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Jahr der Geisteswissenschaften: Der Himmel über Caesarea

Orakel in Kleinasien und eine Privatuni in Palästina: Wie aus den Christen der Antike Theologen wurden

Im Jahr der Geisteswissenschaften bittet der Tagesspiegel herausragende Vertreterinnen und Vertreter geistes- und kulturwissenschaftlicher Fachgebiete um Aufsätze zu einem Forschungsthema, das sie gerade beschäftigt. Sie geben Einblicke in die Arbeitsweise von Geisteswissenschaftlern, in ihre Methoden und Forschungsansätze. Diese Werkstattberichte – es können etwa historische Ereignisse neu eingeordnet werden, Akteure in Geschichte und Gegenwart porträtiert oder Bilder und Texte interpretiert werden – sollen die Vielfalt geisteswissenschaftlicher Arbeit zeigen. Tsp

Was bedeutete „Theologie“ in der Antike und wer betrieb das überhaupt? Die Frage wirkt auf den ersten Blick trivial. Konsens war bisher, dass es in der römischen Kaiserzeit nur bei Juden und Christen, nicht aber bei den Heiden Theologie gab. Und fast überall kann man lesen, dass es Gelehrte waren, die über den jüdischen wie christlichen Glauben reflektierten und auf diese Weise Theologie trieben. Entsprechend geraten viele Porträts christlicher Theologen der Antike wie Vorausbilder eines neuzeitlichen deutschen Theologieprofessors: sehr gelehrt, etwas zerstreut, mit der Kirche in einem nicht immer spannungsfreien Verhältnis. Und man gewinnt den Eindruck, dass es bereits seit ewigen Zeiten das gibt, was noch heute an Universitäten gelehrt wird und das Leben von Kirche wie Synagoge prägt: Theologie. Aber dieses vertraute Bild ist leider weitgehend falsch.

Das beginnt schon beim Begriff. „Theologie“, ein ursprünglich griechisches Wort, bezeichnete in der römischen Kaiserzeit zwei ganz verschiedene Dinge. Einerseits wurde so derjenige Teil der Philosophie genannt, der sich mit den obersten Prinzipien beschäftigte. Vermutlich hat der Philosoph Platon den Begriff erfunden und erstmals in dieser Bedeutung – die Lehre von Gott bzw. den Göttern – verwendet. Andererseits wurde der Begriff dazu benutzt, den Inhalt der Hymnen im Kult der römischen Kaiser zu beschreiben: Diese wurden als Götter angeredet und „Theologie“ bedeutete dann hymnische „Rede von Gott“, vom Kaiser als Gott. Die zweite Bedeutung des Begriffs „Theologie“ war die wesentlich weiter verbreitete und insofern verwendete man das Wort „Theolog“ vor allem zur Bezeichnung derjenigen Priester im Kaiserkult, die jene kultischen Hymnen schrieben und aufführten. Philosophen nannte man nicht „Theologen“.

Der erste Christ, auf den der Begriff „Theologe“ angewendet wurde, war der Evangelist Johannes, weil am Beginn seines Evangeliums ein berühmter Hymnus steht („Im Anfang war das Wort ...“) und dieser Text für antike Christen jeden zeitgenössischen Kaiserhymnus übertraf. Erst im vierten Jahrhundert, als die Kaiser sich nach dem Vorbild Konstantins zum Christentum bekannten und es für Kaiserpriester nichts mehr zu dichten gab, wendete man den Titel „Theologe“ auf solche christlichen Autoren an, die Hymnen schrieben – und das waren nicht wenige.

Eine als „Theologie“ bezeichnete Reflexion über die Religion und den Glauben in der römischen Kaiserzeit gab es also eher bei Heiden als bei Juden und Christen. Natürlich haben Juden und Christen in der Antike über Religion und Glauben nachgedacht. Aber wesentlich pluraler als heute und vor allem kaum in der universitären Form, die uns vertraut ist.

Zwei Beispiele: Da sind zum einen die sogenannten „Montanisten“. Im zweiten Jahrhundert sammelten sich mitten in Kleinasien, im Bergland Phrygiens östlich von dem heute bekannten türkischen Kurort Pamukkale, auf Landgütern Frauen und Männer, denen in Visionen Christus erschien und prophetische Sprüche offenbarte. Die Gruppe bezeichnete sich als „Neue Prophetie“, ihre Gegner nannten sie nach einem Gruppenmitglied namens Montanus. Eine der prophetischen Sprüche der „Montanisten“, die im Blick auf ihre Autorität den biblischen Schriften gleichgestellt wurden, lautet: „,In Gestalt einer Frau‘, sagt eine Prophetin, ,... kam Christus zu mir und legte in mich die Weisheit und offenbarte mir, dass dieser Ort heilig sei und hierher Jerusalem aus dem Himmel herabstiege‘“. Hinter diesem Spruch steht ein gerüttelt Maß Reflexion über Probleme der christlichen Religion: Die Gruppe war im Unterschied zu den meisten Juden wie Christen davon überzeugt, dass das Ende aller Zeiten nicht in Jerusalem anbrechen werde, sondern dort, wo sie lebten: in einem Dorf in Kleinasien. Natürlich entspricht diese Form von christlicher „Theologie“ überhaupt nicht unseren Vorstellungen, aber sie traf die Bedürfnisse der damaligen Zeit vorzüglich. Religion präsentierte sich in dieser Region vor allem in Gestalt großer Orakelheiligtümer des Gottes Apollon, die Menschen bei wichtigen Fragen konsultierten und vom Kultpersonal prophetische Sprüche erhielten. Angesichts der Beliebtheit solcher Orakelkulte war es nicht verwunderlich, wenn die Reflexion über das Christentum sich auch solcher Formen bediente.

Auch wenn die Christen in diesem Zusammenhang nicht von „Theologie“ sprachen, gab es trotzdem in der römischen Kaiserzeit auch ein Nachdenken über das Christentum auf Universitätsniveau. Freilich als eine Form unter anderen und ganz anders als an den Theologischen Fakultäten, wie sie seit dem Mittelalter üblich sind. Der in Alexandria aufgewachsene Christ Origenes gründete im dritten Jahrhundert in Caesarea, damals eine Hafen- und Provinzhauptstadt, heute ein vornehmer Badeort in Israel, eine christliche Privatuniversität. Finanziert wurde sie von einem reichen Sponsor und Studiengebühren, aber auch aus den Zinsen, die der Verkauf der offenkundig recht umfangreichen Privatbibliothek des Origenes erbracht hatte. Wie wir aus der Abschiedsrede eines Schülers wissen, entwarf Origenes für seine Privatuniversität ein eigenes Bildungsprogramm, das sich zu weiten Teilen am Unterricht in vergleichbaren Einrichtungen orientierte. Man studierte Dialektik, also die Kunst präziser Argumentation, Arithmetik, Geometrie, Astronomie und philosophische Fächer wie Ethik und Metaphysik.

Das Besondere am Studienangebot der christlichen Privatuniversität von Caesarea waren die letzten Semester. Die bestanden aus einer Kommentierung biblischer Bücher und der Erläuterung der Grundwahrheiten des christlichen Glaubens auf der Basis dieser biblischen Texte. Der begeisterte Schüler, der die Rede bei einer feierlichen Entlassungszeremonie hielt, hatte fünf Jahre an der Privatuniversität studiert und vorher ein Grundstudium in Beirut absolviert, weil die Einrichtung des Origenes (wie eine neuzeitliche Research University) keine Elementarausbildung anbot. Auch diese Form von christlicher „Theologie“ entspricht nur begrenzt unseren Vorstellungen. „Christliche Universitäten“, die ein Bildungsprogramm aus einem Guss und vor einem einzigen Hintergrund anbieten, gibt es zwar in Europa, aber sie entsprechen kaum mehr dem, was wir uns heute in einem pluralistischen Kontext wünschen. Und trotzdem traf die christliche Privatuniversität in Caesarea die Bedürfnisse der damaligen Zeit vorzüglich.

So, wie man in Alexandria die kanonischen Texte Platons kommentierte, wurde hier der biblische Text nach allen Regeln der philologischen Kunst ausgelegt. Und Origenes erklärte das Verhältnis zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist, also die Trinität Gottes, mit exakt den Vokabeln, in denen der entstehende Neuplatonismus die Entfaltung des Göttlichen zu begreifen suchte.

Die prophetischen Zirkel in Kleinasien und die Privatuniversität in Caesarea sind nur zwei Beispiele für die bunte Vielfalt, mit der in der römischen Kaiserzeit die Christen über ihre Religion und ihren Glauben nachdachten. Die Gestalt der Institution bestimmte zu einem guten Teil den Gehalt der Theologie, die in ihr entwickelt wurde. Natürlich gab es auch allerlei Gemeinsamkeiten zwischen den unterschiedlichen Formen der christlichen Reflexion. Aber diese Gemeinsamkeiten kann man erst dann angemessen beschreiben, wenn man die Unterschiede begriffen hat, die zwischen den unterschiedlichen Formen in der Antike bestanden und natürlich auch zur christlichen Theologie unserer Tage.

Zur Person:

Christoph Markschies (44) ist Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin und Professor für Ältere Kirchengeschichte. Zuvor lehrte er in Jena und Heidelberg. Zu seinem Forschungsschwerpunkt, dem Christentum in der Antike , hat Markschies zahlreiche Bücher veröffentlicht. Demnächst erscheint im Verlag Mohr Siebeck sein neues Buch über „Kaiserzeitliche christliche Theologie und ihre Institutionen“, auf dem der hier abgedruckte Text beruht. 2001 erhielt Markschies den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinsschaft. Er ist Leiter des Forschungsvorhabens „Die Griechischen Christlichen Schriftsteller“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und Sekretar ihrer geisteswissenschaftlichen Klasse. -ry

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