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Experiment mit Folgen. Für die neue Gentherapie wird einer befruchteten Eizelle der Vorkern entnommen und in die Eizell-Hülle einer Spenderin eingesetzt. So soll das Kind alle relevanten Gene von Mutter und Vater bekommen und trotzdem gesund bleiben.

© dpa

Keimbahn-Experimente: Lehren aus dem "Drei-Eltern-Baby"

Weil eine Gentherapie nicht alle künftigen Generationen betreffen soll, waren Eingriffe in die menschliche Keimbahn bisher tabu. Großbritannien macht das nun in Ausnahmefällen möglich - und sofort regt sich Protest. Dabei sollten wir erst einmal zuhören. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jana Schlütter

Es war ein Tabubruch von historischer Tragweite. Das britische Unterhaus hat entschieden, dass in Ausnahmefällen die Manipulation der menschlichen Keimbahn erlaubt werden soll. Das birgt bioethischen Sprengstoff. Denn die neue Form der Gentherapie verhindert nicht nur, dass unheilbare, oft tödliche Erbkrankheiten von der Mutter an ihre Kinder weitergegeben werden. Sie betrifft alle folgenden Generationen. In Deutschland, wo regelmäßig über grüne Gentechnik gestritten wird, als wollten Forscher damit die Nahrungsmittel vergiften, wäre ein solcher Schritt undenkbar.

Entsprechend kategorisch waren die Reaktionen. Die katholischen Bischöfe meinen, das Votum der Briten für das „Drei-Eltern-Baby“ sei nicht hinnehmbar. Der Eingriff würde die Identität des Kindes berühren. Er würde Tür und Tor für eine Selektion zwischen lebenswerten und lebensunwerten Menschen öffnen. Das Designerkind sei damit in Reichweite. Jede einzelne dieser Aussagen geht am eigentlichen Problem vorbei.

Eines von 5000 Kindern kommt mit fehlerhaften Mitochondrien zur Welt. Diese kleinen Zellteile (Organellen) sind in jeder Zelle für die Energieversorgung zuständig und haben ihr eigenes Erbgut: 37 Gene. Unter anderem für Herz, Hirn und Muskeln ist es ungünstig, wenn sie durch einen Erbgutdefekt zu schwach sind oder ganz ausfallen. Es gibt keine Heilung. In vielen Fällen sind Eltern verdammt, ihrem Kind beim Sterben zuzusehen. Wenn sie ein weiteres Kind bekommen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es ihm ebenso ergehen wird.

Patienten setzen große Hoffnungen in diese Technik

Forscher aus Newcastle wollen diese furchtbare Lotterie beenden. Sie entkernen die Eizelle einer anonymen Spenderin, so dass nur noch die Hülle mit den gesunden Mitochondrien vorhanden ist. In diese Hülle führen sie den Zellkern einer befruchteten Eizelle ein – mit allen relevanten Erbinformationen von Mutter und Vater, die die Identität eines Menschen ausmachen. Die Spenderin beeinflusst weder Augenfarbe noch Charakter noch irgendeine andere Eigenschaft. Ihre 37 Mitochondrien-Gene sorgen nur dafür, dass die Zellkraftwerke gesund sind. Es geht um einen so verschwindend geringen Prozentsatz der Gene, dass das Wort vom „Drei-Eltern-Baby“ fragwürdig ist.

Patienten, die sich ein eigenes Kind wünschen, setzen große Hoffnungen in diese Technik. Bereits im Herbst könnte erstmals ein so manipulierter Embryo in die Gebärmutter einer Frau eingesetzt werden. Allerdings gibt es kein Zurück. Alle künftigen Generationen dieser Familie werden mit den Folgen leben, auch wenn sich unvorhergesehene Probleme ergeben. Einzelne Forscher warnen, es sei zu früh, diese rote Linie zu überschreiten. Die Briten überlassen es nun den betroffenen Familien, ob sie dieses Risiko eingehen wollen. Sie wissen letztlich am besten, was die Alternative ist.

Wir sollten von den Briten lernen

Auch in den USA beraten Experten, ob man den Eingriff in die Keimbahn wagen sollte, um mitochondriale Krankheiten zu verhindern. Deutsche Patienten werden versuchen, in solche Studien eingeschlossen zu werden. In einer globalisierten Welt kann das keiner verhindern. Beispiele gibt es genug, von der Eizellspende über die Leihmutterschaft bis zur Präimplantationsdiagnostik.

Vater, Mutter, Eizellspenderin. Wollen wir das? Nationale Denkverbote und vorgefertigte Meinungen helfen nicht weiter. Statt reflexhaft auf das Votum in Großbritannien zu reagieren, sollten wir von den Briten lernen. Sie haben uns vorgeführt, wie öffentliche Willensbildung zu einem komplexen, bioethischen Thema funktionieren kann. Sie haben die Frage nicht in den Ethikrat oder eine Enquetekommission abgeschoben. Vielmehr haben sie einen mehrstufigen, öffentlichen Konsultationsprozess angestrengt, den man nur als vorbildlich bezeichnen kann. Natürlich gab es hitzige Debatten. Aber man darf normalen Menschen zutrauen, sich sachlich mit Wissenschaft und ethischen Grenzen auseinanderzusetzen. Viele andere Themen hätten einen solchen Umgang verdient. Am Ende gab selbst die Kirche von England zu Protokoll, sie sei gar nicht „prinzipiell dagegen“.

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