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Vorbild zum Nachbauen. Das Erbgut von Lebewesen zusammensetzen wie aus Legosteinen, das ist die Vision der Biologie.

© Science Photo Library

Ingenieure des Lebens (1): Weltausstellung für Leben vom Reißbrett

Leuchtende Bäume, lebende Sensoren und Darmbakterien als Auftragskiller: Wie Biologen das Leben programmieren wollen.

Die moderne Biotechnik ist im Begriff, das Leben neu zu definieren. Schon jetzt erlaubt sie es, Lebewesen radikal zu verändern. Der Tagesspiegel widmet sich deshalb in einer fünfteiligen Serie der „Synthetischen Biologie“, ihren Chancen und Risiken – und den Forschern, die das Feld vorantreiben, den „Ingenieuren des Lebens“.

Die letzten rot-gelb-goldenen Farbflecke klammern sich in Boston an die Novemberäste. Vor vielen Häusern wachen noch die Kürbisfratzen von Halloween, wie Türsteher, denen niemand gesagt hat, dass die Party vorbei ist. Und auf dem Campus des Massachusetts Institute of Technology (MIT) treffen sich 1300 Studenten, die den Sommer über mit den Bausteinen des Lebens Lego gespielt haben.

Sie sind die Jüngsten im jungen Feld der Synthetischen Biologie. Der Begriff bezeichnet weniger ein eigenes Forschungsfeld als eine Herangehensweise, die Chemiker, Physiker, Biologen und Informatiker zusammenführt. Im Kern vereint die Wissenschaftler eine Idee: Sie wollen die Biologie zur Ingenieurswissenschaft des Lebens machen. Sie wollen in das Erbgut von Zellen eingreifen, Schaltkreise aus Genen aufbauen, neue Eiweiße produzieren, Lebewesen programmieren.

Christopher Voigt zum Beispiel. Sein Büro an der Universität von Kalifornien in San Francisco sieht aus, als sei eine Flutwelle aus Papier in das kleine Zimmer geschwappt, überall liegen Ausdrucke wissenschaftlicher Veröffentlichungen, quellen aus Schubladen, stapeln sich auf dem Boden. „Bisher haben Forscher vor allem einzelne Gene in Lebewesen eingefügt, aber jetzt können wir ganze Schaltkreise einfügen“, sagt Voigt. Die dunklen Haare hängen dem jungen Mann fast bis in die Augen. Voigt trägt alte Turnschuhe, eine blaue Jogginghose und ein T-Shirt mit einer Banane darauf. Unter der Frucht steht: „Mehr als 15 Prozent der menschlichen Gene stimmen mit denen der Banane überein. Nimm dich nicht so wichtig.“ Gene sind für Voigt nur Wörter, entscheidend ist nicht, wo sie ursprünglich herkommen, sondern was man mit ihnen schreibt. „Im Moment versuchen wir eine Sprache zu erschaffen, mit der wir Zellen programmieren können wie Roboter oder Computer.“

Voigt kommt aus der Informatik und denkt auch in ihren Begriffen: Schalter, Oszillatoren, Input und Output. Er möchte Gene so zusammenfügen, dass die Zelle auf bestimmte Situationen immer gleich reagiert. Es ist dieser Ansatz, dieser unbedingte Wille, die Komplexität des Lebens beherrschbar zu machen, der alle Forscher im Feld der Synthetischen Biologie vereint und sie zu Propheten einer neuen Art der Biologie gemacht hat. Leben ist machbar, lautet ihre Devise. Und ihre eifrigsten Jünger sind die Studenten, die jeden November zum internationalen Wettbewerb genetisch veränderter Maschinen (IGEM) nach Boston pilgern.

Aus kleinen, standardisierten Genabschnitten, „Bioziegelsteinen“, haben die Teilnehmer in den Sommermonaten Lebewesen zusammengesetzt, die neue Funktionen haben. Auch 2010 sind die Studenten von zahlreichen Unis angereist, aus Paris und Peking, Bielefeld und Bangalore. In den Vorlesungsräumen am MIT präsentieren sie Bakterien, die Arsen aufspüren oder Öl auffressen, dauerhaft leuchten oder Krebs bekämpfen. Hier lässt sich studieren, was die synthetische Biologie in ihrem radikalsten Entwurf leisten will – und warum sie damit noch häufig scheitert.

Die Universität Bielefeld etwa war angetreten, einen lebenden Schärfemesser zu züchten. Der Plan: Ein Sensor-Molekül des Bakteriums Agrobacterium tumefaciens so zu verändern, dass es durch den Schärfestoff Capsaicin angeregt wird und das Gen für dieses Eiweiß dann gemeinsam mit einem Gen des Leuchtkäfers in das Bakterium Escherichia coli einzuschleusen. Das Ziel: Ein Bakterium. das je nach Schärfe des Essens stärker oder schwächer leuchtet. Sollte das funktionieren, dann könnten mit dem Ansatz auch Giftstoffe oder Allergie auslösende Stoffe detektiert werden. So weit ist das Team aber nicht gekommen. Es gelang den Studenten weder, das Sensormolekül wie gewünscht zu verändern, noch Bakterien zu züchten, deren Lichtsignal mit dem bloßen Auge erkennbar ist.

Den meisten Teams geht es ähnlich. Die Vorträge, mit hervorragenden Animationen versehen und routiniert gehalten, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele der großen Pläne nur als Pixel einer Powerpoint-Präsentation existieren. Die Zeit ist schlicht zu kurz. „Selbst ein Jahr wäre zu kurz, um viele dieser Projekte fertigzustellen“, sagt Jeff Hasty, der an der Universität San Diego forscht.

Bei aller Legometaphorik: Die synthetische Biologie ist kein Kinderspiel. Im Gegensatz zu Bauklötzen kann man auch riesige Abschnitte des Erbguts nicht sehen. Wer experimentiert, der pipettiert meist eine klare Flüssigkeit zu einer anderen, schüttelt, erhitzt, züchtet Zellen, verändert Viren. Und am Ende stellt er meistens fest, dass irgendetwas nicht funktioniert hat.

Es geht eben nicht um Bauklötze, die aufeinandergesetzt werden, sondern um Leben und das ist kompliziert. „Wir können immer noch nicht genau vorhersagen, was passiert, wenn wir verschiedene Gene zusammensetzen. Das ist die größte Herausforderung der synthetischen Biologie“, sagt Ron Weiss, Forscher am MIT. Ein fremdes Gen in ein Bakterium einzuschleusen kann zahlreiche unerwünschte Effekte haben: Das Gen kann verändern, wie stark andere wichtige Gene in der Nähe abgelesen werden, es kann selbst von anderen Genen beeinflusst werden und es kann zu stark oder zu schwach abgelesen werden. Die Zellen sterben dann, teilen sich nur spärlich oder verhalten sich einfach nicht so, wie vorgesehen.

Voigt erinnert sich an einen simplen Schaltkreis, den er von einem Bacillus-Bakterium in ein E.coli-Bakterium heben wollte. „Die Zellen sind plötzlich völlig durchgedreht.“ Der Grund: Ein Eiweiß in dem Schaltkreis ähnelte einem Eiweiß, das an der Regulation jedes fünften Gens in E.coli beteiligt ist. „Im Gegensatz zu einem Computerchip kann in einer Zelle eben alles mit allem reagieren“, sagt Voigt. Darum sind größere Schaltkreise äußerst schwierig zu bauen. Nachdem 2000 die ersten Schaltkreise veröffentlicht wurden, sei es erst einmal ein paar Jahre ruhig geworden, sagt Ron Weiss. „Forscher haben an der zweiten Generation von Schaltkreisen gearbeitet.“ Zwischen 2003 und 2006 seien dann komplexere Schaltkreise gelungen. „Seither hat sich die Komplexität, die wir erreichen können, aber nicht erhöht“, sagt Weiss.

Am Vorabend des IGEM-Wettbewerbs steht Drew Endy, einer der Vordenker der synthetischen Biologie, in einem Hörsaal in Boston. „Biologie ist die Technologie des 21. Jahrhunderts“, sagt er. Bei dem Wort „die“ hält er kurz inne und blickt um sich. Jeder soll verstehen, dass er nicht eine Technologie meint, sondern die Technologie. Aber das 21. Jahrhundert hat gerade erst begonnen und was bisher wirklich möglich ist, wie viel von der Komplexität beherrschbar ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. „Es ist sehr verlockend zu sagen, wir werden diese Lebewesen nach Ingenieursregeln synthetisieren. Aber wir müssen das in lebenden Zellen zum Laufen bringen und das ist eine Menge Arbeit“, sagt Hasty. „Ich komme aus der Physik und ein Großteil des Faches beschäftigt sich damit, wie aus wenigen einfachen Dingen eine ungeheure Komplexität entstehen kann.“

Hasty weiß, wovon er spricht. Mit nur drei Genen hat er aus einer Bakterienkultur eine synchron blinkende Uhr gemacht. Das Ganze ist ein Musterbeispiel für das komplexe Zusammenspiel weniger Gene. Ein Molekül namens AHL aktiviert in den veränderten Zellen drei verschiedene Dinge: Erstens kurbelt es die Herstellung von weiterem AHL an, eine Spirale, die zu immer mehr AHL führen würde. Zweitens sorgt es dafür, dass ein Enzym gebildet wird, dass AHL abbaut. Je mehr AHL es gibt, umso stärker wirkt diese negative Rückkopplung. Die beiden entgegengesetzten Mechanismen führen zu einem wellenförmigen Ansteigen und Abfallen der Menge an AHL in der Zelle. AHL aktiviert aber auch ein fluoreszierendes Protein und weil es zwischen den Zellen ausgetauscht wird, entstehen Wellen von Fluoreszenz, die die gesamte Bakterienkultur erfassen. In der Zeitrafferausnahme sehen die Zellen aus wie ein Regen blauer Fluoreszenz. Der Schweizer Biologe Martin Fussenegger vergleicht Hastys Leistung damit, alle Ampeln der Welt gleichzeitig leuchten zu lassen.

Hasty geht es aber nicht um ein Leuchtspektakel. Er hofft, dass derartige Zellen eines Tages als Biosensor eingesetzt werden können, indem sie zum Beispiel mit einem Molekül kombiniert werden, das Arsen detektiert. „Je mehr Arsen im Wasser ist, umso schneller blinken die Zellen dann und wenn kein Arsen im Wasser ist, blinken sie gar nicht.“

Dasselbe könnten die Zellen hoffentlich auch mit Krankheitserregern machen, sagt Hasty. „Wenn Sie so etwas in der Dritten Welt haben und Sie tun nur ein paar Tropfen Wasser darauf und das zeigt Ihnen, was im Wasser ist, das wäre riesig.“ Bisher blinken die Zellen aber nur. „Das alleine hat mehr als vier Jahre Arbeit gekostet“, sagt der Forscher.

So viel Zeit haben die IGEM-Teilnehmer nicht und darum geht es bei den Wettbewerbern in Boston mindestens so sehr um ehrgeizige Ziele wie Ergebnisse, um Ideen, nicht Daten. Aber Ideen haben eine ungeheure Macht über Menschen. Und dass die meisten Fantasien, die hier präsentiert werden, bald umgesetzt werden können, daran zweifelt niemand, am wenigsten die Studenten.

Morgan Paull vom IGEM-Team der Universität Harvard steht in einer grünen Joggingjacke vor einem Poster seiner Arbeit. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass es das hier tatsächlich gibt“, sagt er. Vor wenigen Minuten stand er mit seinen Mitstreitern des Harvard-Teams noch am Pult eines Auditoriums, und präsentierte einen ganzen Experimentierkasten, werbewirksam iGarden genannt. Er soll es Laien ermöglichen, Pflanzen zu züchten, deren Blüten bestimmte Farben haben und die bestimmte Geschmacksstoffe beinhalten. Das ganze Team trug grüne Joggingjacken. Corporate Identity wird bei IGEM groß geschrieben.

Vor einem Jahr studierte Paull an der Elite-Uni noch Politik und Wirtschaft. „Dann habe ich in der New York Times einen langen Artikel über IGEM gelesen und dann wusste ich, das möchte ich machen“, erzählt er. Paull wechselte zur Biologie und meldete sich im Frühjahr gleich für das IGEM-Team an. Was ihn fasziniert habe, sei der Gedanke, die Regeln elektrischer Ingenieurkunst auf Lebewesen anzuwenden, sagt er. Er sei zu spät geboren, um an den Anfängen der Chemierevolution oder der Computerrevolution mitzuarbeiten. „Aber diese Welle ist noch nicht gebrochen. Die Biologie ist so ungeheuer mächtig und ich könnte zur ersten Gruppe von Forschern gehören, die sie wirklich als Technologie nutzen.“

IGEM ist vieles, vor allem aber eine Werbeveranstaltung für die synthetische Biologie, eine Ideenschmiede für Leben vom Reißbrett: Leuchtende Bäume als Straßenlampenersatz, Darmbakterien, die Cholerabakterien verjagen, Mikroben, die den Mars bewohnbar machen. Was hier diskutiert und präsentiert wird, das ist nicht morgen in allen Labors und Läden. Aber es umreißt, was mit mehr Zeit, mehr Geld, mehr Anstrengung vielleicht machbar ist. Im Guten und im Schlechten. Nicht umsonst trifft man hier ebenso Experten von Unternehmensberatungen wie von FBI und UNO. Der IGEM-Wettbewerb zeigt eine Welt von morgen und die wichtigsten Lebewesen, die hier gezüchtet werden, sind nicht genveränderte Bakterien sondern motivierte Forscher, die diese Welt möglich machen wollen.

In der nächsten Folge widmen wir uns dem Versuch, den genetischen Code zu verändern.

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