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Eingeschlossen. Manche Eisproben enthalten winzige Luftblasen.

© Sepp Kipfstuhl

Klimawandel: Frostiger Blick in die Zukunft

Zum ersten Mal wurden auf Grönland Proben von der geologischen Gegenwart bis in die vorletzte Eiszeit zurück gewonnen. Die Eisproben zeigen, wohin der Klimawandel führt.

Dieser Tage wird im Norden Grönlands, an einem der am schwersten zugänglichen Orte auf dem Inlandeis, ein wissenschaftliches Bohrcamp geschlossen. Seit 2007 haben dort mehr als 300 Wissenschaftler aus 14 Ländern gearbeitet, um Eisproben für Klimarekonstruktionen zu gewinnen. 2537 Meter tief hat sich der Bohrer durch den Gletscher gearbeitet, bevor er Ende Juli das Felsbett erreichte. Der in Segmente zerteilte, zweieinhalb Kilometer lange Eiskern enthält Informationen über gleich mehrere Klimawechsel.

Das Ziel der Bohrung hatten die Wissenschaftler schon in den Namen des Projekts geschrieben: NEEM – North Greenland Eemian Ice Drilling. Die Hoffnungen haben sich erfüllt. Erste Analysen ergaben, dass tatsächlich zum ersten Mal auf Grönland Proben von der geologischen Gegenwart (dem Holozän), der letzten Eiszeit über die davor liegende Warmzeit (das Eem) bis in die vorletzte Eiszeit zurück gewonnen wurden. „Wir hatten noch nie zuvor Eis aus der Klimaphase des Eem an der Oberfläche“, sagt Anna Wegner, die im deutschen Team die Proben auf Staubpartikel und Fremdionen untersucht.

Das Eem-Erdzeitalter, das Geowissenschaftler auf die Zeit zwischen 130 000 und 115 000 Jahre vor heute begrenzen, interessiert die Klimaforscher besonders. Es ist die letzte Warmzeit vor der Eiszeit. Damals war es drei bis fünf Grad Celsius wärmer als heute, der Meeresspiegel lag um fünf Meter höher. Unseren Kontinent bedeckten ausgedehnte Linden- und Eichenwälder. Waldelefanten und Nashörner tummelten sich neben allerlei Rotwild.

Der Temperaturunterschied entspricht ungefähr dem Anstieg, den wir erwarten müssen, wenn sich die Erwärmung des Klimas wie in den letzten hundert Jahren fortsetzt. Die Umweltbedingungen im Eem und in der Jetztzeit sollten sich ähneln. Aber genau weiß man es nicht; Anhaltspunkte für eine exakte Einschätzung soll der Bohrkern bringen.

Die Arbeitsbedingungen im Labortrakt des Camps, sechs Meter unter der Eisoberfläche, waren nicht einfach. Bei konstant minus 20 Grad Celsius haben die Wissenschaftler dort bereits die Struktur des Eises untersucht. Kleine Kristalle zeugen von einer Kaltzeit, große, unter bestimmten Bedingungen länglich orientierte von einer warmen Phase. Mit dieser Methode konnten die Eislagen zeitlich zugeordnet werden. Die Analyse stabiler Isotope aus den Eisproben hat die Zeitreihe bestätigt.

„Die Ergebnisse von NEEM tragen dazu bei, Klimaprognosen zu verbessern, vor allem aber, unsere Vorhersagen über die Geschwindigkeit und die Höhe des Meeresspiegelanstiegs einzugrenzen“, sagt Heinrich Miller vom Alfred-Wegener-Instit für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Anhand der Daten wollen die Wissenschaftler herausfinden, auf welche Größe die grönländische Eiskappe während der Warmzeit geschrumpft war und welchen Anteil das Schmelzwasser am gesamten Meeresspiegelanstieg hatte.

Zum Ausklang der Kampagne haben die noch 20 Wissenschaftler im Camp mehrere flache Bohrungen angelegt. Mit deren Hilfe wollen sie Menge und Zusammensetzung der jüngeren Niederschläge genauer erfassen. In den Heimatinstituten arbeiten die Analysegeräte bereits auf Hochtouren. Die im Eis enthaltenen Luftbläschen etwa sollen Informationen zum natürlichen Kohlenstoffkreislauf liefern.

In der Kopenhagener Universität werden die letzten Meter des Bohrkerns untersucht. Sie gelten ebenfalls als kleine Sensation, denn sie enthalten Gesteine und Bodenstoffe aus einer Zeit, in der Grönland eisfrei war. „Wir erwarten, dass wir darin sowohl genetisches Material als auch Pollen finden“, sagt die Projektleiterin Dorthe Dahl-Jensen. „Solche Partikel können uns mehr als steinerne Fossilien über die Pflanzen erzählen, die auf Grönland vor vielleicht mehr als drei Millionen Jahren lebten – bevor die Insel vereiste.“ Gert Lange

Gert Lange

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