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Koran

© AFP

Islamwissenschaft: Elastischer Islam

Der Orientalistentag diskutiert über moderne Koran-Interpretationen. Daran erkennt man, dass sich das Fach Islamwissenschaft geändert hat. Es ist moderner geworden.

„Es gibt keinen Zwang im Glauben“, steht im Koran. Seit mehr als einem Jahrtausend haben Gläubige wie Nichtgläubige damit ihre Mühe. Von Anfang an sei Sure 2, Vers 256 hart gegen die Wirklichkeit – massenhafte Zwangsbekehrungen – gestoßen, sagt Patricia Crone, Islamhistorikerin aus Princeton. Sie eröffnete in der vergangenen Woche in Freiburg den 30. Deutschen Orientalistentag über „Islam und religiöse Freiheit“ mit einem Thema, das ins Herz der aktuellen Debatten traf.

Die ersten Interpreten rechtfertigten den Koran-Vers als Überbleibsel aus der Zeit eines machtlosen Islam. Gott habe ihn außer Kraft gesetzt, als seine Gläubigen sich ein Reich schufen. Ab dem 9. Jahrhundert kam eine neue Sicht hinzu: Der Vers stelle nur eine Tatsache fest. Es sei schlicht unmöglich, einen Menschen zum Glauben zu zwingen, und Gott tue dies auch nicht. Davon blieb das Recht der weltlichen Macht freilich unberührt, die Menschen zur äußerlichen, förmlichen Konversion zu zwingen. Die Theologen retteten salomonisch die Machtpolitik der Kalifen.

Die frühe Interpretation, der Vers sei abgeschafft, ist inzwischen komplett aus der Mode gekommen, sagt Crone. „Nicht einmal der konservativste Saudi behauptet das heute noch.“ Die islamische Theologie habe sich so gut wie vollständig auf die zweite Lesart verständigt. Die freilich, List der Geschichte, findet in modernen Gehirnen statt: Wie sollte dem Menschen jener Zwang im Glauben erlaubt sein, den Gott selbst sich versagt? Und so ist der Islam bei einer Variante angekommen, die ihn in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert. Fazit: Der Islam ist so elastisch wie alles Alte, das überlebt. Es gibt nicht einen wahren oder falschen Islam, sondern immer nur das, was aus ihm gemacht wird. Gleichzeitig lieferte Crones Vortrag den Beweis, wie moderne Islamwissenschaft die Expertise liefern kann, die Gesellschaft und Politik von ihr erwarten.

Crones deutsche Kollegen sehen ihre Möglichkeiten allerdings mit gemischten Gefühlen. Auf einem Podium über das Woher und Wohin der Islamwissenschaft mahnte Bettina Dennerlein, Professorin am Hamburger Asien-Afrika-Institut, zur Vorsicht. Die Islamwissenschaft sei als Folge von 9/11 „unkritisch aufgewertet worden“. Die Öffentlichkeit juble die Wissenschaftler zu Experten für „den“ Islam hoch und erwarte von ihnen, dass sie aus ihm heraus den Terror erklären: „Diese Erwartungen kann die Islamwissenschaft nicht erfüllen.“ Widerspruch kam nicht nur vom Mainzer Kollegen Günter Meyer, der die „Deutsche Arbeitsgemeinschaft Vorderer Orient“ leitet: Antwort auf die Fragen, die in Talkshows gestellt werden, müssten natürlich Islamwissenschaftler geben, „wer denn sonst?“

Nimmt man das Programm dieses Orientalistentags als Maßstab, ist man längst auf gutem Weg. Historische, ökonomische und sozialwissenschaftliche Fragen und Projekte überwogen deutlich vor philologischen. In Freiburg, wohin diesmal etwa 1000 Wissenschaftler und Besucher gekommen waren, ging es um Öl als Machtfaktor, Empowerment gläubiger Musliminnen in Indonesien und Europa oder um „Okzidentalismus“, Wissen und Urteile des Orients über den Okzident.

Dass die klassisch philologische Richtung weniger vertreten gewesen sei, sei keine Absicht, sagt Maurus Reinkowski, einer der Organisatoren des Orientalistentags. Das Treffen, die größte deutschsprachige Fachtagung zu den Kulturen Asiens und Afrikas, sei vor allem eine „große Börse“, zensiert werde nicht. „Man sieht aber daran, dass sich das Fach nachhaltig verändert hat, hin zur gegenwartsbezogenen Forschung.“ Und nicht zufällig stehen dabei Geschlechterfragen oft im Mittelpunkt. Sie seien das Feld, auf dem „eine Gesellschaft sich am stärksten aushandelt“, wie die Passauer Genderforscherin Susanne Schröter meint.

Über ein weiteres heikles Thema, „Islam und Demokratie“ sprach ein Fachmann mit bitterer eigener Erfahrung: Mohammed Mojtahed Shabestari, einer der wichtigsten Reformdenker des Irans und in den 70er Jahren Leiter des Islamischen Zentrums in Hamburg, wurde im vergangenen Jahr gezwungen, seine Teheraner Philosophie-Professur aufzugeben. „Die richtige Frage ist nicht: Sind Islam und Demokratie vereinbar oder nicht? Die Frage ist: Sind die Moslems heute bereit, diese Vereinbarkeit entstehen zu lassen?“, sagt Shabestari. Jede Religion sei in ständigem Wandel, „das Christentum hat sich gewandelt, das Judentum auch. Warum dürfen die Moslems ihre Religion nicht reformieren?“

Alles fließt – der Islam ist da keine Ausnahme. Und die Islamwissenschaft auch nicht. Insofern passte das Flüsse-Logo, das die Organisatoren der Freiburger Tagung gewählt hatten, geradezu perfekt.

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