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Zwei Männer und ein Klapptisch. Alexander Smolejewski und Diego Urbina bei der Arbeit. Die Bilder sind absichtlich schlecht - so wie sie es bei einer Übertragung vom Mars auch wären.

© AFP

Mars-Simulation: Landung auf dem Roten Planeten

Halbzeit für das Moskauer Isolationsexperiment: Die Astronauten verlassen ihre Kapsel - bis sie in die Zivilisation zurückkehren, werden noch Monate vergehen.

Mehr als acht Monate dauerte der Flug. Gestern Vormittag schließlich betrat der erste Raumfahrer den Mars. Warum diese Geschichte nicht auf der Titelseite steht? Weil der Mars, um den es hier geht, nur ein Labor in Moskau ist und die sechs Männer keinen Meter hoch geflogen sind, sondern nur so tun, als würden sie den Roten Planeten besuchen. Aber sie sind so ernsthaft bei der Sache, dass es schon wieder interessant ist. Vor allem für Wissenschaftler, die das längste freiwillige Isolationsexperiment begleiten.

„Mars 500“, der Name ist abgeleitet von der 520 Tage dauernden Hin- und Rückreise zum Mars, begann im Juni des vergangenen Jahres. Da wurde der fensterlose Containerkomplex im Institut für Biomedizinische Probleme (IBMP) zugesperrt. Drei Russen, ein Chinese, ein Franzose, ein Italiener, keine Frau. „Psychologische Barrieren“ hätten dagegen gesprochen, sagte neulich Boris Morukow vom IBMP, nachdem diesbezügliche Fragen monatelang unbeantwortet blieben.

Immer weiter entfernten sich die Astronauten von ihrer Heimat. Das sollte ihnen jedenfalls die lange Wartezeit beim Funkkontakt mit der Erde suggerieren. Die Signale wurden bewusst zurückgehalten, um eine Verzögerung bei einem echten Raumflug zu simulieren. Kurz vor dem Mars, das war Anfang Februar, waren es 20 Minuten. Dann stiegen drei von ihnen in eine Landeeinheit um, die am Sonnabend „aufsetzte“. Die übrigen blieben im Mutterschiff in einer gedachten Umlaufbahn, wohin die drei Marsreisenden Ende Februar zurückkehren, um gemeinsam die Heimreise anzutreten.

Nun konzentrieren sich die Raumfahrer aber erst einmal auf den Mars. Der Russe Alexander Smolewski und der Italiener Diego Urbina waren die ersten, die das Landemodul verließen. Statt Sternenhimmel funkelten LED-Lämpchen von der Decke, als sie die großen Schritte für das Mars-500-Vorhaben taten. Nachdem die russische Flagge gehisst war, begannen sie, den Planeten zu erkunden.

Drei Außeneinsätze wird es insgesamt geben, bei denen unter anderem Bodenproben genommen werden und Wasser gesucht werden soll. Möglicherweise gibt es auch noch eine „Überraschung“, kündigte das IBMP an. Schon auf dem Hinflug mussten die Astronauten einen stundenlangen Stromausfall verkraften, der ihnen Licht, Lüftung und das gewohnte Mikrowellenessen nahm.

Nun ist die Hälfte der imaginären Reise geschafft und es gibt erste Erkenntnisse aus den rund 130 Experimenten, die bei Mars 500 laufen. Der Speiseplan für den Hinflug zum Beispiel war von deutschen Forschern zusammengestellt worden. Üppig war der wohl kaum, die Probanden hielten ihr Gewicht, einer hat sogar abgenommen. Ein Team um Jens Titze von der Universität Erlangen hatte den Reisenden schrittweise die Kochsalzzufuhr reduziert, während die übrigen Bestandteile unverändert blieben. Selbst bei Gesunden führt dieser Schritt dazu, dass der Blutdruck deutlich sinkt, zeigte der Langzeitversuch. Das belege, wie eine salzreduzierte Ernährung das Risiko für Schlaganfall, Herzinfarkt und Gefäßverkalkung senken könne, sagt Titze.

Der Berliner Weltraummediziner Hanns-Christian Gunga untersucht den „Biorhythmus“ der Astronauten. Dafür wird über 36 Stunden die Körperkerntemperatur gemessen. Normalerweise variiert sie binnen eines Tages um 0,5 bis 0,7 Grad Celsius, wobei sie in den Morgenstunden am geringsten und abends am höchsten ist. „Dieser Rhythmus ist in der Isolation, wo der Körper relativ wenige Reize erhält, erhalten geblieben“, sagt Gunga. „Aber die Kurve ist flacher geworden.“ Nur noch 0,4 Grad Unterschied machten die Sensoren aus. „Das hört sich wenig spannend an, aber neben dem Licht ist die Temperatur der maßgebliche Taktgeber für den Organismus“, erläutert der Charité-Mediziner. Sie steuert Hormonausschüttungen und beeinflusst vor allem das Einschlaf- und Aufwachverhalten. „Nun muss man sehen, was langfristig passiert, wenn das Signal an den Körper schwächer wird“, sagt Gunga, der gerade ein ähnliches Experiment mit Überwinterern in der Antarktisstation „Neumayer III“ gestartet hat.

Es gibt auch durchweg positive Ergebnisse aus dem Container-Raumschiff. Etwa, dass Sport die kognitiven Fähigkeiten verbessert. Das hat Stefan Schneider von der Sporthochschule Köln herausgefunden. Er hat verschiedene Trainingsprogramme für Laufband, Fahrradergometer, eine Vibrationsplatte und das Krafttraining entwickelt und seine Probanden regelmäßig zu Spielen auf einem Smartphone aufgefordert. Da ging es zum Beispiel darum, Rechenaufgaben zu lösen oder schnell Mengen zu erfassen und zu entscheiden, auf welcher Seite des Bildschirms „mehr“ steht. „Die Aufgaben wurden nach dem Sport deutlich besser gelöst als ohne körperliche Betätigung“, berichtet Schneider.

Noch seien die vorhandenen Daten statistisch nicht bedeutsam, sagt er. Denn es lägen nur die Werte der ersten 150 Tage vor. Wenn die Resultate der folgenden 100 Tage eintreffen, sollte der Nachweis erbracht sein, ist Schneider überzeugt. Er stützt sich dabei auf ähnliche Studien, die belegten, dass nach mehreren Monaten ein positiver Effekt eintritt.

„Nach dem Sport ist nicht nur der Körper entspannt, sondern auch das Gehirn“, sagt der Wissenschaftler. Das lasse sich sogar messen, indem die elektrischen Signale der Neuronen in verschiedenen Frequenzbändern aufgezeichnet werden. Bei Entspannung steigt die Aktivität im Alpha-Band zwischen 8 und 13 Hertz, im Beta-Band bis 35 Hertz hingegen nimmt sie ab. „Entspannte Aufmerksamkeit“ wird dieser Zustand auch genannt. Und der verhelfe zu besseren kognitiven Leistungen, sagt Schneider.

„Bislang dachte man, dass dieser Effekt erst nach 30 Minuten Sport eintritt, jetzt sehen wir, dass zehn Minuten genügen“, sagt er. Dieses Ergebnis könne vielfältig in den Alltag übertragen werden. „Es lohnt sich wirklich, Schulkinder regelmäßig zu kleinen Sporteinheiten zu animieren.“

Die Marsflieger werden sich noch lange mit solchen Leibesübungen an Ort und Stelle begnügen müssen. 180 Quadratmeter Platz haben sie, mehr nicht. Die Stimmung sei trotzdem gut, heißt es. „Dass so ein Experiment nicht ohne Stress abgeht, war jedem vorher klar“, sagt Gunga. „Aber die Gruppe hält zusammen, keiner ist isoliert.“ Gegen die Langeweile hilft das umfangreiche Arbeitspensum aus wissenschaftlichen Versuchen, aber auch Putzen, Logbuchschreiben und Twittern.

Dennoch, die härteste Zeit kommt noch. Jeder rechnet mit dem „Zweidrittel-Syndrom“, das aus anderen Isolationsversuchen bekannt und gefürchtet ist: Nach zwei Dritteln der Zeit erreichten Hirnaktivität und emotionale Aktivität einen Tiefpunkt, erläutert Schneider. Erst dann gehe es langsam wieder aufwärts. „Bei Mars 500 kommt hinzu, dass alle Highlights wie Landung und das Betreten des Mars dann erledigt sind. Es gibt nur noch den Rückflug, mehr nicht.“

Am 5. November ist es geschafft.

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