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Pflegeheim

© dpa

Integration: Wenn Migranten alt werden

Integrationsprobleme gibt es auch in Kliniken oder Pflegeheimen. Experten fordern mehr Sensibilität bei der Behandlung von Zuwanderern.

Die Familie des Sterbenden war aus der arabischen Heimat eingeflogen, um in der Klinik von ihm Abschied zu nehmen. Im Gepäck hatten die Angehörigen Wasser aus einer heiligen Stätte und den Koran. Die Pflegekräfte reagierten zunächst skeptisch auf die geplanten islamischen Rituale: Vor allem lautes Vorlesen könne den Stationsablauf stören. Schließlich wurde gemeinsam mit dem behandelnden Arzt aber doch eine Lösung gefunden. Das erzählte am vergangenen Donnerstag beim Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit im Berliner ICC die Dresdner Gesundheitswirtin Fatemeh Pohl-Shirazi.

3,2 Millionen Muslime leben derzeit in Deutschland. Diejenigen, die schon in den sechziger und siebziger Jahren kamen, um hier zu arbeiten, sind inzwischen alt geworden, viele von ihnen werden krank und pflegebedürftig. „Kliniken, Arztpraxen und Alteneinrichtungen sind darauf noch gar nicht vorbereitet“, sagte der Hamburger Gesundheitsunternehmer Heinz Lohmann, wissenschaftlicher Leiter des Kongresses „Krankenhaus, Klinik, Rehabilitation“ beim Kongress in Berlin. Er hält es jedoch nicht zuletzt aus unternehmerischer Sicht für klug, das rasch zu ändern. Denn Kultursensibilität werde bald allgemein als Wettbewerbsvorteil für Krankenhäuser und Pflegeheime erkannt werden. Damit meint Lohmann ausdrücklich nicht nur das Anwerben reicher Privatpatienten etwa aus Saudi-Arabien, sondern der Menschen, die schon seit Jahrzehnten in Deutschland leben, aber in der Kultur und Religion ihres Herkunftslandes verwurzelt sind.

Integration hin oder her: Die Migranten aus der ersten Generation können sich oft nicht ausreichend auf Deutsch verständigen, und wenn sie krank werden, wird das häufig noch schwieriger, vor allem bei einer beginnenden Demenz. Einer Umfrage in Berliner Krankenhäusern zufolge, die der Senat im Jahr 2005 in Auftrag gegeben hatte, ist in fünf Prozent der Fälle eine adäquate Kommunikation nicht möglich. Nach einer Untersuchung von Pohl-Shirazi stehen Sprachprobleme an erster Stelle der Schwierigkeiten, über die muslimische Patienten im Zusammenhang mit einem Arztbesuch oder Krankenhausaufenthalt berichten, gefolgt von lückenhaftem Wissen und mangelnder Offenheit des medizinischen Personals. „In dieser Hinsicht ist das englische Beispiel nachahmenswert. Dort besuchen die Medizinstudenten Kurse über andere Patientenkulturen und werden darüber auch in einer nachgestellten praktischen Behandlungssituation geprüft.“

Meryam Schouler-Ocak, leitende Oberärztin der Institutsambulanz der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus, plädierte dafür, Patienten aus anderen Kulturen bei ihrem Verständnis der Krankheit „abzuholen“. Die wenigsten Muslime, die in Deutschland leben, seien streng praktizierend. Wichtig sei aber der kulturelle Unterschied im Erleben der Krankheit. „Hier stehen kollektivistische Kontexte gegen die individuellen, die wir in Deutschland kennen.“ In den Familien drehe sich alles um den Kranken, ergänzte Pohl-Shirazi. „Und wenn man wirklich Schmerzen hat, ist man auch laut und zeigt das nach außen.“ Vom Arzt werde erwartet, dass er mit Medikamenten dagegen angehen kann.

Psychiatrische Erkrankungen wie Demenzen und Depressionen werden dafür häufig eher tabuisiert. Für eine Studie haben Schouler-Ocak und ihre Mitarbeiter sich in 350 psychiatrischen Kliniken bundesweit nach den Hauptproblemen im Umgang mit ihren muslimischen Patienten erkundigt. 28 Prozent von ihnen nannten Sprach- und Verständigungsprobleme, 40 Prozent kulturgebundene Schwierigkeiten. „Beides kann dazu führen, dass wir aneinander vorbeireden und -therapieren“, meint die Psychiaterin. Eine Gruppe von Vertretern ihres Fachgebietes um Wielant Machleidt, den ehemaligen Direktor der Abteilung Sozialpsychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover und Leiter des dortigen Ethno-Medizinischen Zentrums, hat im Jahr 2004 die „Sonnenberger Leitlinien“ verfasst. Darin verpflichten sich die Psychiater auf verbindliche fachliche Standards für die „kultursensible Behandlung von Migranten in Psychiatrie und Psychotherapie“.

Voraussetzung dafür sind Angebote wie der Gemeindedolmetschdienst in Berlin. Ein Übersetzer, der nicht aus der eigenen Familie stammt und der sich in beiden Kulturen gut auskennt, ist nämlich mehr als ein Sprach-Vermittler. „Man kann dieses Instrument auch einsetzen, um das deutsche Gesundheitssystem zu erklären“, sagt Psychiaterin Schouler-Ocak. Nicht zuletzt kann der Dolmetscher Ärzten und Pflegekräften dabei helfen, bei ihren Patienten um Vertrauen zu werben. Auch wenn sie einmal keine Tabletten verordnen.

Adelheid Müller-Lissner

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