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Der Mensch in der Goldlöckchen-Zone. Auf der Erde sind die Bedingungen "gerade richtig" für das Leben - weder zu kalt noch zu heiß. Außerdem gibt es flüssiges Wasser, mildes Klima und reichlich Kohlenstoff.

© Allan Morton, Dennis Milon (Science Photo Library)

Kosmologie: Das exakte Maß des Alls

Ist das Universum nur ein Zufallsprodukt? Wissenschaftler, Philosophen und Theologen debattieren, wie es sein kann, dass wir in der für uns besten aller möglichen Welten leben.

Unsere kosmische Heimat ist ein Fluss mit schimmernden, fein verzweigten Seitenarmen. In einem von ihm treibt unsere Galaxie, die Milchstraße, wie ein Tropfen im Strom. Der Fluss trägt den poetischen Namen „Laniakea“, was auf Polynesisch „unermesslicher Himmel“ heißt. Ausgemessen wurde er kürzlich dennoch, von einem Team um den Astronomen Brent Tully von der Universität Hawaii in Honolulu. „Laniakea“ ist ein Supergalaxienhaufen, hat die Größe von einer halben Milliarde Lichtjahre und enthält neben der Milchstraße etwa 100 000 weitere Galaxien. Heimat im weitesten Sinne.

Ein Supergalaxienhaufen als Hausnummer, das klingt reichlich übertrieben. Und doch bewegt sich die Wissenschaft längst in diesen kosmischen Dimensionen, wenn es darum geht, das Geschehen auf unserem Planeten zu verstehen. Aus der Ferne des Alls betrachtet erscheint die Erde als blaue Murmel auf schwarzem Samt. Ein Planet mit fast paradiesischen Bedingungen, um Leben hervorzubringen: flüssiges Wasser, mildes Klima und reichlich Kohlenstoff, um daraus Biomoleküle zu formen.

Es ist wie im amerikanischen Märchen von Goldlöckchen und den drei Bären. Goldlöckchen sucht sich im Haus der Bären alles so zusammen, dass es „gerade richtig“ ist. Der Haferbrei darf nicht zu heiß und nicht zu kalt, sondern muss angenehm warm sein. „Gerade richtig“ eben. Auch die Erde ist in einer Goldlöckchen-Zone zu Hause. Auf der Venus, näher der Sonne, ist es zu heiß. Auf dem Mars, weiter von der Sonne entfernt, zu kalt. Das alles sieht nach einem großen Glücksfall aus. Die grundsätzliche Frage lautet: Welche Bedingungen mussten erfüllt sein, damit Leben auf einem Planeten wie der Erde entstehen konnte? Darüber streiten Forscher, Philosophen und Theologen immer wieder aufs Neue.

Das Universum balanciert auf des Messers Schneide

Wissenschaftler glauben, Beispiele für „fein abgestimmte“ Naturkonstanten gefunden zu haben. Und damit für ein exakt austariertes Rahmenwerk von Gesetzen, die das Fundament für die Entwicklung des Universums bilden. „Die Feinabstimmung bezieht sich auf die mutmaßliche Tatsache, dass es einen Satz kosmologischer Maßstäbe oder grundsätzlicher physikalischer Konstanten gibt“, schreibt der schwedische Philosoph Nick Bostrom von der Universität Oxford. „Wären sie nur ein klein wenig anders, wäre das Universum frei von intelligentem Leben.“

Bostrom nennt den Anfang des Alls. „Im klassischen Urknall-Modell scheint die Geschwindigkeit während der frühen Ausdehnungsphase fein abgestimmt zu sein“, schreibt er. „Wäre sie nur ein wenig größer gewesen, hätte sich das Universum zu schnell ausgedehnt und damit hätten keine Galaxien entstehen können.“ Zu mehr als einem dünnen Wasserstoffgas hätte es nicht gereicht. Schwere Elemente wie Kohlenstoff wären nicht erzeugt worden, denn dazu sind Fusionsöfen im Innern der Sterne nötig. Wäre die Ausdehnung nur minimal geringer, wäre das Universum kurz nach dem Urknall wieder in sich zusammengefallen. Auch dann wäre kein Leben entstanden. Das Universum, mit genau den richtigen Bedingungen für Leben, scheint „auf des Messers Schneide zu balancieren“, zitiert Bostrom seinen kanadischen Kollegen John Leslie.

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Aus Sicht des Physikers und Buchautors Sean Carroll vom California Institute of Technology könnte die Vakuumenergie ein Indiz für Feinabstimmung sein. Unter der Vakuumenergie versteht man die (äußerst geringe) Energiedichte im leeren Raum. Sie ist um 120 Größenordnungen geringer, als sie nach theoretischen Berechnungen sein müsste. Wäre sie jedoch größer, als sie in Wirklichkeit ist, könnten weder Galaxien noch Sterne entstehen. Viel kleiner als kalkuliert – das ist ein merkwürdiger Sachverhalt, den Kosmologen sich bis heute nicht erklären können. Und selbst für den Skeptiker Carroll der eindeutigste Hinweis auf ein harmonisch gestimmtes Orchester kosmischer Konstanten.

Weitere Beispiele nennt der Physiker Victor Stenger. So ist die elektromagnetische Kraft 39 Größenordnungen stärker als die Schwerkraft. „Wenn beide vergleichbar stark wären, wären die Sterne in sich zusammengefallen, lange bevor Leben die Chance hatte, sich zu entwickeln", schreibt Stenger.

Fündig wurde er ebenfalls bei den Elementarteilchen. So ist die Masse eines Elektrons geringer als der Unterschied der Massen von Neutron und Proton, eine Bedingung dafür, dass im frühen Universum genügend Wasserstoff als Hauptbestandteil der Sterne und deren Energiequelle vorhanden war. Und der britische Astronom Martin Rees bringt in dem Buch „Just six numbers“ sechs Naturkonstanten ins Spiel, die für die Gestalt des Universums grundlegend sind. Dazu zählt die Tatsache, dass wir uns in einem dreidimensionalen Kosmos befinden.

Leben wir also in der besten aller möglichen Welten, wie schon der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz meinte? Leben wir in einem Goldlöckchen-Universum? Die Einblicke der modernen Naturwissenschaften haben uns jedenfalls gelehrt, dass je nach den fundamentalen Naturgesetzen ganz andere Universen denkbar sind. Zumindest existieren wir in einer Welt, die mit intelligentem Leben vereinbar ist. Sonst wären wir nicht hier und könnten es beobachten, meint der australische Physiker Brandon Carter vom Pariser CNRS-Forschungszentrum.

Der Mensch ist Zuschauer im kosmischen Theater

Zwar dachten schon vor Carter Wissenschaftler ähnlich. Aber er war es, der der Idee einen Namen gab. Bei einem Treffen zu Ehren von Nikolaus Kopernikus’ 500. Geburtstag im Jahr 1973 prägte er den Ausdruck „anthropisches (menschliches) Prinzip“. Das war eine Antwort auf das Kopernikanische Prinzip. Der Astronom Kopernikus hatte Erde und Mensch zugunsten der Sonne aus dem Zentrum des Universums verbannt. Ein erster Schritt in die Peripherie, dem in den nächsten Jahrhunderten weitere folgen sollten. Carter machte ihn nicht rückgängig. Aber er gewährte dem Menschen eine Zuschauerrolle im kosmischen Theater.

Mittlerweile existieren mehr als 30 verschiedene Fassungen des anthropischen Prinzips. Von Carter stammen eine „schwache“ und eine „starke“ Version. Laut schwachem anthropischen Prinzip lassen sich bestimmte „unwahrscheinliche“ Naturkonstanten und ihr Zusammenwirken mit der Existenz eines intelligenten Beobachters erklären. Das menschliche Dasein schließt naturgemäß Beobachtungen oder Theorien aus, die seiner Existenz widersprechen. In Carters Worten: Unser Ort im Universum ist notwendigerweise privilegiert. Nämlich in dem Maß, in dem dieser Ort mit unserer Existenz als Beobachter vereinbar ist.

"Ich denke, also ist die Welt so, wie sie ist"

Noch deutlicher wird Carter beim starken anthropischen Prinzip. Danach ist das Universum so beschaffen, dass es das Entstehen von Beobachtern zulassen musste. „Cogito ergo mundus talis est“ variiert Carter das „Cogito ergo sum“ des französischen Philosophen René Descartes. Aus Descartes’ „Ich denke, also bin ich“ wird bei ihm „Ich denke, also ist die Welt so, wie sie ist“.

Ob das anthropische Prinzip die mutmaßliche Feinabstimmung des Kosmos wirklich erklären kann, darüber wird bis heute gestritten. Vielleicht ist die Feinabstimmung selbst nur eine Art optische Täuschung. In diese Richtung argumentiert der Physiker Stenger. Er nennt vier wesentliche physikalische Bedingungen für das Universum: die Massen der Elementarteilchen Elektron und Proton sowie die Größe der elektromagnetischen und der starken Wechselwirkung (auch bekannt als starke Kernkraft).

„Ich untersuchte, wie die minimale Lebenszeit eines typischen Sterns von den ersten drei Bedingungen abhängt“, schreibt Stenger. „Selbst wenn man sie um zehn Größenordnungen um ihren heute gemessenen Wert verändert, würden die Hälfte der Sterne noch immer eine Lebensspanne von mehr als einer Milliarde Jahren haben.“ Damit könnten sie schwere Elemente herstellen, wie sie zum Entstehen des Lebens erforderlich sind. Wobei es nicht gesagt ist, das Leben immer so aussehen muss wie auf der Erde. Vielleicht bedient es sich ganz anderer Elemente.

"Der Betrachter spielt mit den Zahlen, bis die Vorannahmen stimmen"

„Kurz gesagt, viele der sogenannten fein abgestimmten Maßstäbe der Mikrophysik liegen im Auge des Betrachters und sind längst nicht immer fest in der Physik verankert“, fasst Stenger seine Kritik zusammen. „Der Betrachter spielt so lange mit den Zahlen, bis sie seine Vorannahmen bestätigen.“

Andere verweisen darauf, dass das „schwache“ anthropische Prinzip eine Tautologie (weißer Schimmel) ist, und ein Zirkelschluss, der sich aus sich selbst erklärt: Natürlich „passen“ die Naturkonstanten zu unserer Lebensform. Wenn nicht, wären wir nicht hier, um über sie zu sprechen. Das klingt beinahe banal.

Das „starke“ anthropische Prinzip dagegen – das Universum ist so beschaffen, dass es Beobachter hervorbringen kann – klingt metaphysisch, nach einem Zweck und einer Richtung des Geschehens. Evolutionsforscher konterten, dass hier Ursache und Wirkung vertauscht würde. Nicht das Universum hat sich an das Leben angepasst, sondern dieses ist durch die natürliche Selektion fein abgestimmt auf seine physikalische und geologische Umwelt.

Mit der Idee, dass das Universum dem Menschen auf den Leib geschneidert wurde, haben fromme Theologen wenig Probleme. Im Gegenteil, für sie schreit „das delikate Gleichgewicht zwischen kosmologischen und physikalischen Bedingungen, die notwendig sind für intelligentes Leben“ (so der Theologe William Lane Craig) geradezu nach einem höheren Wesen, einem kosmischen Designer. Damit beleben sie eine antiquierte Disziplin ihres Fachs wieder, die Naturtheologie. Wer ihr frönt, sucht Gott nicht in offenbarten Schriften, sondern in der Natur.

Der Ausweg der Physiker: das Multiversum

Allerdings gibt es aus Sicht der Physik eine natürliche Erklärung für unsere fein abgestimmte Goldlöckchenwelt. Des Rätsels Lösung könnte sein, dass statt einem einzigen eine riesige Zahl von Universen existiert, zusammengefasst in einem Multiversum. Eines dieser vielen Universen ist dann unseres, und die scheinbar so seltenen Bedingungen für das Entstehen von intelligentem Leben wären durch die Vielzahl der Möglichkeiten erklärt.

Wie ein solches Gebilde entstanden sein könnte und wie es aussieht, darüber existieren etliche Ideen. Eine von ihnen ist die von einem oszillierenden Universum, das sich ausdehnt und wieder in sich zusammenfällt, um ein neues Universum hervorzubringen, bis in alle Ewigkeit.

Der Physiker Lee Smolin stellt sich einen evolutionären Kosmos vor, in dem Elternuniversen in schwarzen Löchern Tochteruniversen gebären. Denkbar ist auch, dass neue Welten auf der Basis von Quantenphänomen gleichsam aus dem Nichts erzeugt werden. Und schließlich birgt die Stringtheorie als umfassender Versuch der mathematisch-physikalischen Weltbeschreibung in sich den Keim einer unfassbar großen Vielzahl von Universen.

Theologen halten das Multiversum für eine Ausrede. „Anstelle eines einzigen Gottes eine Billion mal eine Billion andere Universen anzunehmen, um die Ordnung unseres Universums zu erklären, ist der Gipfel der Unvernunft“, polemisiert der christliche Philosoph Richard Swinburne von der Universität Oxford. Man postuliere nicht Universen, sondern physikalische Gesetze, kontert der Physiker Sean Carroll. Bestimmte physikalische Rahmenbedingungen vorausgesetzt, entwickle sich ein Multiversum, „ob Sie wollen oder nicht“. In einem ihrer Gebilde, so viel ist sicher, ist Platz für Laniakea..

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