Überwachung den tödlichen Ausbruch der Tuberkulose verhindern können?

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass das Versäumnis, Patienten mit Tuberkulose auf einen arzneimittelresistenten Stamm zu testen, das Aufkommen der tödlichen Antibiotika-resistenten Variante befördert haben könnte. Die Arbeit deutet darauf hin, dass, wenn in den letzten zehn Jahren bessere Tuberkulose-Überwachungsprogramme in den Entwicklungsländern durchgeführt worden wären, die Antibiotikabehandlung besser auf die Patienten hätte zugeschnitten werden können und das Aufkommen der extrem arzneimittelresistenten Tuberkulose (XDR-Tb) hätte hinausgezögert werden können. "Die entscheidende Botschaft an alle Public-Health-Programme überall in der Welt lautet, dass man Infektionskrankheiten nicht ohne Überwachungsprogramme kontrollieren kann", sagt Willem Sturm, Arzt und Mikrobiologe an der University of KwaZulu-Natal in Südafrika und einer der Autoren der Studie.

XDR-Tb ist ein tödlicher Abkömmling der multiarzneimittelresistenten Stämme der Tuberkulose, der in den 1990ern aufkam. Während multiarzneimittelresistente Stämme resistent gegen die beiden traditionellen Erstrang-Antibiotika sind, ist XDR-Tb resistent sowohl gegen diese beiden Antibiotika als auch gegen mindestens drei der sechs Zweitrang-Medikamente. Die resultierende Infektion ist extrem schwer zu behandeln.

XRD-Tb wurde zuerst bei Patienten mit HIV 2005 in KwaZulu-Natal beobachtet. Seitdem hat sich der Stamm weltweit ausgebreitet, bei Patienten mit HIV und ohne. Man geht mittlerweile davon aus, dass es sich bei nahezu 10 Prozent der Fälle von multiarzneimittelresistenter Tb um XDR-Tb handelt (1). Voraussagen anhand von Modellen besagen, dass ohne verbesserte Kontrollen eine unkontrollierbare Epidemie droht (2).

"HIV und Tb werden - nicht nur in Afrika, sondern auch in Teilen Indiens und Chinas - so viele Todesfälle verursachen, dass es das Gesicht der jeweiligen Gesellschaft verändern wird", sagt Michael Iseman, Arzt an der University of Colorado School of Medicine in Denver, der nicht an der Studie beteiligt war.

Cocktail

Mediziner versuchten das Aufkommen multiarzneimittelresistenter Tuberkulose zu unterdrücken, indem sie Patienten mit mehreren Antibiotika gleichzeitig behandelten. Es wird angenommen, dass die Gabe verschiedener Medikamente die Entwicklung resistenter Stämme drastisch verlangsamt, da die simultane Entwicklung von Resistenzen gegen mehr als ein Medikament als sehr selten erachtet wird. Dies funktioniert jedoch nur, wenn die infrage kommende Infektion gegen mehrere Medikamente in diesem Cocktail empfindlich ist.

Nun hat eine Untersuchung zur Arzneimittelresistenz in Tuberkulosekulturen, die von infizierten Patienten in den Jahren 1994 bis 2005 genommen wurden, gezeigt, dass Stämme, die vor mehr als einem Jahrzehnt in der Gegend um KwaZulu-Natal aufgetaucht sind, bereits resistent gegen diverse Arzneimittel waren, die zur Behandlung der Krankheit eingesetzt wurden (3). "Die Menschen wurden mit vier Medikamenten behandelt, aber zwei bis drei wirkten nicht mehr, da der Erreger bereits resistent war", erklärt Sturm.

Wäre südafrikanischen Offiziellen dies bekannt gewesen, hätten sie die Behandlung ändern und den betroffenen Patienten einen Cocktail aus vier Medikamenten geben können, die gegen den dominanten Stamm wirkten, sagt Sturm. Stattdessen behandelten sie die Tuberkulose mit einem einzigen Medikament, gegen das die dort herrschende Tuberkulose ebenfalls resistent wurde, wodurch sich XDR-Tb entwickelte.

Labortests

Viele Entwicklungsländer können es sich nicht leisten, routinemäßig Tuberkulosekulturen zu testen, und die Diagnose basiert häufig allein auf der mikroskopischen Untersuchung von Sputum der Patienten. "Sie haben keine Großlabore", sagt Iseman. "Wenn der Abstrich positiv ist, wird der Patient behandelt."

Südafrika verfügt über genügend Geld und die entsprechenden Labore, sagt Sturm. "In Südafrika war es keine Frage der Ressourcen. Es war eine Frage der Prioritäten."

Als er für die Laborleistungen für KwaZulu-Natal in den frühen 1990ern verantwortlich war, so Sturm, richtete er ein Überwachungsprogramm in zwei Regionen der Provinz ein. Dieses Programm wurde jedoch 1995 gestoppt, sagt er. "Es wurde als Geldverschwendung angesehen", so Sturm. "Seitdem haben wir unsere Patienten gewissermaßen blind behandelt."

Mit dem Aufkommen von XDR-Tb müssen Ärzte in KwaZulu-Natal nun Arzneimittelempfindlichkeitstest bei ihren Patienten durchführen. "Daher stehen wir finanziell heute schlechter da, als wenn wir das Überwachungsprogramm 1995 etabliert hätten", sagt Sturm.

Die Ergebnisse haben Auswirkungen auf alle Programme zu Infektionskrankheiten, von Malaria bis HIV, so Sturm. "Das Wichtigste ist, dass wir lernen müssen, dass Überwachungsprogramme Priorität haben sollten."

(1) Shah, N. S. et al. Emerg. Infect. Dis. 13, 380-387 (2007). (2) Blower, S. & Supervie, V. Lancet Infect. Dis. 7, 443 (2007). (3) Pillay, M. & Sturm, A. W. Clin. Infect. Dis. 45, 1409-1414 (2007).

Dieser Artikel wurde erstmals am 28.11.2007 bei news@nature.com veröffentlicht. doi: 10.1038/news.2007.306. Übersetzung: Sonja Hinte. © 2007, Macmillan Publishers Ltd

Heidi Ledford

Zur Startseite