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Interview: ''Den Standardmenschen gibt es nicht''

Greenpeace-Atomexperte Smital über den Sinn und Unsinn von unbedenklichen Strahlendosen und die Bedeutung der neuen Studie.

Durch Hiroshima, Nagasaki und Tschernobyl wissen wir, dass massive radioaktive Strahlung tödlich ist. Die Gefahr kleinerer Dosen ist umstritten. Wird sich das nach dieser Studie ändern?

Das ändert sich schrittweise schon lange: 1990 zum Beispiel waren die Befunde über die Belastung der Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki so erdrückend, dass die Internationale Strahlenschutzkommission ICRP die Richtwerte nach unten korrigierte. Mehr als zehn Jahre später, 2001, wurde das in der Novellierung der deutschen Vorschriften berücksichtigt. Leider sind die Strahlenschützer sehr vorsichtig; die Umsetzung in nationale und internationale Strahlenschutzrichtlinien hinkt der wissenschaftlichen Erkenntnis immer um viele Jahre hinterher.

Was wissen wir über die Wirkung niedriger Strahlendosen?

Die akute Wirkung von Strahlung ist tatsächlich sehr gut erforscht, die von niedrigen Dosen haben wir immer noch nicht ganz verstanden. Da gibt es immer wieder Überraschungen - auch bei der Beobachtung von Zellkulturen – die mit der gängigen Berechnung des Strahlenschutzrisikos nicht zu erklären sind. Wir können eigentlich nur sagen, dass es keine unbedenkliche Dosis gibt. Die internationale Strahlenschutzkommission wird demnächst neue Richtlinien herausgeben; sie hat unter anderem festgestellt, dass das Leukämierisiko bei Kindern dramatisch unterschätzt wurde. Wir wissen auch, dass Föten und Neugeborene besonders empfindlich auf Radioaktivität reagieren, dass Frauen generell gefährdeter als Männer sind und Menschen unterschiedlichen Alters unterschiedlich auf Strahlung reagieren. Und es gibt individuelle Schwankungen bis zu einer Anfälligkeit für Strahlung, die bei einer Person zehnmal höher liegen kann als bei einer anderen. Die Zusammenhänge sind kompliziert, aber darüber mitteln die Strahlenschutzrichtlinien hinweg. Sie gehen von einem Standardmenschen aus, den es so nicht gibt.

Dass die Menschen unterschiedlich sind, lässt sich aber nicht in staatliche Schutzvorkehrungen fassen – müssen wir das berüchtigte Restrisiko nicht doch einfach tragen?

Das wäre zu einfach. Wenn gerade Kinder im Mutterleib das größte Risiko tragen, können wir sie doch nicht herausrechnen.

Umweltminister Gabriel hält radioaktive Strahlung nicht für den Grund der Krebshäufung im Umkreis von Atomreaktoren.

Es ist völlig klar, dass wir nicht am Ende aller Erkenntnis sind. Durch die Mainzer Studie lässt sich aber ein Befund nicht mehr wegdrücken: dass nämlich der Grund für die Häufung von Krebserkrankungen im Umkreis von Atommeilern eben diese Meiler sein müssen. Fallkontrollstudien wie diese sind sehr aufwändig, aber sie sind methodisch auch sehr sicher. Man nimmt sich jeden Fall einzeln vor – hier die Krebserkrankungen – und klopft ihn daraufhin ab, ob der Krebs nicht auch andere Gründe haben könnte. Nach so einer Studie gibt es kein Entrinnen mehr.

— Das Gespräch führte Andrea Dernbach

Heinz Smital ist Physiker und Atomexperte bei Greenpeace Deutschland. Seiner Meinung nach hinken Regeln zum Strahlenschutz der Wissenschaft zu weit hinterher.

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