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Jubiläum: Die Welt als Bürgerkrieg

Faschismus-Forscher und Geschichtsphilosoph: Der umstrittene Historiker Ernst Nolte wird 85

Die Artikelüberschrift „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ wurde zum geflügelten Wort. Der Anlass hingegen ist allmählich in die Annalen der bundesrepublikanischen Vorgeschichte Deutschlands eingesunken. Mit dem Zeitungsaufsatz dieses Titels begann am 6. Juni 1987 der so genannte Historikerstreit.

Der bis dahin überaus renommierte Historiker Ernst Nolte begab sich mit diesem Beitrag – einer, wie er hinzufügte, „Rede, die geschrieben, aber nicht gehalten werden konnte“ – auf einen abschüssigen Weg, der alsbald in der Exkommunizierung aus der Scientific Community endete. Damit vollendete sich, wahrlich ungewollt, der überraschende Bogen seiner akademischen Laufbahn. Geboren am 11. Juni 1923 in Witten an der Ruhr, hatte Nolte das Glück, vom Wehrdienst in Hitlers Armee aufgrund einer körperlichen Behinderung verschont zu bleiben. Stattdessen studierte er Philosophie, Deutsch und Griechisch und begann unmittelbar nach Kriegsende eine zwanzigjährige Berufstätigkeit als Lehrer an altsprachlichen Gymnasien, unterbrochen von einer Freiburger Promotion über Karl Marx. Als er 1963 mit dem monumentalen Buch „Der Faschismus in seiner Epoche“ schlagartig ins Rampenlicht der Geschichtswissenschaft trat, brachte ihm seine Leistung die Habilitation ein und 1965 eine Berufung nach Marburg. Acht Jahre später folgte Nolte einem Ruf ans Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, wo er bis zu seiner Emeritierung 1991 lehrte.

Dieser Abschluss einer ungemein produktiven Lehr- und Forscherzeit war da schon zum Abgang durch die Hintertür missraten. Nun hat sich Ernst Nolte in den vergangenen Jahren gewiss in manch exotische Thesen verstiegen, hat sich vor allem eingemauert in das Gehäuse seiner Geschichtsphilosophie, die er als unbeirrte Suche nach Sinn und Zusammenhang der Geschichte zunehmend gegen Einwände immunisierte. Darüber sind die Leistungen Noltes in den Hintergrund geraten. Den Bruch markiert der „FAZ“-Artikel von 1986.

Er handelt von der NS-Vergangenheit. „Die Ungeheuerlichkeit der fabrikmäßigen Vernichtung von Millionen Menschen musste umso unfassbarer werden“, skizziert Nolte eingangs den historischen Ort seiner Reflexion, „je mehr die Bundesrepublik Deutschland durch ihre Gesetzgebung sich der Vorhut unter den humanitären Staaten zugesellte.“ So weit, so geläufig, so einvernehmlich. Doch einige Absätze später stockte Noltes Lesern der Atem: „War nicht der ,Archipel Gulag‘ ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der ,Klassenmord‘ der Bolschewiki das logische und faktische Prius des ,Rassenmords‘ der Nationalsozialisten?“ Die suggestiven Fragen münden in die These, dass „ein kausaler Nexus wahrscheinlich“ sei.

Der alsbald entfesselte Sturm der Entrüstung machte Nolte zur Unperson. Der als stupender Kenner des europäischen Faschismus ausgewiesene und als selbstverständlicher Herausgeber des Standardwerkes „Theorien über den Faschismus“ (1967) hoch angesehene Nolte musste sich vom – nebenbei fachfremden – Jürgen Habermas die „apologetischen Tendenzen in der deutschen Zeitgeschichtsschreibung“ vorhalten lassen. Die Singularität des NS-Völkermords, in der post-nationalen Bundesrepublik zur rituellen Beschwörung geronnen, hatte vergessen gemacht, dass über das Rankesche Postulat des „Wie es eigentlich gewesen“ hinaus das Vergleichen die Grundmethode aller Geschichtswissenschaft ist. Vergleichen, nicht verharmlosen! Schrieb nicht Nolte im gleichen Aufsatz, „kein Deutscher“ könne „Hitler rechtfertigen wollen“?

Nolte suchte die Ursachen, ja eine logische Begründung für die europäische Katastrophe. Gleich zu Beginn des Buches von 1963 definiert Nolte den Faschismus als „Antimarxismus“ mit einer „entgegengesetzten und doch benachbarten Ideologie“. Diese Nachbarschaft der Extreme ist es, die Nolte interessiert, wohl auch fasziniert hat, und die in die auf wackligen Füßen stehende Behauptung vom „kausalen Nexus“ mündete. Noltes Buch „Der europäische Bürgerkrieg 1917– 1945“, 1987 mitten im Getümmel erschienen, demonstriert denn auch die Logik des Autors: „Wenn aber im Bolschewismus der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg Unrecht und Recht auf so eigenartige Weise gemischt waren, dann konnte eine Gegenbewegung, die ihm an Militanz und Entschlossenheit gleichkommen wollte, nicht von vorneherein und vollständig im Unrecht sein.“ Nicht von vorneherein, nicht vollständig?

Nolte bezog diesen Satz auf Mussolini und den italienischen Faschismus, aber verstanden werden musste er als Apologie des Nazismus. Immer wieder deutet Nolte „auf den Ersten Weltkrieg als den unmittelbaren Wurzelgrund von Bolschewismus und Faschismus“. Demgegenüber verblassen die älteren Quellen der Hitlerschen „Weltanschauung“ im Antisemitismus Wiener Prägung.

Noltes Buch von 1963 bedeutete eine fundamentale Kritik an der Totalitarismustheorie mit ihrer Gleichsetzung von Rot und Braun. „Wenn ,der Faschismus‘ und nicht ,der Totalitarismus‘ als solcher die Epoche der Zwischenkriegszeit bestimmte,“ fasste Nolte 1998 zusammen, „dann waren nicht Ähnlichkeiten der Struktur das entscheidende, sondern der Kampf, der Bürgerkrieg, welcher in nahezu allen Staaten Europas die Parteien der extremen Linken und der extremen Rechten einander die Vernichtung ansagen ließ.“ Das ist der andere blinde Fleck in Noltes Denken: dass die parlamentarische Demokratie, wie sie in der Weimarer Republik Gestalt gewonnen hatte, stets von beiden radikalen Lagern aufs Äußerste bedroht wurde. Der Bürgerkrieg kannte drei Beteiligte, die beiden Extreme und die westliche Demokratie.

Mit dem Faschismus-Buch hatte sich Nolte als Einziger über die von der aus den USA (re-)importierten Politologie gesetzte Orientierung auf „den“ Westen hinweggesetzt und aus einer schier überwältigenden Literaturkenntnis erstmals eine vergleichende Darstellung des italienischen, französischen und deutschen Faschismus gewonnen. Sie ist bis heute unübertroffen – und hat seinen zumindest in Italien und Frankreich ungeschmälerten Ruf begründet. In die Tagesaktualität griff Nolte mit seinem zweiten, gleichfalls hoch angesehenen Werk, „Deutschland und der Kalte Krieg“ von 1974 ein, dem er 1983 den Band „Marxismus und industrielle Revolution“ hinzugesellte.

Erst das Bemühen, die – immer noch kontrovers gedeutete – Radikalisierung des NS-Regimes hin zum Völkermord an den Juden zu erklären, weckte Noltes merkwürdige Befürchtung, „die ganze Geschichte der Weltkriegsperiode“ werde „zum bloßen Konstrukt von Historikern, wenn das Schreckbild der Nationalsozialisten nicht einem genuinen Schrecken erwuchs“. Dieser als Ursache der Nazi-Verbrechen gedeutete Schrecken aber sei, so Nolte, die Erfahrung der bolschewistischen Bürgerkriegsterrors nach 1918.

Nach dem Zerfall des Ostblocks 1989/90 hätte Nolte seine bohrenden Fragen ohne jenen tagespolitischen Legitimationszwang stellen können, wie ihn Habermas mit seiner Beschwörung des „Verfassungspatriotismus“ gegen Nolte geltend gemacht hatte. Doch die Fachhistorik hatte Nolte mittlerweile derart durch Geschichtsphilosophie ersetzt, dass ihn die Rückkehr in die Mitte der Forschung womöglich nicht einmal mehr lockte. Die betreten schweigende Historikerzunft wird nicht umhin kommen, die Beiträge wie auch die Fragestellungen Ernst Noltes als Leistungen von großer Originalität und enormer Tragweite zu würdigen. Heute feiert der verstoßene Emeritus seinen 85. Geburtstag.

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