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Kernenergie: Das vierte Atomzeitalter

Mehr Energie, weniger Abfall – aber auch sicherer? Pläne für eine neue Generation von Kernkraftwerken.

In Deutschland ist ihr Ende anscheinend besiegelt. In anderen Ländern jedoch wird an der Kernenergie als Stromquelle festgehalten, einige Staaten wie Indonesien, Ägypten oder Polen wollen sogar in die Technik einsteigen. Während manche Experten von einer Renaissance der Technik überzeugt sind, sehen andere Prognosen einen sinkenden Anteil für die Kernspaltung an der Stromerzeugung. Unabhängig davon, welche Voraussage eintritt, werden weltweit Atomkraftwerke (AKW) noch über Jahrzehnte betrieben beziehungsweise neu gebaut.

Das sollen in Zukunft vor allem Kraftwerke der „vierten Generation“ sein. Unter diesem Begriff werden Konzepte zusammengefasst, die nach Ansicht von Fachleuten am vielversprechendsten sind. Befürworter der Kerntechnik argumentieren damit, dass die AKWs der neuen Generation sicherer sein sollen als die bisherigen Anlagen, weniger Brennstoff verbrauchen und weniger radioaktive Abfälle hinterlassen, die zudem eine kürzere Halbwertzeit haben. Und das alles zu einem konkurrenzfähigen Preis. Die einzelnen Konzepte kommen den Versprechen mehr oder weniger nahe. Hier ein Überblick:

LEICHTWASSERREAKTOR MIT ÜBERKRITISCHEM WASSER

Dieses Prinzip ist an die weit verbreiteten Druck- und Siedewasserreaktoren angelehnt. Wasser dient als Kühlmittel für den Reaktorkern, es nimmt dessen Wärme auf und treibt Turbinen an. Bei herkömmlichen Reaktoren kommt das Wasser mit etwas über 300 Grad Celsius aus dem Kern. Gelingt, es diese Temperatur auf mehr als 500 Grad zu erhöhen, nimmt auch der Wirkungsgrad zu, von derzeit 33 auf rund 45 Prozent. Dazu muss der Druck im Kreislauf auf mindestens 230 bar gesteigert werden. Dann wird Wasser „überkritisch“, das ist ein Aggregatszustand, der zwischen flüssig und gasförmig liegt und unter normalen Bedingungen unerreichbar ist. Neben einem deutlich höheren Wirkungsgrad haben die potenziellen Kernkraftwerke den Vorteil, dass sie im Prinzip die Kühl- und Turbinentechnik von fossil befeuerten Dampfkraftwerken nutzen können, die bereits seit Jahren bei bis zu 600 Grad Kühlmitteltemperatur arbeiten. Das senkt die Entwicklungskosten.

Der Nachteil der höheren Temperatur und des superkritischen Wassers: Noch fehlt es an geeigneten Materialien für den Reaktorkern, die sowohl korrosionsbeständig als auch stabil genug sind, um etwa den hohen Druck im Brennstab auszuhalten.

HÖCHSTTEMPERATURREAKTOR

Bei diesem Typ wird die Temperatursteigerung noch weiter getrieben, auf bis zu 1000 Grad. Allerdings nutzt er kein Wasser zur Kühlung, sondern Helium. Das Gas hat den Vorteil, dass es chemisch stabil ist und die Anlage nicht angreift. Dieser Kraftwerkstyp geht auf den Kugelhaufenreaktor zurück, wie er beispielsweise bis 1988 in Jülich betrieben wurde.

Aufgrund der hohen Temperaturen gibt es auch hier große Herausforderungen an die verwendeten Materialien. Andererseits sind dadurch auch andere Anwendungen neben der Stromgewinnung möglich, etwa Prozesswärme für die chemische Industrie. Vor allem für die Herstellung von Wasserstoff, der als transportabler und effektiver Energiespeicher gilt, ist das interessant. Weiterhin ist er relativ sicher, weil der Reaktorkern nicht schmelzen kann und kein Notfallkühlsystem erforderlich ist.

SCHNELLE REAKTOREN

Sie gehen zurück auf das Prinzip der „schnellen Brüter“. Schnell steht dabei für die Geschwindigkeit der Neutronen, sie werden nicht durch einen Moderator gebremst. Im Gegensatz zu den übrigen Konzepten, die das selten vorkommende Isotop Uran-235 benötigen (das aufwendig angereichert werden muss), arbeiten diese Anlagen mit Uran-238, das bei natürlichem Uran einen Anteil von mehr als 99 Prozent hat. Dieses Isotop an sich ist nicht spaltbar. Indem es aber ein Neutron einfängt, bildet es über einen Zwischenschritt den Kernbrennstoff Plutonium-239. Diese Plutoniumsorte kann jedoch ebenfalls für Atomwaffen verwendet werden, ein Effekt der bei älteren Reaktortypen durchaus erwünscht war. Deshalb fordern Kerntechniker, dass die künftigen Anlagen von vornherein so ausgelegt werden, dass das Risiko der Proliferation umgangen wird. Etwa, indem das Uran nicht wenige Monate, sondern weitaus länger im Reaktor bestrahlt wird, weil dann mehr Plutoniumisotope entstehen, die für Bombenbau ungeeignet sind.

Andererseits ermöglichen schnelle Reaktoren eine bessere Nutzung der Uranvorräte und eine Verwertung hochradioaktiven Atommülls. Allein mit dem bereits geförderten Erz und den vorhandenen abgebrannten Brennstäben könnte die Stromversorgung theoretisch über gut 3000 Jahre gesichert werden.

Allerdings ist die Kühlung der Anlage problematisch, weil sich in dem relativ kleinen Kern vergleichsweise viel Brennstoff befindet. Mit Wasser bekommt man die Temperatur nicht in den Griff, stattdessen setzt man beispielsweise auf flüssiges Natrium. Doch das kann bei Kontakt mit Sauerstoff brennen. Weiterhin werden als Kühlmittel gasförmiges Helium oder flüssiges Blei verfolgt. Auf jeden Fall ist die Wärmeentwicklung so groß, dass zwingend Notfallkühlsysteme installiert werden müssen, um im Gefahrenfall ein Überhitzen zu vermeiden.

SALZSCHMELZENREAKTOR

Dieser Typ ist noch am wenigsten weit entwickelt. Er sieht vor, dass die Brennstoffe Uran und Plutonium in flüssigem Salz gelöst werden, das gleichzeitig als Kühlmittel dient. Die Spaltprodukte werden ständig aus der Lösung abgetrennt, direkt im Kraftwerk. Die Herstellung sowie die aufwendige Wiederaufarbeitung von Brennelementen wären damit nicht nötig. Vorteil der Anlage ist, dass sie sehr wenig Brennstoff verbraucht und so eingestellt werden kann, dass nur sehr wenig hochradioaktiver Abfall entsteht.

STARTZEIT UNGEWISS

Welches der genannten Konzepte sich durchsetzt, ist ungewiss. „Zumindest der gasgekühlte schnelle Reaktor ist ziemlich abgeschlagen“, sagt Thomas Schulenberg, Leiter des Instituts für Kern- und Energietechnik am Karlsruher Institut für Technologie. Bei den anderen müsse sich zeigen, welcher Typ es zur Praxisreife bringt. „Letztlich entscheidet das der Markt, die Betreiber wollen möglichst billige Reaktoren.“ Aus diesem Grund würden vor allem in Asien meist herkömmliche Leichtwasserreaktoren gekauft. Je nach Standort liegen die spezifischen Kosten für aktuelle Bauprojekte bei 1000 bis 3000 Euro pro Kilowatt. Ob die Kraftwerke der vierten Generation diese Preise unterbieten können, ist unklar. „Hinzu kommt, dass der erste Reaktor einer neuen Baureihe immer teurer ist als die nachfolgenden“, sagt Schulenberg und verweist auf das Beispiel des Europäischen Druckwasserreaktors der „Generation 3+“, der zurzeit im finnischen Olkiluoto errichtet wird. Die Baukosten haben sich mittlerweile nahezu verdoppelt auf gut fünf Milliarden Euro. Nach zahlreichen Verzögerungen wird er voraussichtlich erst 2012 ans Netz gehen.

Das „Generation IV International Forum“, ein Zusammenschluss von 13 Ländern, glaubt dennoch, zwischen 2020 und 2030 erste Kraftwerke des neuen Typs ans Netz bringen zu können. Auftrieb erhielt die Prognose etwa durch die Pläne des US-Präsidenten, den Bau neuer Atommeiler mit Krediten zu ermöglichen. Das US-Energieministerium will die Forschung an den Anlagen der vierten Generation mit bis zu 40 Millionen Dollar unterstützen. Nach Angaben der Behörde soll bis 2021 ein Demonstrationskraftwerk stehen, das Strom und Wasserstoff erzeugen kann.

SICHERHEIT

Im Zusammenhang mit den Kraftwerken der vierten Generation wird oft das Argument genannt, dass diese generell sicherer seien als vorhandene Anlagen. „Das würde ich nicht unbedingt sagen, auch wenn das manche Kollegen ungern hören“, entgegnet Schulenberg. „Ein neues System kennt man niemals so gut wie eines, das bereits 30 Jahre läuft.“ Aus seiner Sicht wäre schon viel erreicht, wenn die neuen Anlagen so sicher sind wie die heutigen. „Man muss auch fragen, was unter dem Begriff ,Sicherheit’ eingeordnet wird“, fügt der Kernforscher hinzu. Es gehe nicht nur darum, eine Schmelze zu verhindern, was etwa beim Hochtemperaturreaktor bauartbedingt ausgeschlossen sei. Auch die Fragen, ob ein Reaktor explodieren kann oder brennt, seien wesentlich. „Da gibt es zu viele Kriterien, die eine Rolle spielen, um eine pauschale Antwort zu geben.“

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