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Mehrfachschutz. Der Impfstoff gegen die saisonale Grippe feit gegen drei Influenzaviren.

© dpa

Influenza: Schweinegrippe, zum Zweiten

Zwei Menschen, die sich mit der Grippe infiziert hatten, sind in Göttingen gestorben. Klar ist: Die Grippewelle kommt. Worauf wir uns gefasst machen müssen.

Jetzt fängt sie wieder an, die Zeit der Prognosen und Vermutungen, der Warnungen und Entwarnungen: Die Grippesaison ist da. Zwei Menschen, die sich mit der Grippe infiziert hatten, sind in Göttingen gestorben. Vorher meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) einen weiteren Todesfall. In England gibt es bereits 39 Influenzatote. Schon berichtet die Boulevardpresse über junge Frauen, die um ihr Leben kämpfen, während andere erklären, die Grippe sei ungefährlich.

Dabei ist nur eines klar: „Die Grippe“ gibt es nicht. Der eine fühlt sich einen Tag lang unwohl, und das war es. Anderen ergeht es wie einer 21 Jahre alten schwangeren Frau im Landkreis Stendal, die im Dezember 2009 mit Influenza ins Krankenhaus kam. Zunächst litt sie nur unter Husten und Fieber, aber ihr Zustand verschlechterte sich. Sie litt unter Atemnot, ihre Zehen und Finger färbten sich blau, sie kam auf die Intensivstation, musste künstlich beatmet werden. Für das Baby kam der Kaiserschnitt zu spät. 24 Tage lang musste die junge Frau künstlich beatmet werden, dann besserte sich ihr Zustand langsam. Erst im Februar 2010 konnte sie in ein Rehabilitationszentrum verlegt werden.

Eine pauschale Aussage über die Grippe zu treffen ist ungefähr so sinnvoll, wie zu sagen, alle Menschen seien friedliebend oder gewalttätig. Friedlich/brutal, harmlos/lebensgefährlich, die Wahrheit muss nicht immer in der Mitte liegen, sie kann sich auch auf zwei Extreme aufteilen. Wohin das Pendel im Einzelfall schwingt, ist kaum zu prognostizieren. Ob ein Mensch raucht oder schwanger ist, ob er bereits früher mit bestimmten Grippeviren in Kontakt gekommen ist oder an anderen Krankheiten leidet, wie sein Immunsystem genetisch aufgebaut ist und wie viel Sport er treibt, all das entscheidet mit darüber, ob ein Mensch sich überhaupt ansteckt und wie die Krankheit bei ihm verläuft.

Hinzu kommt, dass auch das Virus selbst in ganz unterschiedlichen Formen vorkommt. Es gibt Influenza A und B. Und die Eiweiße Hämagglutinin und Neuraminidase auf der Oberfläche des Virus verändern sich ständig und bringen so immer neue Viren hervor. Ob so ein neuer Virusstamm dann besonders gefährlich ist oder nicht, ist kaum abzuschätzen. Und selbst wenn erste Hinweise vorliegen, kann sich das Virus jederzeit erneut ändern – und ein harmloses Virus zum Killer mutieren.

Das macht auch Prognosen für ganze Regionen oder Länder äußerst schwierig. Das RKI rechnet zwar mit bis zu 15 000 Toten durch eine „normale“ saisonale Grippe in Deutschland. Aber diese Zahl schwankt von Jahr zu Jahr beträchtlich. So schätzt das RKI für die Saison 2004/05 12 000 bis 16 000 Tote, für 2000/01 aber nur 0 bis 81.

Mit dem Auftreten des „mutierten“ Schweinegrippevirus H1N1 gab es im vergangenen Jahr gute Gründe, mit einer heftigeren Welle als sonst zu rechnen. Inzwischen sieht es aber so aus, als sei es eine der harmloseren Grippewellen gewesen. Noch hat das Statistische Bundesamt die entsprechenden Zahlen für die Grippesaison 2009/10, die sogenannte „Übersterblichkeit“ nicht veröffentlicht. Doch selbst das RKI sieht es inzwischen als fraglich an, „ob eine Übersterblichkeit erkennbar sein wird“.

Was lässt sich also über die Grippewelle, die nun heranrollt, überhaupt sagen? Zuallererst einmal, dass sie tatsächlich kommt. In Deutschland schicken etwa 150 Arztpraxen dem Nationalen Referenzzentrum für Influenza Rachenabstriche von Patienten mit Influenzasymptomen. Bis Anfang Dezember enthielt kaum eine der Proben tatsächlich Influenzaviren. Dann schnellten die Zahlen in die Höhe. Vorläufige Daten zeigen, dass Ende des Jahres annähernd jeder zweite Rachenabstrich tatsächlich Grippeviren enthielt. „Diese Positivrate ist ein Wert, der sehr früh ansteigt“, sagt Walter Haas vom RKI. „Dann steht der Beginn der Grippewelle bevor.“

Auch 2011 wird H1N1 dabei eine wichtige Rolle spielen. In der zu Ende gegangenen Grippesaison der Südhalbkugel war es wieder das häufigste Virus. Im Gegensatz zum vergangenen Jahr finden sich daneben aber auch Viren vom Typ H3N2 und Influenza B. Diese drei Virustypen sind auch im diesjährigen saisonalen Impfstoff enthalten. „Der Impfstoff sollte also in diesem Winter gegen die wichtigsten zirkulierenden Viren einen guten Impfschutz bieten“, sagt Ole Wichmann vom RKI. Weil der pandemische Impfstoff im vergangenen Jahr nur auf das Virus H1N1 zugeschnitten war, profitieren auch Menschen von einer Impfung, die sich bereits im vergangenen Jahr gegen die Schweinegrippe impfen ließen.

Wie gut der Schutz wirklich ist, hängt auch vom Alter ab. Selbst bei jungen Erwachsenen ist der Erfolg nicht hundertprozentig sicher. Jenseits der 65 lässt der Impfschutz dann schnell nach, das alte Immunsystem ist träger und reagiert auf die Impfung nicht immer sofort. Darum ist für Menschen über 65 ein Impfstoff mit einem Wirkverstärker zugelassen. Die ständige Impfkommission empfiehlt Impfungen für Menschen mit Vorerkrankungen und ältere Menschen und erstmals auch für Schwangere.

Die schwierigste Frage ist aber: Wie wird diese Grippesaison verlaufen? Einerseits ist das Virus nicht mehr neu, manche Menschen sind geimpft oder haben das Virus bereits gehabt. Andererseits gibt es noch viele Personen, die nicht geschützt sind. „Außerdem steigt mit der Zahl der geschützten Personen, der Druck auf das Virus, sich zu verändern“, sagt Haas. „Bisher haben wir insbesondere bei den Angriffspunkten des Impfstoffes keine Veränderungen gesehen, aber das heißt nicht, dass das nicht passieren kann.“ Wie das Virus sich dann verändern wird, kann niemand vorhersagen. So gibt es auch für die saisonale Grippe Beispiele, bei denen die zweite Welle sehr viel stärker ausfiel als die erste. „Es ist noch zu früh, um zu sagen, dass das Virus ein ganz normaler saisonaler Erreger ist“, sagt Haas. So ist bei der Grippe ersteinmal nur mit einem fest zu rechenen: Dass sie unberechenbar bleibt.

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