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Zwei Mädchen mit Filzstiften in den Händen blicken in die Kamera.

©  Stiftung Warentest/E. Zippel

Jugend forscht und testet: Wie lange malt der Filzer?

Zehntausende Jugendliche in Deutschland forschen und tüfteln – wie die Cousinen Judith und Eva. Sie erfinden Testroboter für Filzstifte - und für den Meeresboden.

Hoch und runter, hoch und runter. Immer wieder senkt sich der kleine Holzstab und knallt im 45-Grad-Winkel hart auf eine Fliese. Am Stab befestigt ist ein künstlicher Fingernagel, bunt lackiert. Wie lange wird der Nagellack dem Aufprall standhalten? Und was, wenn er anschließend noch Dutzende Male in Spülwasser getaucht und über einen Putzschwamm gerieben wird?

Judith Löcke aus Paderborn und Eva Wellmer aus Falkensee, 16 und 14 Jahre alt, sind ganz normale Teenager. Die beiden Cousinen lackieren zum Beispiel gerne ihre Fingernägel. Wie Millionen anderer junger Mädchen stehen sie manchmal ratlos vor den Regalen im Drogeriemarkt. Welchen Lack nehmen wir denn nun? Den teuersten, den billigsten?

Jugend testet - welcher Nagellack ist der beste?

An einem Tag vor rund zwei Jahren haben die beiden eine Idee. Was wäre, wenn man einen objektiven, wissenschaftlichen Test entwickeln würde? So beginnt Judiths und Evas Forscherkarriere. Mittlerweile mehrfach preisgekrönt.

Wissenschaftswettwerbe für Schüler, sogenannte Science Fairs, kommen ursprünglich aus den USA. Dort werden sie in den 1950ern populär und sind seitdem fest in der amerikanischen Popkultur verankert. Die Idee schwappt bald nach Europa und macht auch vor dem Eisernen Vorhang nicht halt. Ab 1956 veranstaltet die DDR die „Messe der Meister von Morgen“, im Volksmund bekannt als MMM. 1965 initiiert Henri Nannen, der damalige Chefredakteur des „Stern“, in Westdeutschland den Wettbewerb „Jugend forscht“, der mittlerweile der größte europäische Jugendwettbewerb im Bereich Naturwissenschaft und Technik ist. Rund 10 000 Jugendliche treten jedes Jahr an, 200 von ihnen erreichen das Bundesfinale, zehn werden am Ende ausgezeichnet.

Die Stiftung Warentest hat ihren Nachwuchswettbewerb „Jugend testet“ 1979 aufgelegt; rund 2000 Schüler machen jährlich mit. Und es gibt zahlreiche weitere nationale und internationale Ausschreibungen – etwa die Internationale Biologie- und Chemie-Olympiade, die bundesweiten Informatikwettbewerbe oder den Bundes-Umwelt-Wettbewerb.

Sie entwickeln einen standardisierten Belastungstest

Was die Jugendlichen bei diesen Wettbewerben einreichen, ist ziemlich beeindruckend. Judith und Eva versuchen dem Geheimnis haltbarer Nagellacke zunächst mit Fragebögen und Langzeitbeobachtungen auf die Spur zu kommen. Doch die Alltagsroutinen ihrer Testpersonen sind zu unterschiedlich, Aktivitäten wie Garten umgraben verfälschen das Ergebnis.

Die jungen Forscherinnen müssen ihre Strategie ändern. Eine Maschine muss her, die die Nägel standardisierten Belastungstests aussetzt. Den Aufbau kriegen die beiden gut hin, Judith ist schon seit Jahren in der Roboterbau-Szene aktiv. Doch mit dem maschinellen Ruinieren der Nägel ist die Arbeit noch nicht getan. Judith und Eva schreiben außerdem ein Computerprogramm. „Es vergleicht die RGB-Werte der Vorher-Nachher-Fotos“, erklärt Judith. Mit RGB (rot, grün, blau) ist der mathematisch darstellbare Wert einer Farbe gemeint. Ganz selbstverständlich benutzen die Mädchen mittlerweile solche Begriffe.

Lego macht erfinderisch: Auf der Suche nach Manganknollen

Mit ihrer Nagellacktestmaschine samt Auswertungssoftware schaffen es die Cousinen letztes Jahr in den Landeswettbewerb von „Jugend forscht“ in Brandenburg und gewinnen dort den ersten Platz. Von der „Jugend testet“-Jury werden sie mit einem dritten Platz geehrt. Der Erfolg spornt an, nahtlos machen die beiden weiter. Ihr Folgeprojekt hat nichts mit Kosmetik zu tun.

Es ist ein Roboter, der sich vorsichtig über den Meeresboden bewegt, um dort Manganknollen aufzusammeln. Das sind faustgroße Klumpen, die zu rund einem Viertel aus dem wertvollen Metall Mangan bestehen. Die Herausforderung: Der empfindliche Untergrund soll möglichst nicht zerstört werden.

Die Themen der Wettbewerbe sind immer auch ein Spiegel der Zeit. Einerseits lassen sich an ihnen die Interessen der Jugendlichen ablesen, andererseits soll durch bestimmte Wettbewerbsaufgaben die Beschäftigung mit echten Forschungsfragen gefördert werden. Zurzeit sind das vor allem: Umweltschutz, Klima, Biotechnologie.

Ihren Mangan-Crawler konstruieren Eva und Judith mithilfe von Lego Mindstorms – programmierbare Bausteine, Elektromotoren, Sensoren, Zahnräder, Pneumatikelemente. Als Träger nutzen sie ein Playmobil-Piratenschiff. Sie integrieren Ultraschallsensoren und Kameraübertragungen. Erneut überzeugen die Mädchen damit die Jury, diesmal die der „World Robot Olympiad“. Im Frühling 2016 fliegen die beiden zum Weltfinale nach Dubai.

Das Wohnzimmer wird zum Labor

Dass sie wegen solcher Reisen immer mal wieder in der Schule fehlen, nehmen ihre Lehrer größtenteils gelassen hin. An ihren Projekten arbeiten die Cousinen oft über viele Monate, meistens an den Wochenenden. Dann fährt Eva zu Judith nach Paderborn, und das dortige Wohnzimmer wird zum Labor umfunktioniert. Gibt es denn nie Phasen, in denen sie die Lust verlieren?

So seien sie nicht, sagen beide. „Wenn wir etwas anfangen, dann ziehen wir das durch.“ Die Eltern unterstützen ihre Töchter, halten sich aber im Hintergrund. In Sachen Robotik und IT-Kenntnisse sind die Mädchen ohnehin lange an ihnen vorbeigezogen.

Manchmal, wenn es hakt, werden die älteren Geschwister von Judith zu Rate gezogen. Am liebsten aber tüfteln die beiden alleine. „Das ist ja gerade die Herausforderung, dass man es schafft, die Probleme zu lösen.“

Wer bei solchen Antworten denkt, dass Judith und Eva Techniknerds ohne soziale Kontakte sind, der irrt. „Ich spiele auch noch zwei Instrumente“, sagt Judith. Eva macht orientalischen Tanz. In der Woche treffen sie sich mit Freunden, gehen ihren anderen Hobbys nach. „Da kommt nichts zu kurz“, sagt Judith lachend.

Am Ende der Testreihe steht eine 15- bis 20-seitige Auswertung

Zurück aus Dubai, haben sich die Cousinen im vergangenen Jahr dem nächsten Alltagsthema zugewandt: Filzstifte. Welche malen am längsten? Welche lassen sich aus Kleidung auswaschen, welche verlieren schnell ihre Kappen? Ihr Stifttestroboter ist ein wahres Wunderwerk der Technik. Der eingeklemmte Filzstift wird stundenlang über eine Kassenbon-Rolle gezogen. „Parallel prüft die Maschine in Echtzeit die Lauflängenergiebigkeit des Stiftes, indem sie mit Licht- und Farbsensoren die Deckkraft misst“, erklärt Judith. Am Ende ihrer komplexen Testreihen schreiben sie 15- bis 20-seitige Auswertungen. Selbst für Erwachsene ist das anspruchsvolle Lektüre. Im Juni 2017 gewinnen sie mit dem Filzstifttest den ersten Platz bei „Jugend testet“.

Online nachlesen kann man ihre Auswertung leider nicht. Dabei geht es durchaus um den Brückenschlag zur Wirtschaft. Meist werden die Wettbewerbe von Stiftungen ausgerichtet, die mit großen Unternehmen kooperieren. Gemeinsames Ziel: Nachwuchs für den Technologiestandort Deutschland heranzüchten. Die Jugendlichen sollen Lust bekommen auf ein Ingenieur- oder Chemiestudium, auf Mathe, Physik, Biologie.

Was mit Naturwissenschaft oder Technik studieren? Eher nicht

Laut „Jugend forscht“ klappt das ziemlich gut: Neun von zehn erfolgreichen Wettbewerbsteilnehmern würden später ein naturwissenschaftlich-technisches, ein mathematisches oder ein medizinisches Fach studieren.

Bei Judith und Eva sieht es indes noch nicht danach aus. Obwohl sie nun schon mehr als zwei Jahre Roboter bauen, Versuchsanordnungen entwickeln und Computerprogramme schreiben, hat keine der beiden derzeit den Plan, mal Informatik oder ähnliches zu studieren. Eva, die Jüngere, Stillere, schreibt für ihr Leben gern. Judith hat durch die Wettbewerbe den Spaß am Kommunizieren und Präsentieren entdeckt. Auf ihrem ersten Platz wollen sich die beiden trotzdem nicht ausruhen. Die nächsten Projekte sind schon in Planung. Ab Herbst ist wieder Forschersaison, dann beginnen bei vielen Wettbewerben die Anmeldefristen und Vorrunden. Was sie sich diesmal vorknöpfen werden? „Das verraten wir noch nicht.“

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