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Troja

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Zivilisation: Karawanen um Troja

Eine Welt in Bewegung: Der Kulturaustausch in Kleinasien setzte viel früher ein, als Raoul Schrott uns glauben machen will. Offenbar waren Völker schon 3000 vor Christus vernetzt.

Zwei europäische Urmythen werden derzeit von einem Einzelkämpfer auseinander genommen: Troja, die antike Stadt, die für zehn Jahre völkerverderbenden Krieg steht und Homer, der fest im europäischen Bildungsgut installierte erste Großdichter.

Raoul Schrott, österreichischer Dichter und habilitierter vergleichender Literaturwissenschaftler, stellt in seinem neuen Buch („Homers Heimat“. Der Kampf um Troia und seine realen Hintergründe, Hanser-Verlag, 2008) beide Urmythen radikal infrage. Das Geschehen um Troja verlegt er von der Nordwestecke der Türkei 800 Kilometer südlich nach Karatepe (bei Adana). Und der Dichter von Ilias und Odyssee mutiert bei ihm zu einem griechischen Kanzleischreiber des 7. oder 6. Jahrhunderts v. Chr. in assyrischen Diensten.

In der Gegend von Karatepe – einer 45 Kilometer vom Meer entfernten Grenzburg eines Nachfolgekönigtums der Hethiter – erkennt Schrott Homers „trojanische“ Landschaften. Die Hethiter waren eine Großmacht im 2. Jahrtausend v. Chr., die große Teile des vorderen Orients beherrschte. Aus assyrischen Keilschrift-Annalen, Altem Testament und sumerischem Gilgamesch-Epos habe Homer Anregungen oder ganze Erzählstränge für seine Ilias abgekupfert. Für die Beweisführung seiner Thesen verweist Schrott immer wieder auf materielles und geistiges Erbgut aus dem Vorderen Orient, das sich in Homers Troja-Welt nachweisen lasse.

Nun ist dieser Geist-und-Gut-Transfer von Ost nach West aus archäologischer Sicht nicht neu und als Beweismittel für Schrotts These kaum geeignet – denn der Kulturaustausch setzte viel früher ein, als uns der Dichter glauben machen will.

Archäologen haben in den letzten zwei Jahrzehnten nachgewiesen, dass die Welt von Griechenland bis ins Industal spätestens um 2500 v. Chr. – durch Fernhandel und Ideenaustausch – eng vernetzt war. Grabungen holten bis vor kurzem noch völlig unbekannte Orte wie Limantepe (bei Izmir) und Küllüoba (bei Eskisehir) aus dem Zwielicht der Frühen Bronzezeit; ganz fern im Nordwesten Kleinasiens blitzt der Siedlungshügel Hirsalik (wie das antike Troja heute heißt) auf. Und auf der griechischen Halbinsel Peloponnes, erkennt Joseph Maran, Archäologe an der Universität Heidelberg, „gleichartige Entwicklungen wie im Vorderen Orient: die Entstehung von Eliten, Administration und von komplexen Gesellschaften“.

Es tat sich was, es war eine Gründerzeit und der Schub kam über Anatolien aus der Levante (Palästina), Syrien und Mesopotamien – aus dem Alten Orient eben. Um 2500 v. Chr. steigerte sich dieser wechselseitige Handels- und Informationsaustausch zwischen den Regionen, was die Archäologen an immer wiederkehrenden Artefakttypen aus Metall, Ton und Marmor dingfest machen können. Angetrieben wurde der Kreisel durch die Sucht einer aufkommenden Elite nach Prestige- und Luxusgütern. „Die Motive für solche Kontakte waren Geben und Nehmen“, summiert Maran. Aus dem Geben und Nehmen zwischen Eliten entwickelte sich organisierter Handel: Die expandierenden Reiche im Zweistromland suchten ständig nach neuen Lieferanten für dringend benötigte Rohmaterialien wie Metalle, Steine oder Holz.

Dadurch wurden Orte wie Limantepe groß und reich. Diese prähistorische Stätte beim Ort Urla, 40 Kilometer westlich von Izmir, ist eine archäologische Sensation, von der niemand spricht: Eine stark befestigte Stadt mit einer gemauerten, 100 Meter langen und 40 Meter breiten Hafenmole – der ersten und einzigen im 3. Jahrtausend. Die Stadt war Zentrum einer ausgedehnten Viehzucht, Bronzewerkstätten sprechen für rege Metallverarbeitung. Anatolische Keramikscherben belegen feste Verbindungen ins kleinasiatische Hinterland, der einmalige Hafen diente dem Überseehandel. „Limantepe war eine richtige Stadt und das Zentrum einer größeren politischen Einheit“, charakterisiert der Ausgräber Hayat Erkanal von der Universität Ankara die Handelsmetropole um 2500 v. Chr.

Turan Efe, Archäologe an der Istanbuler Universität, hat in 20-jähriger Kärrnerarbeit eine nie gedachte Handelsverbindung quer durchs anatolische Land um 2500 v. Chr. nachgewiesen. Sein Grabungsort „Küllüoba“ (beim heutigen Eskisehir) war Verteilerstation einer Karawanenroute vom Marmarameer bis ins südanatolische Tarsus (bei Adana), dem Tor nach Syrien und Mesopotamien. Die Landroute hatte Abzweigungen nach Troja, Milet, Limantepe und ins zentralanatolische Hochland. In Küllüoba konnte Turan Efe zum ersten Mal auf anatolischem Boden auch das mesopotamische Architektursystem „Tor-Hof-Palast“ nachweisen. „Küllüoba war sicher ein Zentrum mit Elite und Verwaltung. Külloba lebte vom Handel und war auf dem Weg zur Urbanisierung“ bewertet Turan Efe die Karawanenstation im anatolischen Binnenland um 2500 v.Chr.

Der zunächst übliche Tauschhandel wurde mit zunehmender Variationsbreite der Waren schwierig; man suchte nach objektiven Kriterien für den Wert einer Sache. „Der abstrakte Schritt zu einer Feststellung von Masse-Einheiten mittels Gewichten wurde im 3. Jahrtausend v. Chr. vollzogen“, schreibt Lorenz Rahmstorf. Mit neuen Funden und Bewertungen weist der Archäologe an der Universität Mainz nach, dass das vorderasiatische Messsystem auch in der Ägäis und Troja verwendet wurde. Das orientalische Gewichtssystem ist, Rahmstorf vermerkt es ausdrücklich, „älter als die ersten sicher datierten Gewichte im Ägypten des Mittleren Reichs“.

Und um aus schriftlichen Quellen zu schöpfen, hätte Homer nicht zwingend auf assyrische Keilschrift-Annalen des 7. oder 6. Jahrhunderts v. Chr. zurückgreifen müssen. Schon um 2000 v. Chr. gab es in Anatolien Schriftlichkeit: zunächst die Keilschrift der assyrischen Kaufleute in ihrer anatolischen Handelszentrale Kanesch und kurz darauf die luwischen Hieroglyphen, ein anatolisches Eigengewächs in Sachen Schrift, von dem allerdings aus der Frühzeit wenig erhalten ist.

Die Welt war also schon ab 3000 v. Chr. zielgerichtet in Bewegung. Mit den Waren wanderten Ideen, technologisches Know how und, natürlich, Geschichten, Heldenlegenden und Märchen über weite Strecken. Die Beweise für den materiellen Transfer liefert die Archäologie in mühevoller Kleinarbeit an vielen Orten. Aber: syrische Flaschen in der Ägäis, ägäische Keramik in Zentralanatolien, Levante-Siegel in der Nordwesttürkei, hethitische Bohrtechnik auf dem Peloponnes oder orientalische Gewichte in Troja sind eben nicht schlagzeilenträchtig.

Von dem Autor erscheint Ende des Monats im Theiss-Verlag das Buch „Türkei – Wiege der Zivilisation“, das sich mit den kulturellen und historischen Wechselbeziehungen zwischen Orient und Okzident via Anatolien befasst.

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