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La Niña: Das kalte Kind flutet Pakistan

Das Wetterphänomen "La Niña" und der Klimawandel verstärken den asiatischen Monsun. La Niña ist einer der Faktoren, der für die Flutkatastrophe in Pakistan verantwortlich ist.

„Eine Verkettung unglücklicher Umstände“ nennen Techniker es, wenn verschiedene Faktoren schiefgehen und alle Ereignisse zusammen zu einer Katastrophe führen. Was für Verkehrsunfälle oder die Atomenergiekatastrophe von Tschernobyl gilt, trifft wohl auch auf die Wassermassen zu, die zurzeit Pakistan fluten. „Es kamen drei Ereignisse bei Wetter und Klima zusammen, die gemeinsam zu den verheerenden Überschwemmungen führten“, erklärt Mojib Latif vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften (IfM-GEOMAR) in Kiel. Der Meteorologe, Ozeanograf und Klimaforscher untersucht das Zusammenwirken von Strömungen in der Atmosphäre und den Weltmeeren – und damit letztendlich die Kombination, die Pakistan jetzt wahre Sintfluten gebracht hat.

Einer der Faktoren: La Niña. So bezeichnen Wissenschaftler ein Klimaereignis über dem tropischen Pazifik, das eigentlich nur eine Steigerung der normalen Verhältnisse ist. Normalerweise wehen dort die sogenannten Passatwinde ziemlich gleichmäßig nach Westen und treiben damit vor der Westküste Südamerikas das Wasser des Pazifiks nach Westen. Vor Peru steigt nun kaltes Wasser aus der Tiefe auf und macht das Meer zur Weihnachtszeit dort mit 24 Grad Celsius für tropische Regionen recht kühl. Zur gleichen Zeit steigt das Thermometer im Meerwasser vor Indonesien dagegen auf 28 Grad.

Auf ihrem Weg nach Westen nehmen die Passatwinde jede Menge Feuchtigkeit aus dem Pazifik auf und kollidieren in der Nähe von Indonesien mit Winden, die nach Osten in die entgegengesetzte Richtung wehen. Beide Luftmassen können nur in eine Richtung ausweichen: nach oben. Dabei kühlt die feuchte Luft ab und die heftigen tropischen Regenfälle setzen ein, die für Indonesien typisch sind. Die aufsteigende Luft „verdünnt“ gleichzeitig die Atmosphäre direkt über der Erdoberfläche, vor Indonesien liegt daher häufig ein Tiefdruckgebiet.

In einer Höhe von neun bis zwölf Kilometern strömt die ausgeregnete Luft von Indonesien zurück nach Osten. Auf ihrem langen Weg über den Pazifik kühlt sie aus, wird schwerer und sinkt schließlich über der Küste Südamerikas wieder zu Boden. Walker-Zirkulation nennen Meteorologen diesen gigantischen Kreislauf über dem tropischen Pazifik, dessen absinkende Luft über der südamerikanischen Westküste ein Hochdruckgebiet mit sehr trockener Luft entstehen lässt. Von der Grenze zwischen Ecuador und Peru bis beinahe zur Mitte Chiles zieht sich daher ein Wüstengürtel, der zu den trockensten Regionen der Welt zählt.

Manchmal aber beginnen im Oktober das Hoch über Peru und das Tief über Indonesien zu schwächeln. Dann flauen die Passatwinde ab und bis zur Weihnachtszeit können sich die Verhältnisse komplett umkehren: Wärmeres Wasser schwappt nun an die südamerikanische Küste und ein Tiefdruckgebiet bringt den Wüsten dort heftige Regenfälle, während ein Hochdruckgebiet Indonesien statt tropischer Niederschläge Dürre beschert. Weil diese Klimaanomalie alle zwei bis acht Jahre um Weihnachten beginnt, nennen die Fischer Perus das Ganze nach dem spanischen Begriff für „Christkind“ auch „El Niño“.

Pegelt sich nach ein paar Monaten der Normalzustand wieder ein, schießt das Klima manchmal sogar über das Ziel hinaus. Dann werden das Hochdruckgebiet über Südamerikas Pazifikküste und das Indonesientief besonders stark, die Passatwinde wehen kräftiger als sonst und treiben kälteres Wasser nach Westen. Im Nordhemisphären-Sommer dieses Jahres war es wieder so weit: „Im Juli 2010 lagen die Wassertemperaturen im tropischen Pazifik zwei Grad niedriger als normalerweise“, berichtet Mojib Latif. Diesen Anti-El-Niño nennen Klimaforscher „La Niña“. Im Deutschen heißt das „Mädchen“, während „El Niño“ nicht nur „Christkind“, sondern auch „Junge“ bedeutet.

„La Niña aber verstärkt auch den Monsun, der über Indien von Mai bis August starke Niederschläge bringt“, fasst Mojib Latif Wetterbeobachtungen der letzten Jahrzehnte zusammen. Offensichtlich verschiebt das kühle Kind aus Südamerika die Niederschlagsgebiete über Südostasien dabei weiter nach Westen. La Niña aber tritt alle paar Jahre auf, während sich an ähnliche Sintfluten über Pakistan wie in den letzten Wochen kaum jemand erinnern kann. Daher müssen noch weitere Faktoren den Monsun verstärkt haben.

So reagiert der weit im Westen des Pazifiks liegende Indische Ozean erst mit rund drei Monaten Verspätung auf La Niña. „Dort war das Wasser im Juli 2010 daher noch um ein halbes Grad wärmer als sonst“, berichtet Mojib Latif. Je wärmer der Indische Ozean aber ist, umso mehr Wasser verdunstet. Der Monsunwind wird so noch feuchter als er ohnehin schon ist und die Niederschläge verstärken sich.

Und dann ist da auch noch der Klimawandel als Faktor drei in der Verkettung unglücklicher Umstände: „In den letzten 50 Jahren ist der Indische Ozean rund ein halbes Grad wärmer geworden“, erklärt Mojib Latif. Dadurch aber verdunstet noch mehr Wasser und der Monsun wird noch feuchter. Während er sich in normalen Jahren im Norden Indiens und an den Hängen des Himalaya abregnet, bevor er in Pakistan nur noch normale Niederschläge bringt, war 2010 alles anders: Als der Monsun in Pakistan ankam, war seine Luft so feucht wie sonst über Indien und es kam zu erheblich stärkeren Regenfällen als normalerweise.

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