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Baustelle des Fusionsreaktors Iter

© Iter Org.

Kernfusion: Fusionsreaktor Iter wird frühestens 2025 fertig

Beim Kernfusionsreaktor „Iter“ gibt es erheblichen Verzug - und teurer wird er auch. Die Konkurrenz kommt näher.

Es ist umstritten wie kein anderes wissenschaftliches Großvorhaben: das Kernfusionsexperiment „Iter“. Nach jahrelangen Querelen um Standort und Finanzierung wächst nun im Süden Frankreichs nahe Saint-Paul-lès-Durance der Rohbau für eine abenteuerliche Forschungsanlage. Zentrum ist ein 30 Meter großer Hightech-Doughnut. In seinem Inneren wollen Physiker die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium auf 100 Millionen Grad Celsius bringen, auf dass sie miteinander verschmelzen. Bei diesem Vorgang wird – gemessen an der Brennstoffmenge – enorm viel Energie frei. So viel, dass die Kernfusion, die normalerweise im Innern von Sternen abläuft, eine tragende Säule der Energieversorgung auf Erden werden könnte, hoffen Forscher: klimafreundlich und nahezu ohne strahlenden Abfall.

Die Fusionskonstante: "In 40 bis 50 Jahren."

Kritiker halten es für eine Schnapsidee, das „Sonnenfeuer auf die Erde zu holen“. Zu extrem sei die Physik, zu groß die technischen Anforderungen, als dass es der Menschheit gelingen könnte, die Kernfusion in absehbarer Zeit zu beherrschen. Ganz zu schweigen von den Kosten. Den Witz von der „Fusionskonstante“ kennt inzwischen fast jeder: Egal, wann man die Fachleute fragt, es dauert immer „40 bis 50 Jahre“, bis derartige Kraftwerke Strom liefern werden.

Das Herz des Reaktors. Iter ist nach dem „Tokamak“-Prinzip aufgebaut: in einem ringförmigen Gefäß ist Plasma eingeschlossen, darin soll die Fusion stattfinden. Dabei wird Wärme frei, die wie in einem gewöhnlichen Kraftwerk genutzt wird, um Dampf zu erzeugen und Turbinen anzutreiben. Iter selbst soll keinen Strom erzeugen, sondern zunächst helfen, die Technik zu entwickeln.
Das Herz des Reaktors. Iter ist nach dem „Tokamak“-Prinzip aufgebaut: in einem ringförmigen Gefäß ist Plasma eingeschlossen, darin soll die Fusion stattfinden. Dabei wird Wärme frei, die wie in einem gewöhnlichen Kraftwerk genutzt wird, um Dampf zu erzeugen und Turbinen anzutreiben. Iter selbst soll keinen Strom erzeugen, sondern zunächst helfen, die Technik zu entwickeln.

© Abb.: Iter Organisation

Gerade Iter lieferte immer wieder Argumente für diese spöttische These. Fünf Milliarden Euro sollte der Forschungsreaktor ursprünglich kosten und Mitte dieses Jahrzehnts das erste Plasma in seinem stählernen Kessel aufkochen. Immer wieder gab es Verzögerungen, die Kosten wuchsen. Die letzten Schätzungen beliefen sich auf gut 15 Milliarden Euro und eine Fertigstellung um 2023. Am Donnerstag wollte der Iter-Generaldirektor Bernard Bigot endlich einen neuen Zeit- und Kostenplan veröffentlichen.

Ein neuer Zeitplan wurde angekündigt, aber nicht veröffentlicht

Dazu kam es überraschenderweise nicht. Der Iter-Rat, in dem die sieben beteiligten Nationen vertreten sind, wolle den Plan überprüfen und nach weiteren Verbesserungsmöglichkeiten suchen, hieß es in einer Mitteilung der Organisation. Bei der nächsten Ratssitzung im Juni 2016 soll dann ein gültiger Plan beschlossen werden. Das Fachmagazin „Science“ berichtet aus dem Umfeld der Sitzung, dass sich die Fertigstellung mindestens bis 2025 verzögern werde. Zudem seien die Mitgliedsstaaten gebeten worden, mehr Geld in das Projekt zu geben.

Der Franzose Bigot hatte die Leitung der Iter-Organisation erst im März von Osamu Motojima (Japan) übernommen. Jeder wusste, dass es bei dem Großprojekt nicht rundlief. In einem internen Bericht von 2013 wurden zu viel Bürokratie und mangelhaftes Projektmanagement der Organisation angeprangert. Dazu kam der geringe Gestaltungsspielraum der Iter-Organisation selbst. Die eigentlichen Machthaber waren die nationalen Agenturen, die für die Mitgliedstaaten USA, Russland, Südkorea, Japan, Indien, China und die EU sprachen. So wurden Aufträge für bestimmte Bauteile an mehrere Länder gegeben, damit die jeweilige Industrie entsprechende Hightech-Fähigkeiten erwerben konnte. All das verzögerte den Bau. Bigot, einem erfahrenen Forschungsmanager, traute man zu, endlich aufzuräumen und das kriselnde Projekt wieder flottzukriegen.

Mehr als 6,6 Milliarden will Europa nicht bezahlen

Das hat offenbar seinen Preis – was wiederum neue Probleme schafft. Die EU, damit auch Deutschland, hatte aus Angst vor einem Milliardengrab im Jahr 2010 ihren Beitrag für den Bau von Iter auf höchstens 6,6 Milliarden Euro festgeschrieben (was laut Bundesforschungsministerium einem Anteil Deutschlands von rund einer Milliarde Euro entspricht). Wer soll nun für die Mehrkosten aufkommen?

Die Fronten sind verhärtet. Kritiker wie Sylvia Kotting-Uhl, Sprecherin für Atompolitik bei der Bundestagsfraktion der Grünen, fordern, so schnell wie möglich aus dem Projekt auszusteigen. Es sei „herausgeworfenes Geld“. Bis die Technik einsatzbereit sei – wenn überhaupt –, wären die erneuerbaren Energien längst flächendeckend verbreitet. Die Regierung bekennt sich zwar zu dem Forschungsvorhaben, pocht aber auf das 6,6-Milliarden-Limit.

Soll die Aufteilung der Baukosten geändert werden?

Stefan Kaufmann (CDU) hingegen, Obmann des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, sieht in der Kernfusion „die große Chance auf eine neue saubere und sichere Energiequelle der Zukunft“. Er stehe weiter zu dem Vorhaben, trotz höherer Kosten und zeitlicher Verzögerung, sagte er dem Tagesspiegel. Er habe großes Zutrauen in Bigot. „Mit ihm kommt das Projekt nun auch in der Umsetzung in die richtige Spur.“ Der Ausschuss werde das Vorhaben und seine Leitung weiter genau beobachten und auf die Einhaltung der Kostendeckel achten.

Die Grenze ist allerdings nur bis 2020 festgelegt. Kaufmann macht deutlich, dass er langfristig auch mehr Geld für Iter ausgeben würde, um den Fusionsreaktor zum Laufen zu bringen: „Gegebenenfalls müsste man nach 2020 weitere Leitplanken einziehen und über einen neuen gemeinsame Kostenrahmen verhandeln.“ Er bringt noch eine weitere Idee ins Spiel. Insbesondere Japan, China und Südkorea wollen, dass Iter zügig fertig wird, weil damit auch Wissen für ihre nationale Fusionsforschung verfügbar wäre. „Und diese Länder haben teilweise schon jetzt genügend Geld dafür“, sagt er. Es sei eine Überlegung wert, ob die vereinbarte Aufteilung der Baukosten zwischen den Ländern verändert wird, sodass bestimmte Nationen in diesem Jahrzehnt mehr zahlen beziehungsweise Teile liefern und andere – wie die EU – stattdessen im nächsten. Ob dieser Vorschlag verfängt, wird sich zeigen.

Mehrere Start-ups wollen der Fusion zum Durchbruch verhelfen

Die Zeit drängt. Bisher gilt das Experiment in Südfrankreich als das Vorhaben, das einer künftigen Nutzung der Kernfusion am Nächsten kommt. Scheitert Iter, wirft das die Fusionsforschung um Jahrzehnte zurück – so lautet die Durchhalteparole. Womöglich stimmt sie doch nicht ganz. China treibt parallel zu seiner Beteiligung an Iter ein eigenes Fusionsprogramm voran, ebenso Indien.

In Nordamerika und Großbritannien gibt es unterdessen eine Handvoll Start-ups, die ebenfalls auf einen Durchbruch in der Fusionstechnik hoffen. Sie setzen auf Diversität: Viele Experimente werden nach dem „Tokamak“-Prinzip errichtet. Das heiße Plasma wird in einem doughnutförmigen Gefäß von Magnetfeldern gehalten. Was, wenn andere Wege eher zum Ziel führen?

Das wollen die Gründer herausfinden. General Fusion in Kanada setzt beispielsweise auf ein Gefäß aus flüssigem Metall, in dem das Plasma eingeschlossen ist. Tri Alpha Energy in Kalifornien lässt Plasma in einem Beschleuniger aus zwei Richtungen mit jeweils einer Million Kilometern pro Stunde aufeinanderprallen, um ausreichend hohe Temperaturen zu erzielen. Im Sommer sei es gelungen, das Plasma für fünf Millisekunden stabil zu halten, berichtet Michl Binderbauer, einer der Gründer, dem „Time“-Magazin. In der Fusionsforschung sei das eine halbe Ewigkeit.

Investoren wie Jeff Bezos und Paul Allen geben Millionen

Bis zu einem Kraftwerk ist es immer noch ein sehr weiter Weg. Doch die Start-ups haben erfahrene Forscher gewinnen können und Kapitalgeber wie Amazon-Chef Jeff Bezos, Microsoft-Mitgründer Paul Allen oder Goldman Sachs, die hohe Millionenbeträge in die Hightech-Firmen investieren. Die Chancen, dass wenigstens ein oder zwei wirklich weiterkommen, stehen gar nicht so schlecht.

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