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Jungfrau

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Keuschheit: Mythos Jungfrau

Die Kulturgeschichte weiblicher Unschuld wird erforscht. Gibt es so etwas wie eine neue Keuschheit? Zum Thema "Jungfrau" hat jeder eine Meinung - und kaum jemand meint das gleiche.

Als die mittlerweile tief gefallene Britney Spears einst verkündete, sie wolle jungfräulich in die Ehe gehen, war das nicht nur der Boulevardpresse eine Story wert. Sehr viel ernster sind immer neue Keuschheitskampagnen in den USA. Auch im deutschen Fernsehen wird Jungfräulichkeit diskutiert: So fragte Sandra Maischberger: „Keuschheit statt Porno – brauchen wir eine neue Sexualmoral?" Vorbei scheinen die Zeiten, als sich die Pop-Ikone Madonna unter Kanalbrücken räkelte und über alles Prüde lustig machte. „Vor allem in den USA wird die Unberührtheit von jungen Frauen zum Trend“, sagt die Kulturwissenschaftlerin Anke Bernau, die den „Mythos Jungfrau“ erforscht. In einer neuen Studie geht sie den Definitionen von Jungfräulichkeit in den letzten acht Jahrhunderten nach.

Bernau lebt seit 17 Jahren in Großbritannien und lehrt an der Uni Manchester. Zum Thema „Jungfrau“, das fällt ihr immer wieder auf, hat jeder eine Meinung – und kaum jemand meint das gleiche. Gemeinsam ist den meisten Deutungsversuchen der Ursprung in der christlichen Tradition. Religiöses Denken wirkt bis heute fort und schafft es in den USA sogar, die Unterschiede zwischen Republikanern und Demokraten einzuebnen.

Dort hat der Trend beunruhigende Folgen: So werde an den Schulen nicht mehr grundsätzlich sexuell aufgeklärt, sondern vielfach einfach zur Abstinenz aufgerufen. Soziologen sehen darin eine gegen die Unterschichten gerichtete Politik: Ungewollt schwangere Jugendliche müssten sich zunehmend darauf einstellen, weniger Unterstützung vom Staat zu bekommen. Sie müssten für ihre individuellen „Fehler“ persönlich gerade stehen.

Auch international hat die Idolisierung der Jungfrau teils schlimme Folgen für die betroffenen Mädchen: So werden in einigen afrikanischen Staaten Reihenuntersuchungen an Schulen durchgeführt, deren Ergebnisse viel Unheil anrichten: Mädchen, deren Hymen nicht intakt ist – was weder ein Beweis für Jungfräulichkeit noch für deren Verlust ist – müssen mit der Verachtung von Mitschülern, Lehrern und Verwandten leben. Aber ein „positives“ Ergebnis kann noch schlimmer sein. Noch immer glauben Männer in einigen Teilen der Welt, dass Geschlechtsverkehr mit einer Jungfrau Aids quasi heile. Zudem gelten diese „sauberen“ Mädchen als sichere Sexualpartnerinnen, was sie zu Opfern von Vergewaltigung macht.

In England sieht Bernau dagegen – noch – wenig Gefahren einer ähnlichen Entwicklung wie in den USA. Es fehle die ausgeprägte puritanische Tradition der USA. Einer englischen Schülerin, die sich mit einem „Virgin-Ring“ in ihrer Schule gezeigt hatte, wurde dies sogar gerichtlich untersagt. „Allerdings hatte dies nichts mit der Aussage des Schmuckstücks zu tun“, bemerkt Bernau, „sondern damit, dass an dieser Schule das Tragen von Schmuck grundsätzlich verboten ist.

Auch die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun von der Humboldt-Universität in Berlin hat sich immer wieder mit Frauenbildern in Geschichte und Gegenwart beschäftigt. Sie schließt sich in großen Teilen der Einschätzung ihrer Kollegin in Großbritannien an. Von Braun vermutet die generelle Verunsicherung junger Menschen hinter dem Rückgriff auf Traditionen. „Die offensive Liberalisierung der Sexualmoral in den 1970er Jahren wirkt seit Aids destabilisierend auf Jugendliche.“ Deutschland bilde da keine Ausnahme.

Parallelen zur Definition von Keuschheit im Islam sieht Bernau darin, dass man auch dort eine prinzipielle Kontrolle über weibliche Sexualität anstrebe. Von Braun hebt ergänzend die Abweichungen zwischen christlicher Religion sowie islamischer und jüdischer Religion hervor. Während letztere grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber Sexualität seien – nur außerhalb der Ehe wird sie abgelehnt –, stelle Keuschheit im Christentum einen Wert an sich dar. So seien die berüchtigten „40 Jungfrauen“, die angeblich im Paradies auf islamistische Selbstmordattentäter warteten, im Christentum völlig undenkbar. Den christlichen Himmel bevölkern Engel, und die sind per se asexuell.

Anke Bernau fällt es schwer, dem Jungfrauenbegriff Positives abzugewinnen. „Sicher ist es gut, wenn Mädchen und junge Frauen einen selbstbewussten Umgang mit ihrer Sexualität lernen, ohne sich zu Objekten machen zu lassen“, sagt sie, „aber braucht man dazu so problematische Keuschheitsbegriffe?“ Für das mediale Bild von Frauen habe der Trend aber keine Folgen. „Für das Auge der Kamera“, so von Braun, „ist jeder Körper jungfräulich – der Apparat möchte immer der einzige Eroberer sein.“ Einig sind sich beide Forscherinnen über seine Reichweite. Anders als in den USA fühlten sich in Europa wenige angesprochen. Das liege neben der fehlenden puritanischen Tradition auch an den Verlockungen der Konsumgüterindustrie. Die akzeptiert Jungfräulichkeit zwar als Marketing-Gag – ihr Interesse aber an Askese tendiere gegen Null.

Elke Kimmel

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