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„Männer der Tat“. Deutsche Ingenieure (hier ein Wissenschaftler bei einer 3-D-Simulation) suchten im 19. Jahrhundert nach dem passenden Image für ihre noch junge Disziplin.

© dpa

Ingenieure: Maschine sucht Mann

Der deutsche Ingenieur ist weltberühmt. Doch lange rang er um Status – und erfand sich mehrfach neu.

Deutschland und Spitzentechnik – das gehört zusammen. Seit 150 Jahren wird „Made in Germany“ mit „Qualität“ übersetzt. Keine Frage: Der deutsche Ingenieur kann sich weltweit in hohem Ansehen sonnen. Das war allerdings nicht immer so. Mochten die Ingenieure auch noch so gute Maschinen ersinnen, in den Augen der deutschen Hochschulen galten sie lange keineswegs als Wissenschaftler, sondern als Handwerker. Jahrzehntelang kämpfte der Beruf in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts um akademische Anerkennung. Erst im Jahr 1899 schafften die Ingenieure den Durchbruch. Preußen berechtigte seine Hochschulen, die akademischen Grade „Dipl.-Ing.“ und „Dr.-Ing.“ zu verleihen. Andere deutsche Staaten folgten bald.

Wie wurden die Ingenieur-Handwerker zu Ingenieur-Wissenschaftlern? Die politische Entscheidung Preußens war zwar wegweisend. Doch ihr ging ein langwieriger Prozess voraus, in dem die Ingenieure um Akzeptanz als Wissenschaftler rangen: Sie bemühten sich darum, das Handwerker-Image abzustreifen und ihr Berufsbild neu zu entwerfen.

Was einen „richtigen“ Ingenieur ausmacht, ist dabei unter den Ingenieuren selbst durchaus umstritten, wie die Techniksoziologin Tanja Paulitz von der Universität Graz in ihrer Habilitationsschrift erforscht hat. Anhand ingenieurwissenschaftlicher Lehrbücher und Fachzeitschriften aus den Jahren zwischen 1850 und 1930 kann Paulitz zeigen, dass die Identität der heute weltweit angesehenen deutschen Ingenieure lange „brüchig“ und „variabel“ war. Zwar konnten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die nicht-akademischen Ausbildungseinrichtungen der Ingenieure zu „Technischen Hochschulen“ entwickeln, an denen Professoren lehrten. Diese Hochschulen waren jedoch noch nicht mit den Wissenschaften an den Universitäten gleichgestellt. So suchten die Ingenieure im Prozess ihrer Selbst(er)findung den Anschluss an bereits etablierte prestigeträchtige Berufsbilder ihrer Zeit. Und sie bemühten sich um Abgrenzung von Berufen, die weniger soziale Anerkennung versprachen.

Da hinter jedem dieser Berufsbilder stets auch unterschiedliche Konzepte von „Männlichkeit“ standen, kann Paulitz die Debatten in den Fachzeitschriften über den „richtigen“ Ingenieur auch als Ringen um die „richtige“ Männlichkeit lesen: Die Fachzeitschriften sind dann der „diskursive Kampfplatz“, auf dem die Ingenieure den Anschluss an solche Männlichkeitsentwürfe suchen, die in ihrer Zeit prestigeträchtig scheinen und die ihnen eine hegemoniale Position in der Welt der Männer versprechen.

Prestigegewinne waren mit dem Image des „Handwerkers“ in der akademischen Welt nicht mehr zu erzielen. So versuchen die Fachvertreter vor allem des Maschinenbaus zunächst, ihre Disziplin von jenen Eigenschaften zu trennen, die im Allgemeinen dem Handwerker zugerechnet werden: Sie legen nunmehr Wert darauf, dass „Gefühl“ und „Intuition“ nicht zum Ingenieur gehören, wie Paulitz in der Fachliteratur ab 1850 immer wieder nachweisen kann. So monierte der Karlsruher Maschinenbauprofessor Ferdinand Redtenbacher 1855 an den Ingenieuren im Lokomotivbau, sie würden entweder bereits Vorhandenes „copiren“, oder sie überließen „sich ihrem Gefühle und folgen ihren eigenen Anschauungen und Erfahrungen“, anstatt exakte Berechnungen anzustellen.

Der moderne Ingenieur denkt systematisch - lesen Sie mehr auf Seite 2.

Die Entwicklung von Maschinen wird nun ausdrücklich nicht mehr „als Tüfteln“ verstanden, wie es eine ganze Erfindergeneration noch in der frühen Industrialisierung praktiziert hatte. Stattdessen heben die Ingenieure in ihren Schriften hervor, dass die besondere Leistungskraft des Ingenieurs gerade im systematischen Denken und in der Durchdringung der Sache liegt: Der „Maschinenwissenschaftler“ arbeitet „zielgerichtet und planvoll auf Basis eines klar klassifizierten Bestandes an Maschinenelementen“, wie Paulitz erklärt. Verstand geht über Gefühl, Kopfarbeit über Handarbeit. Auch mit Schmutz und Schweiß des Handwerks wollen die Ingenieure nichts mehr zu tun haben. Sie suchen Anschluss an die Figur des rationalen Wissenschaftlers, einer Leitfigur der europäischen bürgerlichen Moderne. Dieser Typ Mann verkörpert den nüchternen Verstand, der ihn in die Lage versetzt, sich als Beobachter über seine soziale Situierung (über sein Geschlecht, seine Klasse) zu erheben. Im Rückgriff auf dieses Modell inszeniert sich nun auch der „Maschinenwissenschaftler“ als „objektive Instanz“.

Doch etwa um 1880 beginnen Professoren technischer Hochschulen, dieses Leitbild infrage zu stellen, wie Paulitz zeigt. „Wissen“ alleine genügt nicht, sondern in der Industrie ist vor allem „Können“ gefragt, heben die Ingenieurwissenschaftler jetzt hervor. Damit grenzen sie sich von den bildungsbürgerlichen Eliten ab, um deren Anerkennung ihre Fachkollegen in den Jahrzehnten davor (vergeblich) gekämpft hatten.

Alois Riedler, der einflussreiche Rektor der TH Berlin-Charlottenburg, erklärt den „Praktiker“ 1896 sogar zum „Ehrentitel“. Er gebühre nur „Männern, die über die Theorie hinausgekommen sind“ im Unterschied zu den „unfruchtbaren Wissenskrämern“ der etablierten Wissenschaften. „Fruchtbarkeit“, „Kraft“ und „Lebendigkeit“ erscheinen nun als die passenden Insignien des neuen Ingenieurbildes. Nicht mehr nur Geisteskraft, sondern zumal Zeugungskraft und eine angeborene Begabung machen den Ingenieur zum Ingenieur.

Damit kehren die Ingenieure keineswegs zum alten Handwerksideal zurück, wie Paulitz erklärt. Vielmehr verbinden sie ihre Arbeit nun mit der Kunst: zur „Ingenieurskunst“. Zum erfinderischen Genie werde man geboren, ist nun zu lesen. Der Ausbildung zum Ingenieur wird lediglich die Aufgabe zugewiesen, der „Natur“ dieser „Männer der Tat“ zur Entfaltung zu verhelfen.

Ingenieure grenzen sich vom Bürgertum ab - lesen Sie mehr auf Seite 3.

Diese Wende ist nicht nur als Reflex auf die Kritik der Industrie an den zu theoretisch geschulten Ingenieurabsolventen der Hochschulen zu sehen. Zugleich reagieren die Ingenieure mit ihrer zunehmenden Abgrenzung vom Bildungsbürger wohl auch auf dessen schwindenden Status. Im industriellen Kaiserreich gewinnt der Kapitalist an Ansehen, während der technikkritische Intellektuelle zur Randfigur wird. Auch die aufstrebende Kolonialmacht weiß kraftvolle Tatmenschen zu schätzen. Die Fachvertreter suchten darum zunehmend die Nähe zum aufkeimenden völkischen Denken, erklärt Paulitz. Der schöpferisch begabte Mann ist danach einer der herausragenden Vertreter seines Volkes, der Ingenieur als „Mann der Tat“ seine technikspezifische Verkörperung.

Paulitz kommt zu dem Schluss, die Ingenieure hätten im Streben nach akademischer Anerkennung keine eigene Version von „Männlichkeit“ herausgebildet, sondern sich attraktive Modelle jeweils „geborgt“. Das wird auch dadurch bestätigt, dass männliche Identitäten kaum in Abgrenzung zu Frauen konstruiert werden. Sie waren im Ingenieurberuf ohnehin keine Konkurrenz und somit nicht der Rede wert. Vielmehr entwirft sich der Ingenieur in Abgrenzung zu unterschiedlichen Männlichkeitsmustern.

Ob im heutigen Berufsbild des Ingenieurs neue, aktuell hoch im Kurs stehende Männlichkeitsmuster zu entdecken sind, will Paulitz nun weiter erforschen. Vielleicht wird dann auch klar, warum Frauen in Deutschland – zum Kummer der an Fachkräftemangel leidenden Industrie – bis heute nur schwer in den Ingenieurberuf zu locken sind. Sollten „strenge Rationalität“ und „Genie“ noch immer zum Kern des Berufsbilds gehören, wie Paulitz vermutet, könnte das Berufsbild aufgrund der Geschlechternormen auch heute noch für Frauen eine symbolische Barriere darstellen.

Die Habilitationsschrift von Tanja Paulitz „Mann und Maschine. Eine wissenssoziologische Genealogie des Ingenieurs und der modernen Technikwissenschaften, 1850–1930“ erscheint im Frühjahr im Transcript Verlag.

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