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Forschend lernen. Die Unis (hier die TU Berlin) wollen keine „Lehrknechte“.

© TUB/Böck

Interview: „Wir geben mehr Autonomie“

Lehrende und Lernende haben einiges an der Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes auszusetzen. Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner verteidigt den Entwurf.

Herr Zöllner, von allen Seiten kommt Kritik an Ihrer Novelle. Beeindruckt Sie das nicht?

Ich habe mit allen Gruppen, besonders mit den Hochschulleitungen, ausführlich gesprochen. Auch die Kritik der Studierenden bezüglich der Bologna-Reform hat bei unseren Überlegungen eine wichtige Rolle gespielt. Ich weiß, dass sie mit vielen Punkten übereinstimmen – weil sie selbst auch das meiste genau so gewollt haben. Ich habe dennoch Verständnis, dass die verschiedenen Interessengruppen nun noch letzte Nachbesserungen durchsetzen wollen. Das wird nun das Parlament entscheiden müssen, ich bin da sehr gelassen.

Der größte Widerstand richtet sich gegen die Einführung von Dozenten mit einer hohen Lehrverpflichtung – zulasten der Forschung. Würden die Universitäten so nicht zu höheren Schulen?

Die Zurückhaltung der Hochschulen macht mich traurig. Wer Humboldt ernst nimmt, wird nicht nur die Forschung, sondern auch die Lehre ernst nehmen. Ich stehe für die Gleichheit von Lehre und Forschung. Es muss auch Karrierewege über die Lehre geben. Außerdem steht es den Hochschulen frei, ob sie die neuen Dozenten überhaupt einführen, befristet oder unbefristet.

Sollte es an den Universitäten mehr Dauerstellen unterhalb der Professur geben?

Eine Verstopfung durch lauter Dauerstellen im wissenschaftlichen Mittelbau halte ich für falsch. Das würde die nächste Generation um ihre Chance bringen, für eine gewisse Zeit wissenschaftlich zu arbeiten. Egal in welchem Bereich diese Menschen später einen Beruf ergreifen – die Wissensgesellschaft braucht ihre Erfahrungen. Eine begrenzte Zahl von Dauerstellen im wissenschaftlichen Mittelbau kann dabei helfen.

FU-Präsident Peter-André Alt hat vorgeschlagen, Nachwuchswissenschaftler aus den außeruniversitären Instituten an Unis lehren zu lassen. Wird es dazu kommen?

Das ist ein guter Ansatz, den ich unterstütze, aber es ist kein neuer Ansatz: Schon jetzt sind ja viele von ihnen als Lehrbeauftragte tätig.

Abgesehen von den neuen Dozenten wehren sich die Hochschulleitungen auch dagegen, ein Teilzeitstudium anzubieten. Es fehle an Kursen und an Laborplätzen.

Ich sehe, dass es ein Organisationsproblem gibt, aber es gab auch schon früher Teilzeitmöglichkeiten. Neu ist jetzt, dass die Novelle konkreter die Personenkreise benennt, die einen Anspruch auf Teilzeit haben: zum Beispiel berufstätige Studierende, Studierende mit Kindern oder Studierende mit pflegebedürftigen Eltern. Das macht für die Hochschulen keinen großen Unterschied, schafft aber Sicherheit für die betroffenen Studierenden.

Die Studierendenvertreter blasen zum Protest gegen die Zwangsexmatrikulation. Sie befürchten, Kommilitonen könnten der Willkür von Professoren ausgesetzt sein.

Es muss einen Punkt geben, an dem man sich ernsthaft jener Studierenden annimmt, bei denen ein Scheitern des Studiums offenkundig droht. Hier setzen wir an und sagen: Die Hindernisse sollen gemeinsam mit den Hochschulen identifiziert und ein Weg zum erfolgreichen Studienverlauf vereinbart werden. Das Gesetz verlangt, dass dabei die soziale Lage der Studierenden berücksichtigt werden muss. Ist dies nicht geschehen, könnte sich ein Studierender also wehren. Im Übrigen gibt es ähnliche Regelungen an den Hochschulen schon jetzt. Und die Hochschulen werden auch nicht gezwungen, das Gesetz umzusetzen. Aber sie haben weiterhin die Freiheit, es zu tun. Ich habe im Übrigen mit großer Freude zur Kenntnis genommen, dass die Hochschulen anerkennen, dass sie durch den Hochschulvertrag große Anreize haben, alle Studierenden erfolgreich zum Studienabschluss zu bringen. So werden wir die Abbruchquote langfristig minimieren können. Ich habe kein Interesse an Zwangsexmatrikulation – ich will interessierte und letztlich erfolgreiche Studierende.

Die Berliner Wirtschaftsvertreter hätten sich gewünscht, dass Menschen mit mittlerer Reife und einer dreijährigen Ausbildung beim Hochschulzugang wie Abiturienten behandelt werden. Warum machen Sie da weiterhin einen Unterschied?

Das ist ein schönes Beispiel, um zu zeigen, dass ein gutes Gesetz unterschiedlichen Interessen Rechnung tragen muss. Die Wirtschaft ist froh, dass wir den Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte erweitern. Die Hochschulen sind aber dankbar, dass wir damit nicht so weit gegangen sind, wie manche Wirtschaftsvertreter es wollen. Auch den betroffenen beruflich Ausgebildeten würden wir keinen Gefallen tun, wenn wir sie ohne die für ein Studium nötigen Vorkenntnisse zulassen würden.

Der Kreis der Studienberechtigten ohne Abitur wird erweitert. Doch der Platz an Berliner Hochschulen ist begrenzt, die Plätze für die beruflich Qualifizierten sind quotiert. Wie wird entschieden werden, welcher Bewerber aus dieser Gruppe einen Studienplatz bekommt?

Dazu brauchen wir keine neue Spezialregelung, denn damit sind wir auch bisher fertig geworden. Ich rechne auch nicht mit einem rasanten Bewerberanstieg aus dieser Gruppe.

Berlins 21 private Hochschulen sollen in Zukunft ihre Mitarbeiter auf dem Niveau staatlicher Hochschulen bezahlen. Ist auch die SPD dafür, dass der Staat dermaßen tief in die Angelegenheiten der Privaten eingreift?

Wir verlangen ja gar nicht völlig identische Gehälter. Es geht darum, Billigbeschäftigungen zu verhindern, dafür ist die SPD. Das wiederum ist eine Frage der Qualitätssicherung und muss deshalb im Interesse der Privaten selbst sein. Der Berliner Senat will, dass sich in Berlin private Hochschulen ansiedeln und vom guten Image dieser Wissenschaftsstadt profitieren. Darum müssen sie auch mit realistischen Finanzierungsplänen kommen, die ihr langfristiges Überleben sichern.

Die hochschulpolitische Philosophie der letzten 15 Jahre lautete: Mehr Autonomie wagen. Berlin war mit der Erprobungsklausel von 1997 Vorreiter. Finden Sie, dass Berlins Hochschulen in ihrer großen Freiheit auch manches vernachlässigen?

Überhaupt nicht. Darum schränkt die Novelle die Autonomie auch nicht ein.

Die Hochschulen sehen für sich einen bürokratischen Aufwand, weil sie Rahmenordnungen für Prüfungen und Studienorganisation schreiben sollen. Würde das wenigstens die stark beanspruchte Senatsverwaltung mittelfristig entlasten?

Das wird für beide Seiten eine Entlastung. Bis jetzt muss jede einzelne Studien- und Prüfungsordnung in der Senatsverwaltung geprüft werden. Das war auch für die Hochschulen lästig. In Zukunft müssen die Hochschulen uns nur einmal ihre Rahmenordnung zeigen. Das ist am Anfang für manche ein Aufwand, aber bald eine Erleichterung. Und es bedeutet mehr Autonomie.

In der vergangenen Legislaturperiode haben Sie drei große Hochschulreformen umgesetzt. Neben dem Hochschulgesetz haben Sie die Einstein-Stiftung gegründet und die Finanzierung der Hochschulen auf ein noch stärker leistungsbasiertes Modell umgestellt. Sollten Sie auch in der nächsten Legislaturperiode Wissenschaftssenator sein: Was wäre das nächste Reformprojekt?

Ich bin hochzufrieden mit der Bilanz dieser Legislaturperiode, denn wir haben das Berliner Wissenschaftssystem finanziell besser ausgestattet und sowohl quantitativ als auch qualitativ stark verbessert. Mit meiner Person haben die nächsten notwendigen Schritte nichts zu tun. Aber es stünde eine große Novelle des Berliner Hochschulgesetzes und des Universitätsmedizingesetzes an. Und die Lehrerausbildung könnte über alle Universitäten hinweg neu organisiert werden, um sie zu stärken. Dazu sollte man auch die außeruniversitäre Kompetenz in Berlin auf diesem Gebiet nutzen. Eine Herauslösung der Lehrerbildung aus ihren Fachdisziplinen lehne ich aber ab.

Die Fragen stellte Anja Kühne.

Jürgen Zöllner (65) ist seit 2006 Senator für Bildung, Wissenschaft und Forschung in Berlin. Vorher war er Wissenschaftsminister in Rheinland-Pfalz.

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