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Krebsforschung: Komplexität von Krebs verlangsamt die Suche nach Heilung

Genanalyse deckt multiple Mutationen in Tumoren auf.

Hoffnungen, dass große Studien über Genveränderungen bei Krebs ihre hohen Kosten rechtfertigen würden, indem sie schnelle Wege zur Heilung offenbaren, wurde durch eine Reihe von Veröffentlichungen ein Schlag versetzt.

Der umstrittene Cancer Genome Atlas der US National Institutes of Health analysiert genetische und epigenetische Veränderungen in Karzinomen. Noch in der Pilotphase befindlich, könnte das Projekt schließlich bis zu 1,35 Milliarden US-Dollar kosten. Es umfasst jedoch keine Studien, in denen untersucht wird wie die Mutationen die Tumorentwicklung unterstützen und welche Medikamente Mechanismen angreifen, die wesentlich für das Überleben des Tumors sind, sogenannte funktionale Studien.

Dennoch sind funktionale Studien das, was zwei Veröffentlichungen einer Gruppe um Bert Vogelstein von der Johns Hopkins School of Medicine in Baltimore zufolge benötigt wird. Er und andere sind der Ansicht, dass sich der Fokus von der Suche nach spezifischen Genen, die bestimmte Krebsarten verursachen, verlagern sollte hin zur Unterbrechung biologischer Mechanismen, die das Tumorwachstum unterstützen.

"Aus Studien wie unserer wird offenkundig, dass es schwieriger wird als erwartet, Wege zur wirklichen Heilung von Krebs zu finden", sagt Vogelstein.

Zwei Paper seines Teams sowie eins der Cancer Genome Atlas Gruppe erschienen am 4. September in Science (1,2) und Nature (3). Die Studien ergaben, dass jeder Krebspatient dutzende Genmutationen trägt - im Durchschnitt 63 Alterationen bei Pankreaskrebs und 47 Mutationen bei einer bestimmten Art Hirntumor. Ähnliche Resultate ergaben frühere Untersuchungen zu anderen Karzinomarten. Das macht es unwahrscheinlich, dass die Karzinome mittels Medikamenten geheilt werden, die lediglich eins oder wenige Gene zum Ziel haben, so die Wissenschaftler.

Andere Wissenschaftler nennen die jüngsten Ergebnisse ernüchternd aber wichtig. "Leider ist es nicht das, was wir erhofft haben", sagt Stephen Elledge vom Brigham and Women's Hospital in Boston. "Aber es sind sehr nützliche Informationen darunter - und man lernt daraus, dass Karzinome extrem komplex sind."

Vogelsteins Team analysierte beinahe 21.000 Gene von Patienten mit einem Glioblastom, einem speziellen Hirnkarzinom (1), sowie mit Pankreaskrebs (2). Das Team von Cancer Genome Atlas untersuchte 600 Gene bei 91 Patienten mit einem Glioblastom (3).

Sie hofften, genetische Defekte zu finden, die hinter den Tumoren stehen und mit Medikamenten behandelt werden könnten ähnlich Glivec® von Novartis (Imatinib) und Tarceva® von Genentech (Erlotinib), welche die Aktivität bestimmter mutierter Gene hemmen, die bestimmte Krebsarten verursachen. Stattdessen bestätigen die Ergebnisse frühere Hinweise, dass Patienten mit derselben Diagnose unterschiedliche genetische Ursachen aufweisen können.

"Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Medikamente, die auf ein einzelnes Gen abzielen wie Glivec, gegen solide Tumoren wirken", erklärt Vogelstein, dessen Arbeitsgruppe ähnliche Untersuchungen zu Brust- und Kolorektalkrebs veröffentlicht hat (4).

Die jüngsten Veröffentlichungen identifizieren einzelne Gene, die bei bestimmten Karzinomen wichtig zu sein scheinen. Zum Beispiel berichteten Vogelstein und Kollegen, dass ein Ggen mit der Bezeichnung IDH1, das bereits mit Hirnkarzinomen in Verbindung gebracht wurde, bei jungen Patienten mit bestimmten Glioblastomen häufig mutiert. Und das Team von Cancer Genome Atlas berichtet, dass ein Gen mit der Bezeichnung NF1, über dessen Verbindung zu Krebs früher bereits Hypothesen aufgestellt wurden, bei 23 Prozent der 206 untersuchten Patienten mutiert hatte.

Dieses Team entdeckte ebenfalls, dass Patienten mit einer bestimmten epigenetischen Ausstattung, die mit einer speziellen Chemotherapie behandelt werden, Muster genetischer und epigenetischer Veränderungen zeigen, die sie resistent für weitere Behandlungen machen könnten. Das Mutationsmuster lässt vermuten, warum diese Resistenz auftritt und könnte Ärzten helfen sie zu vermeiden.

Darin zeigt sich die Bedeutung dieser und ähnlicher Studien, sagt Lynda Chin vom Dana-Farber Cancer Institute in Boston, führend am Atlas-Paper beteiligt. "Dies sind sehr wichtige, klinisch relevante Fragen, die sich nicht auf die traditionelle hypothesengeleitete Art beantworten lassen."

Der Cancer Genome Atlas entwickelt sich langsamer als geplant, da es schwieriger als erwartet ist, ausreichend geeignetes Gewebe zur Analyse zu bekommen. Das Nature-Paper ist eine vorläufige Analyse der bislang untersuchten Proben. Viele der hier und von Vogelstein identifizierten Gene wurden jedoch schon in früheren Studien entdeckt und werden bei den meisten Patienten mit bestimmten Karzinomen nicht gefunden.

Das stützt Kritiker wie Elledge, der seit langem gesagt hat, dass funktionelle Studien gebraucht werden, um relevante Angriffsziele für Medikamente aus dem Pool von Mutationen herauszufiltern.

"Die Informationen, die sie sammeln sind nützlich", meint er, "aber es ist teuer und ich denke, ein Teil des Geldes sollte für die Suche nach geeigneten Arzneimitteln verwendet werden."

(1) Parsons, D. W. et al. Science doi:10.1126/science.1164382 (2008) (2) Jones, S. et al. Science doi:10.1126/science.1164368 (2008) (3) The Cancer Genome Atlas Research Network Nature doi:10.1038/nature07385 (2008) (4) Sjöblom, T. et al. Science 314, 268-274 (2006)

Dieser Artikel wurde erstmals am 4.9.2008 bei news@nature.com veröffentlicht. doi: 10.1038/455148a. Übersetzung: Sonja Hinte. © 2007, Macmillan Publishers Ltd

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