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Interview: „Krebs ist in vielen Fällen heilbar“

Manfred Kaufmann zu Vorsorge und Therapie – und warum Bewegung wichtiger als Ernährung für die Vorbeugung ist.

Über 425 000 Menschen werden jedes Jahr in Deutschland mit der Diagnose Krebs konfrontiert. Die Deutsche Krebsgesellschaft hat sich neben der optimalen Behandlung dieser Kranken auch die Vorbeugung auf die Fahnen geschrieben. Doch können wir es in einer älter werdenden Gesellschaft wirklich vermeiden, dass immer mehr Menschen Krebs bekommen?

Es ist schon richtig, dass es mit zunehmendem Alter immer mehr Entgleisungen in den Bausteinen des menschlichen Körpers gibt, und dass auch Krebserkrankungen mit dem Alter zunehmen. Krebs ist jedoch nicht ausschließlich eine Alterskrankheit. In vielen Fällen können wir früher einsetzen und verhindern, dass Krebs entsteht.

Was müsste dafür geschehen?

Eine Riesenbedeutung hat hier das Rauchverbot. Studien zeigen, welche bedeutsame Rolle das Rauchen spielt. In Deutschland verfügen wir leider noch nicht über ein flächendeckendes Krebsregister, für einige Regionen ist aber schon nachgewiesen, dass Lungenkrebs bei Männern abgenommen hat, seit sie etwas weniger rauchen. Bei Frauen nimmt er dagegen zu, bei ihnen steigt auch die Sterblichkeit.

Welche Rolle spielt der Lebensstil bei der Vorbeugung?

Wichtig ist, dass man aktiv ist. Bewegung spielt nach neuen Erkenntnissen dabei anscheinend eine deutlich größere Rolle als gesunde Ernährung. Für Brustkrebs wurde zum Beispiel gezeigt: Bei Frauen, die sich sieben Stunden in der Woche sportlich bewegen, ist die Brustkrebshäufigkeit um etwa 20 Prozent geringer. Außerdem sollten Frauen in den Wechseljahren mit der Einnahme von Hormonen deutlich zurückhaltender sein. Solche Therapien sollten mehr auf den individuellen Fall zugeschnitten werden. Studien aus den USA und jetzt auch aus Deutschland zeigen, dass dadurch weniger häufig Brustkrebs auftritt. Eine erfreuliche Botschaft ist, dass die Antibabypille eine sehr gute Prävention von Eierstockkrebs darstellt. Ein weiterer Punkt, der uns am Herzen liegt, ist die Früherkennung: Viele Formen von Krebs sind heilbar, wenn sie früh erkannt werden.

Andererseits wird gerade über Früherkennung viel gestritten. Welche Untersuchungen lohnen sich wirklich?

Da ist an erster Stelle das Mammografie-Screening zu nennen, die Röntgenreihenuntersuchung der Brust bei Frauen zwischen 50 und 69 Jahren, die in Deutschland noch nicht ganz flächendeckend umgesetzt ist. Wir brauchen auch noch mehr Aufklärung darüber, welche Bedeutung die Untersuchung hat. Außerdem wird es sich entscheidend auswirken, wenn die Angebote zur Darmspiegelung besser angenommen werden, mit denen Darmkrebs verhindert oder früh erkannt werden kann. Sehr bedeutsam ist auch, dass man jetzt gegen Gebärmutterhalskrebs impfen kann, auch wenn die Impfung gegen das Humane Papilloma-Virus (HPV) wegen zweier ungeklärter Todesfälle jetzt in die Diskussion gekommen ist. Weiterhin wichtig bleiben die klassischen Vorsorgeuntersuchungen, die seit 20 Jahren kostenfrei sind. Immerhin 50 Prozent der Frauen nehmen sie in Anspruch. Die Männer sind in dieser Hinsicht leider deutlich zurückhaltender.

Bei der Früherkennung des Männerleidens Prostatakrebs ist der Nutzen der Untersuchungen aber auch nicht so eindeutig belegt.

Der Test auf PSA (Prostata-spezifisches Antigen) im Blut wird beim Kongress ein großes Thema sein. Beim dritten Krebsaktionstag am Sonntag, zu dem wir die Berlinerinnen und Berliner ins ICC einladen, wird es nochmals aufgegriffen werden.

Was wird dort sonst noch geboten werden?

Im Mittelpunkt stehen die fünf häufigen Tumoren: Brust, Lunge, Darm, Prostata und Haut. Beim „Forum für alle“ werden von 13 bis 14 Uhr 30 Höhepunkte des Kongresses vorgestellt, davor und danach gibt es Expertenforen zu den einzelnen Krebsformen.

Welche Entwicklungen gibt es denn inzwischen in der Therapie?

Wir haben heute die Möglichkeit, viele Tumoren genauer zu charakterisieren und für die Therapie dann ganz gezielt Angriffspunkte zu wählen. Wir behandeln also nicht mehr das Risiko, sondern den konkreten Tumor. Für eine solche gezielte Therapie gibt es viele neue Substanzen, etwa bei Tumoren der Leber und der Niere. Den größten Fortschritt sehe ich augenblicklich in meinem Fachgebiet beim Brustkrebs: Allein durch den Einsatz der Substanz Trastuzumab mit dem Firmennamen Herceptin konnte hier für eine Gruppe von Patientinnen eine Halbierung des Risikos für ein Wiederauftreten der Krankheit erreicht werden. Bei Brustkrebs gibt es überhaupt große Fortschritte. Man kann sagen, dass eine Frau, die heute 50 ist und Brustkrebs bekommt, gegenüber ihrer Mutter, die im selben Alter erkrankt ist, eine doppelt so große Überlebenschance hat. Für ihre Tochter wird sich die Chance dann wahrscheinlich nochmals verdoppeln.

Viele Menschen halten eine Krebsdiagnose dennoch nach wie vor für ein Todesurteil.

Dem Krebs haftet ganz allgemein an, dass es eine scheußliche Erkrankung ist. Hier muss ein Tabu gebrochen werden, wir müssen noch stärker vermitteln, dass er in vielen Fällen heilbar ist und dass er in anderen Fällen zu einer chronischen Krankheit wird.

Deren Behandlung ihren stattlichen Preis hat.

Ja, die neuen Therapien, die das Leben Krebskranker deutlich verlängern, sind wirklich verdammt teuer. Hier ist die Frage, was der Gesellschaft die Gesundheit wirklich wert ist. Wollen wir viermal im Jahr in Urlaub gehen können, oder ist es wichtiger, zehn Jahre länger zu leben? In den letzten Jahren ist das Schönheitsbewusstsein deutlich gewachsen: Es gab noch nie so viele Brustoperationen aus ästhetischen Gründen. Leider ist das Gesundheitsbewusstsein nicht parallel dazu größer geworden.

Andererseits wird so viel von Vorbeugung gesprochen, dass manche Krebspatienten sich mit Vorwürfen belasten, vielleicht nicht gesund genug gelebt zu haben. Ist das nicht auch eine Gefahr?

Durchaus. Ich denke überhaupt, dass den Menschen, die mit einer Krebsdiagnose konfrontiert sind, schon früh eine spezielle psychologische Betreuung angeboten werden sollte. Das sollte schon in den Kliniken möglich sein, in denen die erste Behandlung stattfindet. In dieser akuten Phase ist das Aufklärungsdefizit besonders belastend, hier sind die Ängste am größten. Doch wir Ärzte haben meist zu wenig Zeit für die wichtigen Gespräche. Für solche frühen psychologischen Angebote gibt es leider noch zu wenige Strukturen, deshalb sollten sich auch die Selbsthilfegruppen schon zu diesem frühen Zeitpunkt mehr engagieren. Später, nach der Entlassung, sind die Patienten heute manchmal leider schon sehr verunsichert, sie haben hundert verschiedene Meinungen gehört.

Das Gespräch führte Adelheid Müller-Lissner.

MANFRED KAUFMANN (61) ist Frauenarzt und Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft, die von Mittwoch an in Berlin den Krebskongress ausrichtet.

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