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Klassiker. Der Satz „Hiermit erkläre ich Sie zu Mann und Frau“ schafft eine neue Realität – die Ehe.

© picture-alliance/ dpa

Kulturwissenschaft: Mit Worten Fakten schaffen

Performative Sprechakte zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine neue Realität schaffen. Der Sonderforschungsbereich "Kulturen des Performativen" der FU bilanziert eine Erfolgsgeschichte.

Ob John Langshaw Austin 1955 ahnte, wie folgenreich seine neuesten Überlegungen in den nächsten Jahrzehnten sein würden? In einer Vorlesung in Harvard hatte sich der Sprachphilosoph jenen Fällen des Sprechens gewidmet, „in denen etwas sagen etwas tun heißt; in denen wir etwas tun, dadurch dass wir etwas sagen oder indem wir etwas sagen“. Kurze Zeit später veröffentlichte er unter dem Titel „How to Do Things with Words“ („Zur Theorie der Sprechakte“) seine Vorlesung, die einen Paradigmenwechsel einleiten sollte.

Austin unterschied konstative von performativen Äußerungen: Während ein konstativer Sprechakt lediglich über die Richtigkeit von etwas befinde („Diese Blume ist grün“), zeichneten sich performative Sprechakte dadurch aus, dass sie eine neue Realität schaffen. „Hiermit erkläre ich Sie zu Mann und Frau“ ist das wohl prägnanteste und meistzitierte Beispiel für diesen Vorgang. Das Aussprechen der Worte erschafft eine neue Realität, die der Ehe. 55 Jahre und viele wissenschaftliche Publikationen später kann der Begriff der Performativität als eines der bedeutendsten kulturwissenschaftlichen Konzepte der letzten Jahrzehnte gelten.

Die Erfolgsgeschichte der Performativität nicht nur wissenschaftlich aufzuarbeiten, sondern auch voranzutreiben, war das Anliegen eines Sonderforschungsbereiches (SFB) an der Freien Universität Berlin. Als er 1999 eingerichtet wurde, war er der erste geisteswissenschaftliche SFB der FU. Kürzlich beschloss die Gruppe mit Wissenschaftlern aus Fachbereichen wie Tanz-, Musik-, Sport- und Literaturwissenschaften, historischer Anthropologie und Philosophie ihre Forschungstätigkeit mit einer dreitägigen Konferenz im Haus der Kulturen der Welt. „Das Konzept der Performativität ist heute im Mainstream angekommen“, resümiert Erika Fischer-Lichte, Professorin der Theaterwissenschaft und Sprecherin des SFB. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hatte die Förderzusage seit 1999 dreimal verlängert, so dass im Verlauf der beinahe zwölfjährigen Arbeit nicht nur zahlreiche Mitarbeiter- und Doktorandenstellen finanziert wurden, sondern auch eine ganze Anzahl an Publikationen entstanden ist.

„Unsere Forschungsgruppe wollte die Performativität als ein kulturwissenschaftliches Paradigma auf die Landkarte setzen. Das ist uns gelungen“, bilanziert Fischer-Lichte. Es sei auch den Konferenzen, Publikationen und Kolloquien des Sonderforschungsbereichs zu verdanken, dass die Performativität inzwischen weiträumig als ein bedeutender kultureller Faktor benannt werde. So schrieb Papst Benedikt XVI. in seiner Enzyklika „Spe salvi“ von 2007: „Im heutigen Sprachgebrauch können wir sagen, dass die christliche Botschaft nicht nur informativ ist, sondern auch performativ.“ Das Evangelium sei nicht nur eine Botschaft, die es zu wissen gelte, sondern auch eine Form der Kommunikation, die Handlungen vollziehe und die Welt verändere.

Auch die Fußballweltmeisterschaft ist laut Fischer-Lichte ein schönes Beispiel für performative Ereignisse. Dass Fanchöre und jubelnde Menschen in Schwarz-Rot-Gold daran beteiligt seien, eine nationale Identität zu bilden, lässt sich dieser Tage gut beobachten.

Zu den bekanntesten Ergebnissen des SFB gehört sicher Fischer-Lichtes Buch mit dem Titel „Ästhetik des Performativen“, in dem sie die Theateraufführung vornehmlich als performatives Ereignis bestimmt, an dem Zuschauer wie Künstler im Augenblick der Aufführung leibhaftig teilhaben. Seit den 60er Jahren, die Fischer-Lichte als performative Wende in den Künsten der westlichen Kultur bestimmt, sei Kunst nicht mehr ausschließlich als ein System von Zeichen verstanden worden, die es zu deuten gilt. Stattdessen ginge es darum, Kunst zu erfahren und an ihr mitzuwirken.

Die Performance-Künstlerin Marina Abramovic etwa bezieht in ihren Inszenierungen konsequent die Zuschauer ein. 1975 hatte sie in einer Galerie über Stunden hinweg ihren Körper malträtiert, sich mit Rasierklingen verletzt, in hohen Mengen Honig und Wein konsumiert, sich nackt auf einen Eisblock gelegt. Nach zwei Stunden griffen einige Zuschauer ein, um die Qual nicht länger mit ansehen zu müssen und die Künstlerin vor schweren Verletzungen zu schützen.

Solche Aufführungen seien dezidiert performative Ereignisse, sagt Fischer-Lichte, denn die klare Trennung zwischen Künstlerin und Zuschauer sei aufgehoben zugunsten eines Kunstwerks, das erst im Prozess seiner Aufführung entstehe. Seitdem richte man sein Augenmerk nicht nur auf Inhalt und Bedeutung eines Kunstwerks, sondern beziehe auch Faktoren wie die Atmosphäre im Raum, Stimme und Körper des Schauspielers oder die Dauer einer Aufführung in die Wirkungsästhetik von Kunst mit ein.

Als ein zentrales Ergebnis der Arbeit des SFB bezeichnet Fischer-Lichte die Unvorhersehbarkeit, die performative Prozesse kennzeichne. „Was in einer Aufführung geschieht, ist nicht vollständig planbar und entzieht sich der Kontrolle eines einzelnen oder einer Gruppe“, sagt sie. Das gelte natürlich für klassische Theateraufführungen, die beispielsweise durch Zuschauerrufe plötzlich gestört werden könnten. Aber auch wissenschaftliches Arbeiten selbst sei ein solch performativer Prozess und dem Unvorhergesehenen, der Emergenz, unterworfen. „Unser Antrag auf Förderung durch die DFG war gewissermaßen ein Sprechakt, in dem wir im Vorhinein bestimmte Ergebnisse benannt haben, ohne tatsächlich zu wissen, ob sich diese bestätigen würden.“

Eines dieser ungeplanten Ergebnisse sei, dass sich die Forschung über Performativität zunehmend als Zukunftsforschung erwiesen habe. „Wenn ich jemandem etwas verspreche, so tue ich das mit Blick auf die Zukunft“, erklärt Fischer-Lichte. Das gelte auch für kulturelle Rituale wie zum Beispiel die Taufe oder die Vereidigung eines Politikers. „Die Performativität ist eine transformatorische Kraft, die uns einen neuen Blick auf die Kultur als einen Wirkungsprozess ermöglicht. Wir geben keine Prognosen für die Zukunft ab, sondern fragen, wie überhaupt Zukünftiges entsteht.“ Dieser Aspekt stecke noch in seinen Kinderschuhen und verdiene zukünftig weitere Beachtung, sagt Fischer-Lichte. Die Abschlusstagung mit dem Titel „Performing the Future“ sei damit Startschuss gewesen für die These, dass Wissenschaft Themen und Gegenstände nicht nur darstelle, sondern sie auch hervorbringe.

Als bedeutsam hätte sich auch herausgestellt, dass Performativität nicht zwangsläufig positiv bewertet werden müsse. Wegen der Konjunktur der Performativität in den Kulturwissenschaften hätte man zunächst übersehen, dass sie auch ein destruktives Moment habe. „Hitlers Reichsparteitage und die Begeisterung der Massen für die Nazis sind ein Beispiel dafür, wie Menschen durch die Teilnahme an performativen Ereignissen manipuliert wurden“, sagt Fischer-Lichte. Von der individuellen Eigenverantwortung entbinde das jedoch nicht. „Wir sind einem performativen Geschehen nicht ausgeliefert, sondern müssen uns auch darauf einlassen.“

Wie kam es überhaupt zu einer derartigen Bedeutung der Performativität für die Künste und Kulturwissenschaften? „Performative Akte hat es immer schon gegeben. Jeder wusste, dass er eine Handlung tätigt, indem er ein Versprechen gibt. Und schon bei Aristoteles finden wir die These, dass der Theaterbesuch verändernd auf den Menschen einwirkt“, erklärt Fischer-Lichte. Seltsamerweise sei es aber erst seit Austin zu einer Theoretisierung dieses Umstands gekommen.

Nachdem Judith Butler dann Anfang der 90er Jahre die sprachphilosophischen Thesen in die Kulturwissenschaft eingeführt und Geschlechtsidentitäten als performativ beschrieben habe, sei nach und nach deutlich geworden, dass die Performativitätsforschung alle Arten kulturellen Handelns ganz neu betrachten könne. Damit dürfte Austins Vorlesung in Harvard als eine der performativsten in der Geschichte der Wissenschaft gelten.

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