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Big Bang

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Kosmologie: Ein Universum aus der Kälte

Es geht auch ohne Urknall, behauptet ein Heidelberger Physiker. Das Universum könnte sich sehr langsam aus einem extrem kalten Zustand entwickelt haben.

Auch wenn die Frage, wie das Universum begonnen hat, mit unserem Alltag so gar nichts zu tun hat – sie treibt viele Menschen um. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich als weithin akzeptierte Antwort das Standardmodell mit einem Urknall herauskristallisiert. Demnach entstand der Kosmos mit seinen Teilchen und Gesetzen vor 13,8 Milliarden Jahren aus einem Zustand extrem hoher Dichte und Temperatur und vergrößerte sich in einem winzigen Bruchteil einer Sekunde rasend schnell vom Zustand kleiner als ein Atom auf die Dimensionen eines Golfballs. Es blähte sich auf, weshalb die Physiker von einer vorübergehenden „Inflation“ sprechen. Diese Theorie wurde kürzlich gestärkt, als US-Forscher mit einem Teleskop für Mikrowellenstrahlung am Südpol Spuren von Gravitationswellen erfassten, die so alt sind wie das Universum.

Dennoch hat das Standardmodell bei genauerem Hinschauen einige Ecken und Kanten, ist von einer umfassenden Weltformel noch immer weit entfernt. Darum tauchen immer wieder neue Theorien zum Ursprung des Kosmos auf. Die jüngste stammt von Christof Wetterich, Physiker an der Universität Heidelberg. Wie er im Fachjournal „Physical Review D“ schreibt, stand am Beginn des Universums nicht eine heiße Urexplosion. Vielmehr dehnt sich der Beginn des Universums über einen unendlich langen Zeitraum in der Vergangenheit aus. „Somit hat unser Kosmos auch schon immer bestanden, und sein frühester Zustand war fast statisch“, sagt Wetterich

Grundlage seines Modells ist ein neues skalares Feld, das er „Kosmon“ genannt hat und das sich im Lauf der Zeit ändert. „Es ist dafür verantwortlich, dass sich Naturkonstanten, zum Beispiel die Masse von bestimmten Teilchen, mit der Zeit ändern können“, sagt er und erinnert an das Higgs-Boson. „Dieses Elementarteilchen hat die Physiker in der Vorstellung bestätigt, dass Teilchenmassen von Feldwerten abhängen und damit veränderlich sind.“

In seinem Ansatz wird das Kosmonfeld im Lauf der kosmischen Entwicklung immer stärker – und mit ihm die Massen der Teilchen, ihre Gravitationskraft indes wird schwächer. „So ergibt sich das Bild eines Universums, das sich sehr langsam aus einem extrem kalten Zustand entwickelt“, sagt Wetterich.

Die aktuellen Messungen vom Südpol, die die Standardtheorie stützen, stünden seinem Modell nicht entgegen, sagt der Physiker. Nur geht er davon aus, dass sich die ersten heute indirekt beobachtbaren „Ereignisse“ vor 50 Billionen Jahren zugetragen haben – und nicht im Milliardstel eines Milliardstel einer Sekunde nach dem Urknall.

Andere Wissenschaftler sind allerdings skeptisch. „Soweit ich sehe, liefert Wetterichs komplexere Theorie kein realistisches Bild vom Anfang des Universums“, sagt Volker Müller vom Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam. „Ich halte seine Alternative zum Urknall und zur Expansion für kaum überzeugend.“ Stefan Hofmann von der Ludwigs-Maximilians-Universität München formuliert es noch schärfer: „Die vom Standardmodell der Kosmologie abweichenden Aussagen in der Arbeit beruhen auf einem handwerklichen und konzeptionellen Fehler.“

Der Streit darum, was ganz am Anfang geschah, geht also weiter.

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