zum Hauptinhalt
327853_0_b72354ea.jpg

© Uwe Steinert

Leibniz-Preis: Ausgezeichneter Nachmacher

Der Materialforscher Peter Fratzl will die Tricks der Natur verstehen. Dafür erhält er den Leibniz-Preis.

Peter Fratzls Buchgeschmack ist ungewöhnlich. Auf seinem Schreibtisch im Potsdamer Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung liegt, in schwarz-grün-marmoriertem Einband, so eine Sonderbarkeit: „Die Bausteine des Tierkörpers in polarisiertem Lichte“ von Wilhelm Josef Schmidt, 1924. Die Überschriften verraten die Detailversessenheit des Autors: „Kristallinischer Kalk im Taschenkrebspanzer“ oder „Beobachtungen am jugendlichen Schmelz von Elefanten“.

„Das ist ein Wissen, das über viele Jahre hinweg als nicht relevant angesehen wurde“, sagt Fratzl . Aber es ist genau die Art von Wissen, die er braucht. Denn Fratzl ist Biomaterialforscher. Er möchte verstehen, wie Lebewesen einfachen Materialien geradezu spektakuläre Eigenschaften verleihen. „Dafür müssen wir natürlich erst einmal wissen, was es in der Natur überhaupt für interessante Dinge gibt.“

Als „relevant“ wird Fratzls Forschung in jedem Fall angesehen. Deshalb hat der 51-jährige Österreicher seine eigene Abteilung am Max-Planck-Institut mit mehr als 50 Mitarbeitern. Und deswegen bekommt er am heutigen Montag als einer von zehn Forschern den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft verliehen, dotiert mit 2,5 Millionen Euro. Zur Feier haben seine Mitarbeiter ihm einen überdimensionalen Leibniz-Butterkeks gebacken, „Leibniz-Preis in Butter“ steht darauf.

Im großen Maßstab imitieren, das ist auch der Gedanke hinter Fratzls Forschung. Glasschwämme etwa. Diese Meeresbewohner bauen ihr Skelett aus Siliziumdioxid, Quarzglas. „Normalerweise ist Glas natürlich sehr spröde und zerbricht, wenn es auf den Boden fällt“, sagt Fratzl. Das Schwammglas aber ist anders, weniger spröde, bruchsicherer. Warum, das haben Fratzl und seine Kollegen herausgefunden: „Wenn Sie eine Scheibe Glas schneiden, dann ritzen Sie es an und brechen es dann entlang des Kratzers“, sagt er. Dasselbe passiere, wenn Glas auf den Boden falle: Es bilde sich ein kleiner Riss, der dann durch das gesamte Material läuft.

Glasschwämme verhindern das, indem sie das Material in hauchdünnen Schichten anlegen, eine Schicht Siliziumdioxid, dann eine Schicht Eiweiß, dann wieder Siliziumdioxid und so weiter. Als würde man hauchdünne Scheiben hintereinanderkleben, jeweils getrennt durch eine Klarsichtfolie. „Dadurch kann ein Kratzer in der äußersten Schicht nicht weiterlaufen“, erklärt Fratzl. Einige Arbeitsgruppen wenden dieses Sandwichkonzept bereits bei der Glasherstellung an.

Es sind diese einfachen, aber effektiven Mechanismen, die Fratzl bei Lebewesen faszinieren. „Die Natur arbeitet mit dem, was sie zur Verfügung hat – und das ist nicht sehr viel“, sagt er. Lebewesen ziehen ihre Rohstoffe aus der Luft, aus dem Boden oder dem Wasser. Sie haben keinen Stahl und keine Halbleiter zur Verfügung. „Diese Materialien werden bei hohen Temperaturen hergestellt, deswegen können Lebewesen sie nicht nutzen“, sagt Fratzl.

Aber die Not hat die Natur erfinderisch gemacht. „Was in dieser Mangelwirtschaft möglich ist, ist beeindruckend. Schauen Sie sich einen Knochen an, einen Baum oder eben einen Glasschwamm“, sagt Fratzl. Der Trick der Natur: Indem sie die Materialien, die ihr zur Verfügung stehen, geschickt kombiniert und strukturiert, verleiht sie ihnen neue Eigenschaften. Fratzl sieht darin ein Vorbild für den Menschen: „Wenn wir schaffen, das von der Natur zu lernen, dann können wir unsere Materialien besser machen, billiger und nachhaltiger.“

Dafür erforscht Fratzl Schildkrötenpanzer, Spinnenhaut, Muschelfäden, Knochen – und Weizensamen. „Wir wollen verstehen, wie Pflanzen sich bewegen“, sagt Fratzl. Weizensamen sind dafür ein gutes Vorbild, denn sie „schwimmen“ auf dem Ackerboden von der Mutterpflanze weg. Jedenfalls beim Wildweizen, der im Nahen Osten wächst.

In seinem Schrank hat Fratzl einen der Samen aufgehoben. Von dem kleinen Kern biegen sich zwei lange Grannen in V-Form weg, wie zwei Insektenfühler, die die Umgebung erkunden. Die Zellulose ist darin so angeordnet, dass sie im feuchten Morgentau an einer Seite stärker anschwillt.

Die Grannen biegen sich dadurch und das V öffnet sich. In der Abendsonne schließt es sich dann wieder. Kleine Glassplitter in der Außenhaut wirken wie Widerhaken und verhindern, dass der Samen nur hilflos auf der Stelle rudert. Millimeter für Millimeter robbt der Samen über den Erdboden.

Fratzl hofft, dass man das eines Tages vielleicht in der Architektur nutzen kann. „Zum Beispiel für Dächer, die sich öffnen, wenn die Sonne scheint.“ Das ist natürlich keineswegs sicher. „Wenn man einen Durchbruch erzielen will, dann muss man zehn riskante Versuche anstellen. Dabei fällt man dann neunmal auf die Nase, und einmal klappt es“, sagt Fratzl.

Auch das hat er sich bei der Natur abgeguckt. Denn für jedes Glasskelett und jeden Schildkrötenpanzer gibt es zahllose Mutationen, die Lebewesen in die Sackgasse geführt haben. Aber in der Natur wie in der Forschung zählt am Ende das eine Mal, wo es klappt.

 Kai Kupferschmidt

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false