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Männlichkeit: Kerle in der Krise

Was ist ein Mann? Schon immer stand die männliche Identität unter dem Druck, sich wandeln zu müssen.

„Männlichkeit wird gesellschaftlich marginalisiert“, hat einmal der Berliner Medienforscher Norbert Bolz beklagt. Nur in wenigen geschützten Bereichen wie dem Sport dürfe sie sich unverhüllt zeigen. Ansonsten sei die Gesellschaft von der Krippe bis zum Altersheim durchweg von weiblichen Werten bestimmt. – Doch sind „Männlichkeit“ und „weibliche Werte“ tatsächlich für alle Zeiten in Stein gemeißelte Kategorien, wie Bolz suggeriert? Wohl kaum. Längst haben die Kulturwissenschaften nachgewiesen, dass es sich um historisch wandelbare Konzepte handelt: „Was männlich und was weiblich ist, wird je nach Ort und Zeit unterschiedlich gesehen“, sagt Alexandra Karentzos, Kulturwissenschaftlerin an der Uni Trier.

Darum ist auch die jetzt von manchen diagnostizierte „Krise der Kerle“, wie einer der populären Buchtitel zum Thema lautet, keineswegs die erste. So sahen sich Männer in ihrer Männlichkeit auch durch die „Blaustrümpfe“ des 19. Jahrhunderts in Frage gestellt, durch Frauen also, die Bildung und politischen Einfluss anstrebten, obwohl Männer diese Felder seit Jahrhunderten für sich allein beanspruchten.

Allerdings waren es nicht immer nur Emanzipationsbestrebungen der Frau, die das Selbstbild der Männer in Frage stellten. Das vorherrschende Männerbild entstand immer auch aus dem Wettbewerb der Männer untereinander, wie der Soziologe Michael Meuser von der Universität Dortmund festgestellt hat. Anfang des 19. Jahrhunderts etwa setzten sich westeuropäische und nordamerikanische Künstler erstmals mit den Afrikanern auseinander, deren Maskulinität als fremd, bedrohlich und konkurrierend erlebt wurde. Diesem Bild stellten die Künstler den Apoll von Belvedere als Ideal gegenüber: Selbst die Soldaten auf zeitgenössischen Schlachtengemälden waren extrem schlank. Nicht Muskelkraft, sondern zivilisiertes, vergeistigtes Auftreten und Emotionalität wurden als Werte ausgewiesen, die wahre Männlichkeit ausmachen sollten. Die Afrikaner, die man als geistlose, rein körperliche Wesen darstellte, erschienen so als unmännlich.

Zu einem großen Wandel des europäischen Männerbildes kam es nach den Erfahrungen mit der Gründerkrise im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Alle „Weichheiten“ waren jetzt für echte Kerle tabu. „Ein eindeutiges, am besten soldatisches Erscheinungsbild, war gerade in bürgerlichen Kreisen Pflicht“, sagt Christa Ehrmann-Hämmerle, Historikerin an der Universität Wien. Alles Ambivalente sei in diesem Sinne unterdrückt worden. Wieder benutzte man das Leitbild auch, um die männliche Konkurrenz abzuwerten. Juden, so lautete ein über antisemitische Kreise hinaus verbreiteter Vorwurf, seien verweiblicht, ihre Körper seien kränklich und ihr Wesen zu intellektuell.

Tragische Folgen hatte dieses Klischee für den Wiener Philosophen Otto Weiniger, selbst Anhänger eines soldatischen Männerbildes – dem er als Jude nicht gerecht werden zu können glaubte. Er versuchte 1903 mit aufwendigen Formeln nachzuweisen, dass Frauen aufgrund ihrer biologischen Konstitution „geistlos“ und minderwertig seien. Bedrohlich war in seinen Augen die verbreitete Vermischung der Geschlechter und die Feminisierung der Männer, die er besonders deutlich an Juden festzustellen glaubte. Weininger versuchte vergeblich, seiner Herkunft dadurch zu entkommen, dass er zum Protestantismus konvertierte. Unfähig, seine Konflikte zu lösen, beging er 1903 Suizid.

Nach Ehrmann-Hämmerles Beobachtungen hatten auch der Verlauf und der Ausgang des Ersten Weltkrieges dem in Deutschland herrschenden militärischen Leitbild wenig anhaben können. Soldatische Klischees waren weiterhin prägend – man denke nur an die „Stahlgewitter“-Prosa Ernst Jüngers. Für differenzierte Männerbilder war dann in der Zeit des Nationalsozialismus wiederum kein Platz. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg hatte der Soldat als Vorbild in Deutschland weitgehend ausgedient.

Ehrmann-Hämmerle datiert den Anfang der Suche nach einer neuen Identität des deutschen Mannes auf 1945. „An die Stelle eines hegemonialen Leitbildes sind seitdem verschiedene, teilweise konkurrierende getreten“, sagt sie. Anders in den USA: Vor dem Hintergrund des erfolgreichen Kriegseinsatzes im Zweiten Weltkrieg konnten sich hier die starken Männer länger als Leitbild behaupten. Der Zukunftsforscher Eike Wenzel vom Kelkheimer Zukunftsinstitut sieht den Bruch hier zeitlich verzögert erst Ende der 1950er Jahre. „John Wayne markiert einen Typ Mann, der handeln darf, ohne dieses Tun und die eigenen Gefühle zu hinterfragen“, sagt Wenzel. Damit sei er zumindest für den Mainstream maßgeblich gewesen. An dessen Rand aber begannen sich neue, „schwächere“ Helden wie Humphrey Bogart und James Dean zu etablieren.

Grundsätzlich erschüttert wurde das Konzept des Mannes als Kraftmeier aber spätestens seit 1968. Die Anfänge der Frauenemanzipation in den 1970ern und der Vietnamkrieg zwangen die Männer, sich auf die Suche nach einer neuen Identität zu begeben. Zudem verlor die größere körperliche Leistungsfähigkeit von Männern mit der fortschreitenden Deindustrialisierung an Bedeutung. „Dem demonstrativen Männerstricken Anfang der 80er folgten die Yuppies mit einem letzten Versuch, materielle Werte gegenüber dem Weiblichen, Emotionalen durchzusetzen“, sagt Wenzel.

Heute würden „männliche Tugenden“ wie Abenteuerlust weitgehend negativ eingeschätzt, kritisiert Wenzel. Schon im Kindergarten würden die Stärken der Jungen nicht hinreichend berücksichtigt. Solche Zuordnung von Charaktereigenschaften zu den Geschlechtern weist Karentzos hingegen als biologistisch zurück: „Im Sinne heutiger Geschlechterforschung verfestigen sich Eigenschaften der Geschlechter erst dadurch, dass sie ihnen immer wieder zugeschrieben werden: Wenn Jungen wild sein müssen, um Jungen zu sein, stellt diese Setzung erst die Männlichkeit her. Wilde Mädchen passen dagegen nicht ins Schema.“ Für sie liegt das Problem eher in einem Erziehungswesen, das auf die Vielheit der Geschlechter keine Rücksicht nimmt.

Meuser hebt dagegen in seiner Untersuchung über die Konstruktion von Männlichkeit die Bedeutung jugendlicher Kämpfe für die berufliche Karriere hervor. Ob es um die Schlägereien von Hooligans oder um das verbale „Dissen“ unter Hip-Hop-Gangs gehe – stets müssten sich die jungen Männer gegenüber anderen behaupten. Zwar werden solche aggressiven Männer in der modernen Gesellschaft schwer Erfolg haben. Doch der Mechanismus an sich – das Einüben von Durchsetzungskraft – verschaffe Männern gegenüber den „friedlichen“ Frauen den entscheidenden Vorsprung beim Wettbewerb im Beruf. Zumindest solange, wie sich Frauen als bloße Zuschauerinnen ausgrenzen lassen.

Weiterführende Literatur:
Nina Baur/Jens Luedtke (Hg.): Die soziale Konstruktion von Männlichkeit. Hegemoniale und marginalisierte Männlichkeiten in Deutschland, Verlag Barbara Budrich April 2008, 290 S., 24,90 Euro.
Sabine Kampmann/Alexandra Karentzos (Hg.): Fremde Männer – Other Men. Kritische Berichte 4/2007, 10 Euro.

Elke Kimmel

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