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Susanna Esposito ist Kinderärztin an der Universität Mailand und leitet das Komitee der Weltgesundheitsorganisation, das die Eliminierung der Masern in Europa überprüfen soll.

© Privat

Masern: „Amerika ist strenger“

Die WHO-Expertin Susanna Esposito über Impfgegner und schutzlose Jugendliche. Und warum Europa auch bis 2015 die Masern nicht ausgerottet haben wird.

Eigentlich planen Sie bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Masern in Europa bis 2015 auszurotten. Aber in Wales tobt gerade ein Ausbruch mit mehr als 1000 Erkrankten, und auch hier in Berlin haben sich dieses Jahr schon mehr als 100 Menschen mit dem Masernvirus infiziert. Was läuft schief?

Um Masernausbrüche zu verhindern, müssen 95 Prozent der Kinder gegen das Virus geschützt sein. Das gelingt uns in vielen Ländern Europas nicht.

Woran liegt das?

Einige Kinder sind zu jung und andere zu krank, um geimpft zu werden. Das sind schon ein oder zwei Prozent. Und dann gibt es eben noch die Impfgegner, die machen in manchen Gegenden zusätzlich fünf bis sieben Prozent aus.

Warum ist es gerade der Masernimpfstoff, über den so gestritten wird?

Das liegt auch daran, dass es ein Lebendimpfstoff ist. In einigen Fällen können Kinder Nebenwirkungen haben, eine Art milde Masernerkrankung mit Fieber oder Ausschlag. Eine Masernerkrankung ist aber etwas ganz anderes. Jeder hundertste bis tausendste Fall führt zum Tod. Deswegen müssen wir das Problem mit den Impfgegnern in den Griff kriegen.

Hier in Berlin, aber auch in Wales und bei anderen Ausbrüchen sind es immer häufiger Jugendliche und junge Erwachsene, die sich infizieren.

Wir sehen jetzt häufig Ausbrüche unter Jugendlichen. Das hat viel mit der Lancet-Studie zu tun, die vor 15 Jahren veröffentlicht wurde.

Sie meinen die Studie des britischen Arztes Andrew Wakefield, der im Fachblatt „Lancet“ behauptete, es gebe einen Zusammenhang zwischen Autismus und Masernimpfung.

Das ist widerlegt, und die Studie wurde zurückgezogen. Aber sie hatte einen katastrophalen Einfluss. Jetzt leben in Europa viele junge Menschen, die vor 10 oder 15 Jahren nicht geimpft wurden, und die sind jetzt schutzlos. Es ist wichtig, die Impfung dieser Menschen nachzuholen. Das ist allerdings keine einfache Aufgabe.

In Amerika wurden die Masern schon 2002 ausgerottet. Warum schaffen Länder wie Guatemala oder Honduras, was uns in Europa nicht gelingt?

In Amerika wird der Impfstatus viel strenger kontrolliert. Wenn Sie Ihr Kind dort in die Schule schicken, müssen Sie nachweisen, dass es geimpft ist. In meinem Heimatland Italien brauchen Sie für die Einschulung theoretisch auch so einen Nachweis. Aber wenn Sie den nicht haben, passiert auch nichts.

In der Weltgesundheitsorganisation gehören ja zum Beispiel auch Staaten wie die Türkei und Tadschikistan zur europäischen Region. Wo ist das Problem denn am größten?

In einigen Ländern im Osten, wie zum Beispiel Tadschikistan oder Usbekistan, gab es bis vor Kurzem sehr niedrige Impfraten. Das ändert sich aber. Ich finde das Problem in Westeuropa besorgniserregender. Denn hier gibt es seit zehn Jahren Anstrengungen, die Masern auszurotten, und trotzdem schaffen wir das nicht.

Also wird Europa das Ziel verfehlen, die Masern zu eliminieren, wie auch schon 2010?

Es ist gefährlich, das jetzt so zu sagen. Denn dann lassen die Anstrengungen der Mitgliedsstaaten womöglich wieder nach. Wir hoffen, dass noch vor Ende dieses Jahres alle Länder beginnen, unsere Botschaften umzusetzen. Das heißt: zwei Impfdosen für alle Kinder unter 5 Jahren, bessere Daten über Impfraten und Masernfälle, Rückrufaktionen für Jugendliche, die noch nicht geimpft wurden, und außerdem gezielt auf Gruppen wie Einwanderer zuzugehen, die manchmal besonders schwer zu erreichen sind.

Aber das Ziel 2015 ist nicht mehr realistisch?

Nein, das werden wir wohl nicht schaffen. Wenn die Empfehlungen jetzt alle umgesetzt werden, dann können wir das Ziel aber 2020 erreichen.

Susanna Esposito ist Kinderärztin an der Universität Mailand und leitet das Komitee der Weltgesundheitsorganisation, das die Eliminierung der Masern in Europa überprüfen soll.

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