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Interview: Mehr Europa für die Viadrina

Die Kritik der Gutachter an der Viadrina ist weitgehend berechtigt, sagt Hans Weiler, ehemaliger Rektor der Europa-Universität in Frankfurt (Oder). Die Uni müsse sich heute West- und Osteuropa als Ganzem widmen.

Herr Weiler, Sie haben die Viadrina nach der Neugründung Anfang der 90er geleitet. Die Uni kommt jetzt bei einer Expertenkommission nicht gut weg: Sie genüge dem Anspruch nicht, eine „Europa-Uni“ zu sein. Ist die Kritik berechtigt?
Das Gutachten halte ich insgesamt für vorzüglich. Das schließt die Aussagen über die Viadrina ein, die in Diagnose und Therapie in großen Teilen zutreffen. Natürlich geschieht an der Universität viel, was mit Europa zu tun hat. Das betrifft aber eher die Kür, weniger die Pflicht. In der Substanz von Lehre und Forschung ist die Europa-Problematik nicht so präsent wie es gerade heute notwendig wäre.

Hans Weiler, ehemaliger Rektor der Viadrina-Universität.
Hans Weiler, ehemaliger Rektor der Viadrina-Universität.

© promo

Der Uni habe auf die EU-Osterweiterung nicht reagiert, heißt es.

Ganz gelungen ist das tatsächlich nicht. Aber man muss fairerweise sagen, dass wir es am Anfang einfacher hatten. Wir haben den Acker Deutschland-Polen bestellt, das lief 1992 fast von selbst. Präsident Kwasniewski kam zu einer Semestereröffnung, Genscher, Weizsäcker lehrten an der Uni. Für junge Polen war die Viadrina die einzige Möglichkeit, in Westeuropa zu studieren. Heute können sie in ganz Europa studieren. Mit dem EU-Beitritt mitteleuropäischer Staaten ist das Feld thematisch diffuser geworden, man muss heute sowohl die ost- wie die westeuropäische Perspektive einbeziehen.

Trotzdem: Was sind Ursachen für die Defizite?

Bei vielen – nicht bei allen – Professoren fehlt es an der Bereitschaft, sich mit einer übergeordneten Idee für die Universität als Ganzes zu identifizieren. Sie meinen, darunter könnte ihr sorgsam gepflegtes Spezialgebiet leiden. Das findet man an allen Universitäten, aber es hat mich schon frustriert, als ich die Viadrina geleitet habe. Meine Strategie war schließlich, im neuen brandenburgischen Hochschulgesetz für mehr Gestaltungsmöglichkeiten der Hochschulleitung zu sorgen. Das ist dann glücklicherweise kurz vor meiner Verabschiedung so in Kraft getreten.

Haben Ihre Nachfolger diesen Spielraum womöglich nicht genutzt?

Sie werden verstehen, dass ich mich zu meinen Nachfolgern grundsätzlich nicht äußere.

Was muss jetzt geschehen?

Die Kommission schlägt zu Recht ein externes Peer-Review-Verfahren vor, das Vorschläge macht, wie Uni und Fakultäten besser auf ein gemeinsames Ziel fokussiert werden können. Das Land muss der Uni die Möglichkeit geben, das dann auch umzusetzen, und die Leitung muss die Energie aufbringen, das durchzusetzen. Dabei ist auch der Stiftungsrat gefragt. Ein vorzüglicher Ansatz dafür ist das in der Exzellenzinitiative aus mir völlig unerfindlichen Gründen gescheiterte Forschungscluster „Borders in Motion“. Jetzt wird man für dieses vorzügliche Projekt anderweitig Mittel einwerben müssen, und auch das Land wird sich engagieren müssen.

Als neues Leitmotiv schlägt die Kommission „Europa in der Weltgesellschaft“ vor. Ist das nicht ein wenig beliebig?

Man kann Europa heute nicht mehr nur in seinen eigenen Grenzen  verstehen, das geht nur im globalen Kontext. Die Offenheit dieses Vorschlags bietet der Viadrina die Chance, einen eigenen neuen Weg zu gehen. So könnte man zum Beispiel dem Verhältnis Europas zu seinen östlichen Nachbarn oder zu den Schwellenländern  besondere Aufmerksamkeit schenken.

Das Gutachten liest sich so, als ob die Uni Potsdam herausragt, während die Viadrina und die BTU Cottbus Problemfälle sind. Teilen Sie den Eindruck?

Der Enthusiasmus über Potsdam hat mich etwas verwundert. Auch dort gibt es Schwachstellen. Es ist aber richtig, dass die Uni eine beachtliche Entwicklung genommen hat. Nach Potsdam sind allerdings auch die meisten Ressourcen geflossen. Insgesamt halte ich die Arbeitsteilung zwischen den drei Unis und den Verzicht auf eine „Volluniversität“ immer noch für richtig. Das bestätigt auch die Kommission, die die spezifischen  Profile der drei Universitäten nach wie vor für relevant hält und die Arbeitsteilung ja gerade auch für die Juristenausbildung neu bekräftigt. 

Die Fragen stellte Tilmann Warnecke.

HANS WEILER (77) war von 1993 bis 1999 Rektor der Europa-Universität Viadrina. Zuvor war er Professor für Erziehungs- und Politikwissenschaft an der Universität von Stanford.

- Das Interview ist in einer gekürzten Version im gedruckten Tagesspiegel erschienen.

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