zum Hauptinhalt
Studenten stehen in einem Saal und blicken lächelnd auf Dokumente, die sie in Händen halten.

© imago/AFLO

Japans Universitäten vor großen Umbrüchen: Der demografische Wandel zwingt zu Reformen

Sinkende Geburtenraten, weniger Geld: Wie Japans Hochschulen in Zeiten des demografischen Wandels und einer dramatischen Staatsverschuldung bestehen wollen. Der Präsident der Universität Tsukuba beschreibt die Lage.

Vom 10. bis 12. Juni kommen über 50 Hochschulpräsidenten aller Kontinente zu einem Gipfeltreffen nach Hamburg, um über die Herausforderungen für Hochschulen zu diskutieren. Das erste Hamburg Transnational University Leaders Council wird von der Hochschulrektorenkonferenz und der Körber-Stiftung veranstaltet. Zu den Teilnehmern gehört auch Kyosuke Nakata, der Präsident der Universität Tsukuba, der für den Tagesspiegel die Lage in Japan skizziert. (Tsp)

Seit der Jahrtausendwende sehen sich die japanischen Universitäten einem zunehmenden Wettbewerbsdruck ausgesetzt. Die Gründe sind in weltweiten Globalisierungsprozessen im Allgemeinen sowie – auf nationaler Ebene – in der sinkenden Zahl 18-Jähriger und der sich verschlechternden Haushaltslage infolge überhöhter Staatsschulden zu suchen. Niedrige Geburtenraten und eine alternde Bevölkerung stellen für viele Industrieländer eine Herausforderung dar. Aufgrund seiner extremen Überalterung ist Japan jedoch schon jetzt gezwungen, eine Lösung zu finden, an der sich andere Länder zukünftig orientieren können. Noch 1966 betrug die Zahl der 18-Jährigen 2,49 Millionen, 2014 war sie bereits auf 1,18 Millionen gesunken; bis 2034 wird sie voraussichtlich auf unter eine Million fallen.

Staatsschulden - und weniger Zuschüsse für die Hochschulen

Um dem starken Rückgang der arbeitenden Bevölkerung und den sich ändernden Strukturen in der Industrie und auf dem Arbeitsmarkt etwas entgegenzusetzen, setzen die Japaner auf ihre Hochschulen. Sowohl die qualitative als auch die quantitative Entwicklung des intellektuellen Kapitals soll gefördert werden, um das Bildungsfundament des Landes zu stärken. Eine Verschuldung von über 6,5 Billionen US-Dollar hat die japanische Regierung aber dazu bewogen, ihre Zuschüsse für die staatlichen Hochschulen von 10,3 Milliarden US-Dollar im Jahr 2004 auf 9,6 Milliarden US-Dollar im Jahr 2015 zu kürzen. Diese drastische Maßnahme hatte schwerwiegende Folgen für die staatlichen Universitäten, da ihre Grundfinanzierung in hohem Maße von den staatlichen Zuschüssen abhängt.

In Anbetracht der erwähnten gesellschaftlichen Umbrüche ist die Hochschulreform zu einem zentralen politischen Thema geworden. Im Zuge der rechtlichen Überführung der staatlichen Universitäten in „national university corporations“ hat die Regierung bereits 2004 ein wettbewerbliches Finanzierungssystem mit einer leistungsorientierten Mittelverteilung eingeführt. Entsprechend forderte der Reformplan für staatliche Hochschulen von 2013, den Auftrag der Universitäten neu zu definieren und ihre Funktionalität zu verbessern. Im Sinne einer Differenzierung der Hochschullandschaft unterstützt die japanische Regierung die staatlichen Universitäten darin, bestimmte Stärken und Angebote herauszustellen und zu priorisieren, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.

Die Unis sollen in drei Klassen unterteilt werden

Entsprechend beabsichtigt die Regierung nun, die Universitäten in drei Funktionskategorien einzuteilen, nämlich in die Kategorien „Beitrag zu globaler Bildung und Forschung“, „Beitrag zu nationaler Bildung und Forschung“ und „Beitrag zur gesellschaftlichen Revitalisierung“. Die Bildungs- und Forschungsreform ist zentraler Bestandteil der „Revitalisierungsstrategie für Japan“ der Regierung Abe. Sie zielt auf die Ausbildung international wettbewerbsfähiger Arbeitskräfte, die Schaffung von Innovationen und die Herausbildung von Hochschulen, die zu den Weltbesten zählen. Mit Sorge sehen wir jedoch den großen Einfluss, den Wirtschaft und Industrie auf die Umsetzung der Hochschulreformen haben.

Lehre und Forschung sind organisatorisch getrennt

Die Universität Tsukuba wurde 1973 in der Tsukuba Science City als neues Modell für japanische Universitäten und als Speerspitze der Hochschulreform gegründet. Unsere Geschichte geht jedoch noch viel weiter zurück. Unsere Institution wurde 1872 als Normalschule und erste höhere Lehranstalt Japans gegründet. Zum Zeitpunkt ihrer Gründung war die Universität Tsukuba die erste Hochschule Japans, in der Lehre und Forschung in organisatorisch getrennten Einheiten verankert wurden. Ferner wurde erstmals ein System der Vizepräsidentschaft sowie ein neues universitätsweites Managementsystem ohne eigene Fakultätsräte eingeführt. Da diese Struktur vor 40 Jahren in Japan extrem fortschrittlich war, wurde sie damals nicht von anderen Universitäten übernommen, heute jedoch wird sie als Teil des Hochschulreformprozesses betrachtet.

Das Ziel: eine grenzüberschreitende Universität

Mit dem Ziel, eine Forschungseinrichtung mit globaler Präsenz zu werden, hat die Universität Tsukuba vorrangig zwei Perspektiven im Blick: Die globale Perspektive und die Zukunftsperspektive. Zunächst zur globalen Perspektive: Da die staatliche Förderung jährlich weiter sinkt, versuchen die Universitäten, sich verstärkt aus anderen wettbewerblichen Quellen zu finanzieren. Ich denke, diese Entwicklung lässt sich auch in Deutschland beobachten und wird durch die Exzellenzinitiative untermauert. Seit 2009 hat die japanische Regierung mehrere Großprojekte zur wettbewerblichen Finanzierung aufgesetzt, die zur globalen Wettbewerbsfähigkeit der Universitäten beitragen sollen. Die Universität Tsukuba konnte sich in jedem dieser Wettbewerbe erfolgreich durchsetzen. So erhält sie als eine von 13 Hochschulen Mittel im Rahmen des Top Global University Project. In diesem Kontext bringen wir die Hochschulreform durch unsere Bestrebungen voran, eine „grenzüberschreitende Universität“ zu werden, die ihre Ressourcen mit ihren Partnern weltweit teilt. So können unsere Studierenden teilweise an auswärtigen Partnerhochschulen studieren und Doppelabschlüsse erwerben. Zudem fördern wir die gemeinsame Forschung über nationale Grenzen hinweg, indem wir Forscher ausländischer Institute einladen und gemeinsam berufen.

34 Master- und Promotionsstudiengänge auf Englisch

Zur Zukunftsperspektive: Um trotz des demografischen Wandels wettbewerbsfähig zu bleiben, haben wir uns aktiv um die Aufnahme internationaler Studierender bemüht. Derzeit sind rund 2300 internationale Studierende in unseren Studienprogrammen eingeschrieben. Damit stehen wir in Japan prozentual an erster Stelle. Fünf Bachelor-Studiengänge und 34 Master- oder Promotionsprogramme werden bei uns ausschließlich auf Englisch unterrichtet. Wir unterstützen zudem die Verbreitung des International Baccalaureate Diploma Programme (IBDP) und werben mit unserem IB-Zulassungsverfahren aktiv leistungsfähige internationale Studierende an. Auf unserem Campus in Tokio bieten wir ferner berufsbegleitende Abendkurse an, die es in dieser Art in Japan zuvor nicht gab, darunter auch Master- und Promotionsstudiengänge sowie weiterbildende Masterstudiengänge für Berufstätige.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Japans staatlichen Universitäten aufgrund der niedrigen Geburtenrate und der öffentlichen Finanzlage immer bewusster wird, dass sich eine Verschlankung ihrer Angebote nicht vermeiden lässt. Um unsere Bildungs- und Forschungskapazitäten zu wahren, müssen wir sowohl mit anderen japanischen als auch mit internationalen Einrichtungen zusammenarbeiten. Vor diesem Hintergrund halte ich es für die Pflicht der Universität Tsukuba, die Hochschulbildung in Japan mit Blick auf globale und zukünftigen Entwicklungen zu fördern.

Einen Beitrag über das britische Hochschulsystem lesen Sie hier.

Kyosuke Nagata

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false