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Die Schöpferin des Meitner-Denkmals ist die Bildhauerin Anna Franziska Schwarzbach. Hier arbeitet sie an mehreren Gipsabdrücken für das Denkmal für Lise Meitner.

© Helmholtz-Zentrum Berlin für Material und Energie

Lise Meitner: Große Physikerin, späte Ehrung

1938 musste Lise Meitner Deutschland verlassen, im schwedischen Exil traf die berühmte Physikerin auf eine feindliche Arbeitsumgebung, wie ein neues Buch zeigt. Die Humboldt-Universität setzt ihr nun ein spätes Denkmal: Es ist das erste überhaupt für eine Wissenschaftlerin in Deutschland.

Am Anfang habe sie gelitten, weil sie eine Frau war. Später habe sie gelitten, weil sie Jüdin war. So hat Lise Meitner es gegenüber Herwig Schopper noch Anfang der 1950er Jahre formuliert. Die damals schon weltberühmte Kernphysikerin hat mit ihrem jungen Mitarbeiter viel über die Vergangenheit gesprochen, über die Widerstände, gegen die sie im Laufe ihrer Karriere kämpfen musste. „Sie durfte ja in den ersten Jahren das Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin nur durch den Hintereingang betreten“, erinnert sich Schopper, der später Generaldirektor des Europäischen Forschungszentrums CERN in der Schweiz wurde.

Zu Beginn ihrer Karriere darf Lise Meitner nur im Keller arbeiten

Schopper ist einer der letzten, die noch Auskunft geben können, wie sie denn war, die Frau, deren Namen heute jeder kennt und die wie kaum eine andere für die Entdeckung der Kernspaltung steht. „Sehr charmant“ sei sie gewesen, sagt Schopper, aber im schwedischen Exil auch sehr isoliert. An widrige persönliche Umstände war Meitner gewöhnt: Die 1878 in Wien geborene Tochter eines Rechtsanwalts studiert Mathematik, Physik und Philosophie und promoviert 1906 als eine der ersten Frauen in Wien. 1907 wechselt sie nach Berlin, bekommt allerdings keinen Zugang zu den Experimentierräumen der Universität, nur im Keller lässt man sie arbeiten. Erst ab 1909 erlaubt Preußen Frauen offiziell das Studium.

105 Jahre später ist das in Berlin keineswegs vergessen. Das Lise-Meitner-Denkmal, das die Humboldt-Universität (HU) am morgigen Donnerstag enthüllt, ist nach Angaben der Universität das erste für eine Wissenschaftlerin in Deutschland überhaupt. Und das von der Berliner Bildhauerin Anna Franziska Schwarzbach geschaffene Werk soll auch „ein Erinnerungsort für jüdische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sein, deren Wissenschaftskarriere nach antisemitischer Verfolgung und Vertreibung im Nationalsozialismus weitgehend endete“, wie die HU mitteilt.

1926 wird Meitner erste Professorin Berlins

Lise Meitner kann allen Widrigkeiten zum Trotz schnell Erfolge vorweisen und wird 1912 ans Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie berufen. Es folgen zwei glückliche Jahrzehnte, in denen sie die Abteilung für Physik leitet und zusammen mit ihrem Kollegen, dem Chemiker Otto Hahn, wegweisende Entdeckungen auf dem Gebiet der experimentellen Kernphysik macht. 1922 habilitiert sie sich und wird 1926 die erste Professorin Berlins. Aufgrund ihrer jüdischen Abstammung verliert sie 1933 Professur und Lehrerlaubnis, kann aber, geschützt durch ihre österreichische Staatsangehörigkeit, zunächst weiter in Dahlem arbeiten. 1938 – nach dem Anschluss Österreichs – fällt dieser Schutz weg. Sie verlässt Deutschland und geht nach Stockholm. Dort hat man ihr eine unbefristete Stelle angeboten.

Die Physikerin Lise Meitner.
Die Physikerin Lise Meitner war die erste Frau in Berlin, die eine Professur erhielt.

© HU/Malte Heitmann

„Sie war sehr unglücklich in Schweden“, erzählt Hedvig Hedqvist. Die 1940 geborene schwedische Autorin hat Meitner als Kind in den 40er und 50er Jahren erlebt, „sie war oft bei meiner Familie zu Besuch“. Hedqvists Großtante Eva von Bahr ist eine Jugendfreundin Lise Meitners, die beiden Frauen kennen sich aus Berlin und bleiben lebenslang befreundet. Viele private Briefe, die Hedqvist nach dem Tod ihrer Großtante und ihrer Großeltern findet, zeugen davon. Als Meitner aus Berlin fliehen muss, sind es Hedqvists Großeltern – Eva von Bahrs Schwester und ihr Mann –, die sich um Papiere und Aufenthaltsgenehmigung in Schweden kümmern und Meitner oft zu sich einladen. Dass Meitner trotzdem nicht heimisch wird, hat viele Gründe. „Es war Krieg, die Nachrichten, die aus Deutschland kamen, waren nicht gut. Jeder war unglücklich.“ Aber natürlich habe sie auch die Situation mit Siegbahn belastet.

Sie erwartete, ihre Expertise sei in Schweden willkommen - stattdessen war sie isoliert

Manne Siegbahn (1886-1978), schwedischer Physiker, Nobelpreisträger, Leiter des damals neugebauten Nobel-Instituts für Physik, an das Lise Meitner 1938 kommt: Für die Meitner-Biografin Ruth Sime ist er der entscheidende Gegenspieler, der intrigante Kollege, der es jahrelang verstehen wird, Meitner Steine in den Weg zu legen. In einem demnächst auf Deutsch erscheinenden Aufsatz zeichnet Sime die Querelen zwischen Meitner und Siegbahn nach: „Als Meitner nach Schweden kam, dachte sie, sie würde in Stockholm willkommen sein; sie hoffte in der schwedischen Physik-Gemeinde mitwirken zu können; sie erwartete, dass ihre Expertise zählen würde. Stattdessen fand sie sich in einer feindlichen Arbeitswelt, isoliert und ohne die für ihre Forschung nötigen Ressourcen wieder – eine giftige Situation, die ihren Ruf schädigte und sie um einen Nobelpreis brachte.“

Siegbahn habe zuvor mühsam „sein“ Institut aufgebaut und fürchtete nun die Konkurrenz der berühmten Kollegin. Entsprechend kühl sei der Empfang gewesen: „Als sie ankam, war nichts so, wie erwartet. Sie hatte einen Raum am Institut, aber weder Ausrüstung noch Unterstützung, sie hatte nicht einmal eigene Schlüssel zu den Werkstätten und Laboren.“ Bremsen ließ sie sich davon nicht: „Meitner setzte ihre Forschung so gut es ging fort, doch an Siegbahns Institut war sie nie eine Kollegin, sondern immer eine Außenseiterin – buchstäblich ein Fremdkörper.“

Was die emeritierte Chemie-Professorin Sime in ihrem Text als schweren Vorwurf gegen Siegbahn formuliert, bewerten die beiden Zeitzeugen Herwig Schopper und Hedwig Hedqvist graduell anders. „Es gab ein gewisses Missverständnis“, sagt Schopper. „Siegbahn hatte wohl geglaubt, dass sie vom Nobel-Institut eine Pension bekommen und sich ansonsten zur Ruhe setzen würde.“ Immerhin war Meitner bei ihrer Flucht aus Deutschland knapp 60 Jahre alt. „Sie war aber voller Tatendrang und wollte eine Arbeitsgruppe aufbauen. Das war eigentlich nicht vorgesehen.“ Die Lösung habe darin bestanden, dass sie an die Technische Hochschule wechselte. Hedqvist wiederum erinnert sich, dass Meitner durchaus selbstbewusst aufgetreten sei. „Sie wusste um ihre Fähigkeiten.“ Sie habe eine Erste-Klasse-Behandlung erwartet. „Aber eine solche Behandlung war damals in Schweden einfach nicht möglich.“

Die spektakulären Ergebnisse mit Otto Hahn durften nicht unter Meitners Namen erscheinen

Dass sie trotzdem weiter mit Otto Hahn zusammenarbeitet, dass sie dessen Experimente in Berlin aus der Ferne kommentierend begleitet und schließlich zusammen mit ihrem Neffen Otto Frisch den Spaltungsprozess des Urankerns erstmals theoretisch interpretiert – dieser entscheidende Teil ihres Lebenswerks ist unbestritten. Auch wenn die spektakulären Ergebnisse damals nicht unter ihrem Namen erscheinen dürfen. Das wiederum führt dazu, dass die Nobelkomitees für Physik und Chemie immer wieder fadenscheinige Gründe finden, ihr den Nobelpreis nicht zu verleihen. Insgesamt neunmal ist sie zwischen 1939 und 1945 nominiert, ihre männlichen Kollegen werden ausgezeichnet, sie geht bis ans Ende ihres Lebens 1968 leer aus. „Wenn man sich die Unterlagen, die mittlerweile einsehbar sind, anschaut – grässlich liest sich das“, sagt Hedqvist. Auch Ruth Sime beschreibt ausführlich, wie Meitners Einfluss kleingeredet oder geleugnet wird.

Trotzdem sei Lise Meitner keineswegs eine gebrochene oder verbitterte Frau gewesen, betonen beide Zeitzeugen. „Sie hat ja noch sehr viele wichtige Ehrungen erhalten und große Anerkennung auch in den USA bekommen“, sagt Schopper.

Hedqvist formuliert es salopper: „Sie dachte vermutlich: Die dummen Schweden, die haben es einfach nicht kapiert.“ Allerdings sei das Thema Feminismus für Meitner immer bedeutender geworden, die Behinderung von Wissenschaftlerinnen habe sie sehr geärgert. Dass sie sich über ein Denkmal in Berlin freuen würde, davon sind beide überzeugt. „Sie hatte trotz der Vertreibung durch die Nazis keine Ressentiments gegenüber den Deutschen“, sagt Schopper. „Und sie hat sich immer zurückgesehnt nach den Jahren in Berlin“, ergänzt Hedqvist.

Das Meitner-Denkmal wird auf der Wiese des Ehrenhofs der HU stehen, gegenüber von Max Planck, Theodor Mommsen und Hermann von Helmholtz.

- Der Festakt der Humboldt-Uni zur Enthüllung des Denkmals am Donnerstag, 10. Juli, ist öffentlich – von 16 bis 18 Uhr im Ehrenhof und im Foyer des Hauptgebäudes (Unter den Linden 6). Der Aufsatz von Ruth Sime über „Auswanderung und Exil. Lise Meitner in Schweden 1938-1960“ erscheint Ende Juli im Sammelband „Skandinavien als Zuflucht für jüdische Intellektuelle“ im Berliner Metropol Verlag (hrsg. von Izabela A. Dahl und Jorunn Sem Fure).

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