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© pa/dpa

Leserdebatte: Sind Jungen das neue schwache Geschlecht?

Männliche Jugendliche werden in der Schule abgehängt, heißt es. Doch Wissenschaftler warnen vor falschen Schlüssen - stereotype Rollenbilder können Leistungen negativ beeinflussen. Was meinen Sie? Diskutieren Sie mit!

Jungen sind das neue schwache Geschlecht, lautet eine verbreitete These. Schon seit einigen Jahren bemühen sich viele Pädagogen und Journalisten, die Aufmerksamkeit weg von den lange als benachteiligt geltenden Mädchen hin zu den Jungen zu lenken. "Die Krise der kleinen Männer", titelte die "Zeit", "Böse Buben, kranke Knaben" textete der "Spiegel" und "Naht die Männerdämmerung?", fragte die "Stuttgarter Zeitung".

Der Befund: Die Jungen sind von den Mädchen beim Abitur überholt worden, während sie unter den Hauptschülern und Schulabbrechern (58 Prozent) und Sitzenbleibern (2,7 Prozent des Jahrgangs 2007 gegenüber 2,2 Prozent bei den Mädchen) die Mehrheit stellen.

Die Ursache sehen die Autoren darin, dass die Schule sich jahrzehntelang auf die Mädchenförderung fokussiert habe. Auch würden die überwiegend weiblichen Lehrkräfte die Jungen – sei es unbeabsichtigt – zu einem Verhalten zwingen, das sich am weiblichen Geschlecht orientiere.

Ein ganzes Geschlecht kommt in der Schule zu kurz – das wäre ein Skandal. Doch sind die Jungen wirklich die Verlierer im Bildungssystem? Nein, sagt Detlef Pech, Professor für Grundschulpädagogik an der Humboldt-Universität: "Der aktuelle Jungen-Diskurs verkürzt die Realität tragisch." In der Tat würden mehr Jungen scheitern als Mädchen. Bedroht seien aber keineswegs alle Jungen, sondern solche aus schwachen sozialen Milieus, darunter viele mit Migrationshintergrund. Auch Mädchen aus sozial schwachen Familien versagen dramatisch häufig: "Darum darf man die benachteiligten Schüler nicht gegeneinander ausspielen."

Der Männerforscher Jürgen Budde von der Universität Halle-Wittenberg, der im Auftrag des Bundesbildungsministeriums die Studie "Bildungs(miss)erfolge von Jungen" erstellt hat, sieht das genauso. Offenbar habe es aber einen höheren Sensationswert, "die Jungen" in Gefahr zu sehen, anstatt sich den abgehängten Migrantenjugendlichen beider Geschlechter zuzuwenden. Budde, der selbst mit Jungengruppen arbeitet, sieht in der Debatte aber auch "antifeministische Züge". Es gehe um Verteilungskämpfe, etwa um Geld für die Jungenförderung.

Budde kritisiert auch, dass die Diskussion Jungen einseitig negative Merkmale zuschreibt. Dabei seien die meisten Jungen durchschnittlich, manche sogar sehr erfolgreich in der Schule: So sind Jungen bei Pisa in Mathematik und den Naturwissenschaften häufiger in der Spitzengruppe vertreten als Mädchen. Der Abstand zwischen einem deutschen Professorensohn und dem Sohn eines arabischen Hilfsarbeiters ist weit größer als zwischen Mädchen und Jungen insgesamt.

Bildungserfolge hängen folglich sehr stark von der sozialen Herkunft ab. Als weiterer Faktor kommt das Geschlecht hinzu. In der Schule können sich Männlichkeitsnormen nachteilig auswirken. Wer unter seinen Mitschülern nicht als Streber, sondern als "echter Junge" anerkannt sein will, hat den Beweis dafür zu erbringen, indem er Lesen "uncool" findet und im Unterricht stört. Von einem solchen "negativen Männlichkeitsdruck" getrieben fühlen sich zumal solche Schüler, deren soziale Herkunft ihnen sonst kaum Chancen für andere "Statusgewinne" eröffnet.

Negative Vorurteile gegenüber Jungen können dazu führen, dass Lehrkräfte ihnen schlechtere Noten geben, wie aus Buddes Studie hervorgeht. Auch Eltern schätzen Jungen schlechter und vor allem unmotivierter ein als Mädchen. Schließlich zeigen die Jungen dann tatsächlich weniger Leistung.

Was meinen Sie? Haben die Mädchen durch jahrzehntelange Förderung die Jungen einfach eingeholt? Warum schneiden Jungen zum Teil schlechter ab? Oder ist an diesen Behauptungen vielleicht gar nichts dran? Diskutieren Sie mit!

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