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Interview: „Konsum vom Kapitalismus trennen“

"Einkaufen ist Liebe": Der Anthropologe Daniel Miller erklärt, was er an Konsumkritik für falsch hält - und warum Konsumkritik wenig mit Kapitalismuskritik zu tun hat.

Herr Miller, Sie halten die landläufige Verachtung des Konsums für zu einfach. Stattdessen schreiben Sie Sätze wie „Einkaufen ist Liebe“ oder „Menschen, die Dinge mögen, sind sozialer als solche, denen Dinge unwichtig sind“. Was ist falsch an der Konsumkritik?

Alle Konsumkritiker, die ich kenne, leben auf einem Verbrauchsniveau, das für jede frühere Generation unvorstellbar gewesen wäre. Da kann man schon auf die Idee kommen, dass Konsumkritik scheinheilig ist. Die Taten der Kritiker entsprechen einfach nicht ihren Worten, und trotzdem halten sie nicht ihre eigenen Parolen für flach und verirrt, sondern nur die Auffassung anderer Menschen.

Konsum ist okay?

Es gibt einige Arten der Konsumkritik, die ich stark unterstütze, zum Beispiel die sozialistische Kritik der Ungleichheit. Die ungerechten Teilhabemöglichkeiten am Konsum in den meisten Ländern der Erde muss man scharf kritisieren. Zudem bin ich für klare Verbote von Gütern, deren Herstellung und Verbrauch den Klimawandel mitverantworten. Denn ich glaube nicht, dass die Lösung der Umweltprobleme in einer „Wahl des Lebensstils“ liegen kann und darin, dass Menschen sich für „grünen Konsum“ entscheiden. Der Umgang mit Natur ist zu ernst, als dass er einer Wahl überlassen werden könnte.

Was müsste geschehen?

Die richtige Antwort auf den Klimawandel kann nur in internationalen Vereinbarungen liegen. Man muss schädliche Formen der Produktion verbieten und sicherstellen, dass die Beschränkung gleichermaßen für die Armen wie für die Reichen gilt. So sollten keine Autos über einer bestimmten Motorengröße hergestellt und gefährliche Chemikalien gleich am Anfang des Produktionsprozesses verboten werden.

Folgt daraus, dass der Kapitalismus abgeschafft werden muss?

Nein, Konsumkritik und Kapitalismuskritik haben sehr wenig miteinander zu tun, sie sollten getrennt werden. Die Hauptprobleme des Kapitalismus, vor allem sein Hang zur Ungleichheit und zu unethischem Verschweigen der Finanzinteressen, haben nichts mit Konsum zu tun. Umgekehrt würden die Probleme des Konsums, wie etwa die Entfremdung in der massiven Konsumkultur, auch dann existieren, wenn die Produktionsweise eine andere als eine kapitalistische wäre. Der Kapitalismus ist viel komplexer und in der Tat auch vielfältiger, als es die traditionellen Kritiken glauben machen.

Die aktuelle Kritik am Konsum enthält für Sie auch eine anthropologische Konstante, nämlich ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Materialismus ganz allgemein.

Ja, die Kritik am Materialismus ist so alt wie das Opferritual, das ja früher in menschlichen Gesellschaften allgegenwärtig war. Bevor wir etwas verbrauchen, wollen wir die heiligen Ursprünge jener Welt versöhnen, die wir im Akt des Konsumierens aufzehren werden. Konsumption nimmt der Welt etwas weg, während Produktion ihr etwas hinzufügt. Es ist daher gar nicht erstaunlich, dass wir die Konsequenzen fürchten.

Worin liegt denn der wesentliche Unterschied zwischen einer Konsumkultur und einer Nicht-Konsumkultur in der Beziehung zu Dingen?

Der hauptsächliche Unterschied ist, dass wir in der Konsumkultur jene Beziehung zu den Dingen verlieren, die wir hatten, als wir selbst noch in den Prozess ihrer Herstellung eingebunden waren. Und wir sollten nach Wegen suchen, an dieses Gespür und die Hingabe an das Einzelne wieder anzuknüpfen. Das könnte durch so etwas wie „produktive Konsumption“ geschehen.

- Die Fragen stellte Andrea Roedig.

DANIEL MILLER, geboren 1954, ist Anthropologe am University College London und Experte für „Material Culture“. Soeben erschien sein Buch „Consumption and its Consequences“.

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