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In der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Das Hauptwerk von Klemperers, "Die verlassenen Verschwörer", war den Männern des 20. Juli 1944 gewidmet.

© Doris Spiekermann-Klaas

Klemens von Klemperer: Vom Widerstand mit Deutschland versöhnt

Der Berliner Klemens von Klemperer emigrierte in die USA, wurde Historiker – und fand sein Lebensthema in der ersten Heimat. Sein Leben spiegelt die deutsch-jüdische Symbiose, ihren Abbruch 1933 und die Wiederannäherung nach 1945.

Eine der historischen Entwicklungslinien, die am 30. Januar 1933 mit der Machtübergabe an Hitler zerschnitten wurde, war die „deutsch-jüdische Symbiose“. Zwar bezweifeln viele, ob es sie je wirklich gab. Aber sie war am Ausgang der Weimarer Republik, sechs Jahrzehnte nach der staatsbürgerlichen Gleichstellung der Juden, auch sozial weit vorangekommen. Ein Leben, in dem sich dies alles spiegelt, die Symbiose, ihr Abbruch 1933 und die Wiederannäherung nach 1945, ist das des Klemens von Klemperer. Dieser deutsch-österreichisch-amerikanische Historiker, der am 23. Dezember 2012 mit 96 Jahren starb, wurde von Hitler aus Berlin und Wien vertrieben, seinen ersten „beiden Heimaten“. Er blieb ihnen treu, half als US-Soldat sie befreien und wurde danach zur lebendigen Atlantikbrücke.

Klemens von Klemperer in jungen Jahren im US-amerikanischen Exil.
Klemens von Klemperer in jungen Jahren im US-amerikanischen Exil.

© privat

Klemperers Lebenswerk war es, seiner dritten, der amerikanischen Heimat das „Andere Deutschland“, den Widerstand gegen Hitler, glaubhaft zu machen. Sein wichtigstes Buch handelt vom vergeblichen Werben des konservativen Widerstands um ausländische Verbündete: „Die verlassenen Verschwörer.“ Das zweite prägende Datum seines Lebens war der 20. Juli 1944, der ihn mit Deutschland versöhnte und sein Lebenswerk bestimmte.

Die Familie war eine von Händlern in Prag. Auf diese Zeit geht auch eine Verwandtschaft mit der Familie des Romanisten und NS-Chronisten Victor Klemperer zurück. Ende des 19. Jahrhunderts begann der Aufstieg der Prager Klemperers, der sie in den Banken-, Industrie- und Geburtsadel führte. Kaiser Franz Joseph nobilitierte 1910 den Großvater Gustav, Mitgründer der Dresdner Bank. Der Vater Herbert von Klemperer war Direktor einer Berliner Lokomotivfabrik.

Geboren wurde Klemens von Klemperer dort, wo heute die Philharmonie steht: in der verschwundenen Viktoriastraße. Er und seine Geschwister waren die erste evangelisch getaufte Generation. 1934 machte er Abitur am Französischen Gymnasium. Dem Nationalsozialismus wich er nach Wien aus in das Palais seiner mütterlichen Großeltern, der prominenten jüdischen Brauereibesitzer Kuffner. Er studierte zunächst Jura und assistierte dem berühmten Rechtshistoriker Heinrich Mitteis.

Klemens von Klemperer (1916 - 2012).
Klemens von Klemperer (1916 - 2012).

© privat/Robert Utzschneider

Der Vater hatte ihm einen Studienplatz am Balliol College in Oxford verschafft, aber nach wenigen Wochen zog es ihn in die österreichische Heimat seiner Familie, denn er hoffte sie vor dem schon damals drohenden Zugriff der Nazis retten zu können. „Das war größenwahnsinnig“, schrieb er später, „aber ich war eben Romantiker.“ Bündisch-jugendbewegt sang und dichtete er und wollte mit seinen Freunden im „Grauen Freikorps“ die von den Nazis besudelte „Reichsidee“ erneuern. Nach einem Naturerlebnis in den Alpen schrieb Klemens ins Tagebuch: „Herr, lass mich so wild, lass mich so trunken bleiben.“ Seine engsten Mitstreiter waren Otto und Fritz Molden, die im Krieg die österreichische Widerstandsgruppe „O5“ gründeten.

Die Gestapo raubte 1938 die große Kunstsammlung der Familie in Dresden. Als die Wehrmacht im März 1938 in Wien einmarschierte, verlor Klemperer auch seine zweite Heimat. In Berlin bemühte er sich um ein Visum für Amerika und erlebte dabei den Kristallnacht-Pogrom. Harvard gewährte ihm ein Flüchtlingsstipendium für sein Geschichtsstudium. Im Krieg diente er als Nachrichtenoffizier der US-Armee in London, Paris und Frankfurt am Main. 1979 wurde er Geschichtsprofessor am Smith-College in Massachusetts. Zugleich blieb er in Deutschland heimisch: als Gastprofessor in Bonn, als Fellow am Berliner Wissenschaftskolleg, als Erforscher des deutschen Widerstandes.

Den Männern des 20. Juli stand er mit Hochachtung, aber nicht unkritisch gegenüber. Vor ihren nationalkonservativen Torheiten war er als Verfolgter gefeit, aber für die romantischen Wirrungen seiner Generation empfand er Empathie. Er schulmeisterte die damals Handelnden nicht, wie es manche Nachgeborene gern tun, sondern beschrieb einfühlsam, wie sie „auf ungeebneten Wegen in den Widerstand“ fanden. Mit seinem Geburtsland hat Klemens von Klemperer sich versöhnt, aber Deutschland hat die Familie von Klemperer, wie so vieles Erstklassige aus der deutsch-jüdischen Symbiose, endgültig an die Vereinigten Staaten verloren.

Anmerkung der Redaktion: Den Verweis auf die Verwandtschaft der Familie Klemens von Klemperers mit der des Romanisten Victor Klemperers haben wir gegenüber der ersten Fassung vom 8. Februar nachträglich eingefügt.

Ekkehard Klausa

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