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Konrad Zuse war Bauingenieur, Statiker - und Bastler.

© dpa

Konrad Zuse: Herr der Riesenrechner

Seine erste Stelle warf er hin. Er wollte seinen Rechner bauen. Konrad Zuse entwickelte in Berlin die ersten Computer der Welt. Zum 100. Geburtstag des Pioniers.

„Ich war zu faul zum Rechnen“, sagte einmal der vor 100 Jahren am 22. Juni 1910 in Berlin geborene Konrad Zuse ein wenig selbstironisch. Die öde und langweilige Rechnerei nervte den Beamtensohn schon während seines Ingenieurstudiums an der Technischen Hochschule Berlin, aus der 1946 die Technische Universität wurde. Mit viel Fleiß entwickelte Zuse dann bis 1941 den ersten vollautomatischen und frei programmierbaren Rechner und damit eine friedliche Weltrevolution, die längst „Computer“ genannt wird.

Bereits vor seinem Abitur im Jahr 1928 im sächsischen Hoyerswerda bastelte Konrad Zuse aus Blech und Nägeln eine Schaltung für das Treppenlicht. Die Entscheidung für ein Maschinenbaustudium fiel ihm trotzdem nicht leicht, weil er lange mit einem Kunststudium liebäugelte. Als Hobby blieb er der Malerei dann auch sein Leben lang treu und porträtierte unter anderen die späteren Computer- und Softwareentwickler Heinz Nixdorf und Bill Gates, aber auch Bundespräsident Roman Herzog.

1935 trat Konrad Zuse unmittelbar nach dem Studium eine Stelle als Statiker bei den Henschel-Flugzeugwerken in Berlin-Adlershof an. „Warum kann nicht eine vollautomatische Maschine den Ingenieuren die Sklavenarbeit des Rechnens abnehmen?“, schilderte Zuse später die gedankliche Initialzündung. 1936 traf er eine folgenschwere Entscheidung: Zuse kündigte seine Stelle in Adlershof und beschlagnahmte umgehend das elterliche Wohnzimmer als Entwicklungslabor.

Geld für seinen ersten Rechner kam von der Verwandtschaft, Studenten und dem Rechenmaschinenfabrikanten Kurt Pannke. Mit einer Laubsäge schnitten sich Konrad Zuse und seine fünf oder sechs studentischen Mitarbeiter dünne Metallplättchen zurecht, die später als Schaltelemente in die Maschine eingebaut wurden. Die Plättchen bewegten sich und führten rein mechanisch logische Operationen wie „oder“, „und“ oder „nicht“ aus. Obendrein konnte er mit diesen Plättchen im Speicher „0“ und „1“ darstellen. Ein solches Zahlensystem nennt man binär. Der erste Rechner von Konrad Zuse war demnach ein rein mechanisches Gerät, das nicht mehr als 64 Zahlen mit höchstens 22 Bit speichern konnte.

Metallplättchen lassen sich in Handarbeit allerdings nicht sonderlich exakt herstellen. Das Rechenwerk arbeitete daher unzuverlässig und fiel häufig aus. Zuse regte das zu neuen Versuchen an – und quasi nebenbei entwickelte er ein „Gleitkommarechenwerk“, mit dem er sehr große Zahlen bis zu einer Eins mit zwanzig Nullen und sehr kleine Zahlen mit hoher Genauigkeit verarbeiten konnte. Gesteuert wurde die Maschine über Lochstreifen, „frei programmierbar“ nennen Informatiker das heute. Versuchsmodell 1 oder kurz V 1 nannte Zuse dieses Gerät. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg taufte er das Gerät in Z 1 um, ansonsten hätte man es mit der gleichnamigen Rakete der Wehrmacht verwechseln können.

Um das Gerät zuverlässiger zu machen, tauschte er die anfälligen Metallplättchen im Gleitkommarechenwerk durch ein Festkommarechenwerk mit rund 600 alten Relais aus, die er von Telefongesellschaften erhalten hatte. Die zunächst V 2 genannte Maschine arbeitete 1940 mit diesen elektromagnetischen Schaltern erheblich besser, die ebenfalls nur zwei Schaltstellungen haben und daher jeweils eine „0“ oder eine „1“ darstellen können.

In seinem neuen Labor in Berlin-Kreuzberg baute Konrad Zuse dann in das Folgemodell (Z 3) 600 Relais ein, die das Rechenwerk bildeten, 1400 weitere Relais dienten als Speicher. Die Entwicklung dieses ersten funktionsfähigen Computers wurde vom Zweiten Weltkrieg unterbrochen, der Erfinder zum Militär eingezogen. Um Berechnungen für die Flügel der Fliegerbomben HS 293 machen zu können, wurde Zuse dann aber 1940 wieder freigestellt. Parallel zu seinem wehrtechnischen Auftrag baute er aber auch die Z 3 fertig. Am 12. Mai 1941 führte Zuse das fünf Meter lange, zwei Meter hohe und 80 Zentimeter breite Gerät stolz fünf Berliner Wissenschaftlern vor. Im Inneren dieses Rechenmonstrums liefen im Prinzip schon ganz ähnliche Prozesse wie in einem PC ab.

1941 gründete Konrad Zuse das erste Computerunternehmen der Welt, „Zuse Apparatebau“, und begann mit der Arbeit an einem deutlich größeren Rechner, die spätere Z 4. Bei Luftangriffen auf Berlin-Kreuzberg im Dezember 1943 und Januar 1944 wurde die gesamte Firma und mit ihr der erste Computer der Welt, die Z 3, zerstört. Da auch sämtliche Bilder den Bomben zum Opfer fielen, gab es nun keinen Beweis mehr dafür, dass Konrad Zuse bereits 1941 einen echten Computer gebaut hatte. Daher galt der 1944 gebaute Mark I des Amerikaners Howard Aiken lange als erster Computer der Welt. Erst in den 60er Jahren konnte der Berliner Erfinder mit einem Nachbau und Augenzeugenberichten die Fachwelt davon überzeugen, dass der erste Computer tatsächlich aus Deutschland stammte.

Entwickelt hatte Zuse seine Rechner für Ingenieure. So konnte die Maschine zum Beispiel für eine Bogenbrücke mit drei Öffnungen aus geschweißtem Stahl mit einer bestimmten Länge, Höhe und Durchfahrtsbreite einen vollständigen Entwurf liefern, die Statik berechnen und Konstruktionszeichnungen liefern. Damit der Ingenieur dem Rechner seine Wünsche auch mitteilen konnte, entwickelte Konrad Zuse zwischen 1942 und 1946 auch gleich noch eine Programmiersprache, die er „Plankalkül“ nannte und die bereits alle wesentlichen Elemente moderner Programmiersprachen enthielt. Der Bombenkrieg aber machte solche Entwicklungsarbeiten in Berlin bald unmöglich. Im März 1945 wollte Konrad Zuse daher mit dem angefangenen „Supercomputer“ Z 4 fliehen, der damals noch V 4 hieß.

Die Wehrmacht vermutete wohl, es könnte sich um ein Teil einer neuen Vergeltungswaffe V 4 handeln, die der Rakete V 2 folgen sollte. Eine solche Waffe könnte vielleicht den Kriegsverlauf doch noch wenden, hoffte das Militär, und der Erfinder bekam einen Armee-Lastwagen zugeteilt – ein Wunder in dieser Zeit. Über Göttingen, Hof und München führte die wegen der Bombenangriffe meist nächtliche Flucht bis ins Allgäu. Dort versteckte Konrad Zuse seinen Computer Z 4 in einem Schuppen des Hotels Steinadler im Ort Hinterstein vor der anrückenden US-amerikanischen Armee.

Seine schwangere Frau Gisela war mit ihm geflohen. Konrad Zuse brachte seine kleine Familie mit Holzschnitzereien über die Runden, die er bei den Bauern des Allgäus und dort stationierten amerikanischen Soldaten gegen Lebensmittel eintauschte. Erst 1948 hatte der Erfinder die Z 4 wieder ausgemottet und zusammengebaut. Zufällig erfuhr 1949 Eduard Stiefel von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich von Konrad Zuse und seinem Computer. Der Wissenschaftler baute damals gerade ein Institut für Angewandte Mathematik auf. Und weil die angeblich ersten Computer der Welt in den USA damals unverkäuflich waren, mietete der Wissenschaftler die Z 4 für 30 000 Franken auf fünf Jahre.

Konrad Zuse aber gründete 1949 in Neukirchen im nordhessischen Landkreis Hünfeld mit der Mietzahlung aus der Schweiz die „Zuse KG“. Mit fünf Angestellten machte er zunächst einmal die Z 4 für die Züricher ETH betriebsfertig. Am 11. Juli 1950 konnte das Gerät endlich in die Schweiz geliefert werden. Im gleichen Jahr bestellte die Firma Leitz in Wetzlar einen noch größeren Rechner, die Z 5. Das zehn Meter lange und 4,5 Meter breite Gerät war wohl der erste kommerzielle Computer. 300 000 Deutsche Mark brachte die Maschine der Zuse KG in einer Zeit, in der eine Familie von weniger als 200 Mark im Monat leben musste. Mit diesem Geld konnte Konrad Zuse neue Rechner entwickeln.

Weil die deutsche Wirtschaft noch in Trümmern lag, konzentrierte sich die Zuse KG erst einmal auf den Export. Hauptabnehmer waren anfangs amerikanische Firmen wie die Remington Rand Corporation. Ab 1955 gab es auch Aufträge von der optischen Industrie in Deutschland. Auch Versicherungen und die Flurbereinigungsämter bestellten Rechner, ab 1957 kaufte die Deutsche Forschungsgemeinschaft Computer für Universitätsinstitute. 1957 zog man nach Bad Hersfeld um, der Betrieb florierte.

Ohne größere staatliche Unterstützung aber schlitterte die Zuse KG gleichwohl in finanzielle Probleme, 1964 war die Firma am Ende. Das Unternehmen ging mit 1200 Mitarbeitern schließlich an den Siemens-Konzern und Konrad Zuse war arbeitslos. Am 18. Dezember 1995 starb der Mann, der über seine Erfindung einen nachdenkenswerten Satz sagte: „Wenn die Computer zu mächtig werden, dann zieht den Stecker aus der Steckdose.“

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