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Kieler Keime. Vier Klassen von Antibiotika lassen die Mikrobe Acinetobacter baumannii kalt. Nur ein einziges könnte wirken.

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Kieler Keime: Ein Keim reist um die Welt

Acinetobacter baumannii ist neu unter den Krankenhauskeimen, aber besonders widerstandsfähig. Er kommt aus Südostasien nach Europa. Nun verursachte er einen Ausbruch in einer Kieler Klinik.

Er ist ein unangenehmer Zeitgenosse. Ein Opportunist, der Schwächen ausnutzt und die Kranken noch kränker macht. Vor etwa zehn Jahren fiel die multiresistente Variante von Acinetobacter baumannii erstmals bei Wundinfektionen in Feldlazaretten in Irak und Afghanistan auf. Vor allem in Südostasien und dem Nahen Osten ist er auf den Intensivstationen weit verbreitet und gelangt mitunter in die Lunge oder ins Blut.

Nun kommt der hartnäckige Keim in europäischen Kliniken an. Monatelang kann er an Türklinken, in kleinen Ritzen von medizinischen Geräten, auf Stationstelefonen, Tastaturen oder Nachttischen überleben. Trockenheit macht ihm nichts aus. „Er vereinigt die problematischen Eigenschaften, die wir von anderen multiresistenten Erregern kennen“, sagt Sören Gatermann vom Nationalen Referenzzentrum für gramnegative Krankenhauserreger an der Ruhr-Universität Bochum. „Er ist besonders widerstandsfähig und schlecht behandelbar.“

In Kiel mussten 31 Patienten strikt isoliert werden, weil sie mit einer Acinetobacter baumannii-Variante besiedelt sind, die gegen vier Antibiotikaklassen resistent ist. Bei drei von zwölf Todesfällen können die Ärzte bisher nicht ausschließen, dass eine Infektion mit dem Keim dafür verantwortlich ist. Vermutlich trug ihn ein Patient aus dem Mittelmeerraum Mitte Dezember in das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein.

Im Süden und Osten Europas gehören multiresistente Keime in den Krankenhäusern zum Alltag

Das wäre nicht ungewöhnlich. Wer in Süd- und Osteuropa – oder in ferneren Ländern wie Südostasien – „Kontakt mit dem Gesundheitssystem“ hatte, gilt in Deutschland als Risikopatient. Denn dort sind Keime, gegen die nur noch einzelne Reserveantibiotika helfen, in den Krankenhäusern beinahe alltäglich. Mehr als die Hälfte der Acinetobacter baumannii-Proben, die in Südeuropa untersucht wurden, sind derart multiresistent, schreibt die Europäische Seuchenbehörde ECDC in einem Bericht. Bei fünf Prozent hilft nicht einmal Colistin. Das Mittel wurde 50 Jahre lang kaum verwendet, weil es Nieren und Nerven schädigt.

„Ein Ausbruch wie in Kiel kann jede Uniklinik treffen“, sagt Alexander Uhrig, Oberarzt auf der Intensivstation 144i der Klinik für Infektiologie und Pneumologie an der Charité. Schließlich werden dort diejenigen behandelt, denen anderswo nicht geholfen werden konnte. Die Wahrscheinlichkeit, dass alte und sehr kranke Patienten bereits mit einem multiresistenten Keim eintreffen, sei hoch. Manche bringen ihn aus dem Pflegeheim mit.

„Für uns ist deshalb jeder Patient ein Risikopatient“, sagt Uhrig. Wer von der Beatmung entwöhnt werden soll, ist bereits lange im Krankenhaus. „Wir testen alle, auch wenn es teuer und nicht vorgeschrieben ist.“ Etwa einmal im Monat sei ein Patient dabei, der mit einem multiresistenten Acinetobacter baumannii besiedelt ist und besonders isoliert werden muss. Es ist bei Weitem nicht die einzige multiresistente Mikrobe, die mitunter in Krankenhäusern einen Ausbruch auslösen kann.

Ärzte sollten bei Risikofaktoren hellhörig werden

Ein Routinescreening sei nicht in jedem Krankenhaus sinnvoll, sagt Gatermann. „Nach dem Klebsiellen-Ausbruch in Leipzig konnte man nur bei 0,1 Prozent der Risikopatienten einen ähnlich problematischen Keim nachweisen“, sagt er. In Deutschland sei die Situation noch relativ entspannt. Allerdings sollten Ärzte und Pflegekräfte bei Risikofaktoren hellhörig werden. Wer zum Beispiel zuvor im Süden oder Osten Europas auf einer Intensivstation war, müsse sofort isoliert werden – bis alle Testergebnisse da sind. In manchen Regionen Deutschlands wisse man außerdem von Pflegeeinrichtungen, die einen oder mehrere Menschen betreuen, die mit besonders hartnäckigen und schwer behandelbaren Keimen besiedelt sind. „Das steht oft schon in den Krankenakten“, sagt er.

Möglicherweise sollte man auch Fernreisen als Risikofaktor einstufen, meint Christoph Lübbert vom Uniklinikum Leipzig. Sein Team hat untersucht, welche Keime 225 Reisende als unerwünschtes Souvenir aus 53 Ländern mitbrachten. Etwa ein Drittel kam mit Erregern zurück, die gegen Reserveantibiotika resistent sind. Meist waren sie zuvor in Indien oder anderen Ländern Südostasiens. Weder eine gute Händehygiene noch die Tatsache, dass sie nur abgepackte Getränke zu sich nahmen, schützte sie. Für Gesunde sei das zwar ungefährlich, schreiben die Forscher im Fachblatt „International Journal of Medical Microbiology“. Doch bei einer Immunschwäche oder einem späteren Krankenhausaufenthalt könnte es anders ausgehen. „Wir brauchen ein globales Herangehen, um resistente Keime erfolgreich zu bekämpfen“, sagt Lübbert. Sonst käme es fortwährend zu Importen.

Strikte Hygiene und sorgsamer Umgang mit Antibiotika

Anders als viele andere Bakterien gehört Acinetobacter baumannii nicht zu den normalen Bewohnern der menschlichen Haut. Es ist ein Umweltkeim, der in Boden und Wasser vorkommt. Die multiresistente Variante jedoch ist fast ausschließlich in Krankenhäusern zu finden. Vor allem bei Patienten, die beatmet werden müssen. „Das ist ein menschengemachtes Problem, dem wir nur durch strikte Hygiene und einen sorgsamen Umgang mit Antibiotika Herr werden können“, sagt Uhrig. Es gibt auch Lichtblicke: Die besonders resistenten Varianten sind nicht so fit wie weniger spezialisierte Keime. Sobald die Antibiotika abgesetzt werden, wird der Problemkeim nach und nach von anderen Bakterien verdrängt. Das zeigt auch die Leipziger Studie. Im Laufe von sechs Monaten verloren die meisten Touristen ihre in der Ferne aufgesammelten Keime wieder.

Trotzdem stellt ein Ausbruch mit Acinetobacter baumannii jedes Krankenhaus vor enorme Herausforderungen. Denn es muss jede Oberfläche im weiteren Umkreis der Patienten extrem gründlich desinfiziert werden. Auf Intensivstationen gibt es besonders viele Möglichkeiten, wo sich der Keim verstecken kann. Entsprechend lange dauert mitunter die Suche. Solange das Reservoir – etwa eine defekte Stelle in einem Untersuchungsgerät – nicht gefunden ist, kann der Keim neue Patienten besiedeln.

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