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Dieses Modell einer Halle aus ebenen Vierecken entstand mit Hilfe der Berechnungen des Berliner Mathematikers Alexander I. Bobenko.

© Rendering: Heinz Schmiedhofer, aus „Architectural Geometry“/Bentley Institute Press

Mathe und Architektur: Freie Formen im diskreten Netz

Wie mithilfe von Mathematik und Computertechnik geometrisch perfektionierte Bauwerke entstehen.

Die Idee der Avantgarde in der Architektur wandelt sich von Zeit zu Zeit. Ging es ihr in den 1920er Jahren um soziale Aspekte und in den 1960ern um technische Utopien, so entwickeln heute Architekten in ihrer Vorstellungswelt nie gesehene und früher für unbaubar gehaltene Formen. Hier und da entstanden derlei ambitionierte Bauwerke, meist mit erheblichem Aufwand. Man denke an Gehrys spektakuläres Museum in Bilbao, Ben van Berkels Mercedes-Museum in Stuttgart oder das seltsam blasenförmige, nachts in buntem LED-Licht changierende Yas Island Hotel in Abu Dhabi über der Formel 1-Rennstrecke von Asymptote Architecture.

Solche scheinbar nach Belieben gekrümmte „Freiformen“ zu entwerfen und herzustellen, ist nur mit der neuesten Computertechnik möglich. Als „parametrisches Entwerfen“ bezeichnen die Architekten den Entstehungsvorgang: Die runden Formen werden dabei geometrisch in kleine ebene Teile zerlegt, in Dreiecke, Vierecke oder Vielecke. Je kleiner die Teile, desto näher kommt man der gekrümmten Idealform, doch die Herausforderung besteht darin, große Teile zu verwenden. So lassen sich gekrümmte Flächen vor allem auch kostengünstiger herstellen. Parametrisch bedeutet dabei, dass man in das zu rechnende räumliche Model veränderbare Parameter einsetzt – etwa die Länge der Einzelstäbe, die Größe der Teilflächen oder den Krümmungsradius. Verändert man einen dieser Parameter, berechnet das System sofort alle Auswirkungen auf den Gesamtentwurf.

Materialverbrauch und Produktionskosten lassen sich optimieren

Hier kommen die Mathematiker der Technischen Universität Berlin (TU) mit ihrem Forschungsprojekt „Freiformarchitektur und Mathematik“ ins Spiel. Alexander I. Bobenko und Thilo Rörig lösen mit ihrer diskreten Differenzialgeometrie diese außerordentlich komplexen Probleme. Ihr Ziel ist, ein möglichst ideales, „mathematisch solides“ Modell zu entwickeln, in dem sich zum Beispiel Vierecke winkeltreu zu einer gekrümmten Gesamtform zusammenfügen.

Das Streben ist nicht nur mathematisch-wissenschaftlich motiviert, denn so ein geometrisch perfektioniertes Konstrukt „sieht schön aus“, wie der Professor Alexander Bobenko am Entwurf eines Hallendachs für ein Einkaufszentrum zeigt, das aus einer flach gewölbten Gitterstruktur besteht. Aber auch Architekten, Ingenieure und Bauherren verfolgen bestimmte Ziele: nämlich die Konstruktion im Hinblick auf Materialverbrauch und Produktionskosten zu optimieren.

Zwar ließen sich frei gewölbte Formen oder „Blobs“ – wie die vor zwei Jahrzehnten aufgekommenen blasenartigen Bauwerke genannt werden – mit gewissem Aufwand durchaus herstellen, auch weil Computer die Steuerung der Produktionsmaschinen übernahmen und für ein Bauwerk zum Beispiel hunderte unterschiedlicher Fassadenplatten erzeugen konnten. Doch erst die jüngsten mathematischen Modelle, wie sie im Sonderforschungsbereich DGD – Discretization in Geometry and Dynamics und am Matheon entwickelt werden, ermöglichen wirtschaftlichere Konstruktionen: selbsttragend, mit seriellen Elementen, ebenen Teilflächen, torsionsfreien Knoten und minimierten Profilstärken.

Der Laie findet die Struktur einfach schön

Verknüpft man die mathematischen Modelle mit den Programmen der Tragwerksplaner, ergibt sich im Idealfall der integrierte Entwurf, der von Architekten und Ingenieuren gleichzeitig gestaltet und beeinflusst wird und am Ende sogar die produzierenden Maschinen steuert.

Ein Anwendungsaspekt ist die Baubarmachung freier Formen. Beim Kunst-am-Bau- Projekt „PBSA Tricolumn“ an der Hochschule Düsseldorf zum Beispiel, einer skulpturalen Betonsäule, berechnete Thilo Rörig für das Computermodell polyedrische Teile konstanter Dicke und deren komplexe Verschnitte, die – als Schalungsplatten geschnitten und zur Gesamtform zusammengesetzt – den Betonguss überhaupt erst möglich machten.

Die Zuarbeit zu konkreten Bauvorhaben steht jedoch nicht im Fokus der Mathematiker der TU Berlin. Zumeist suchen sie eigene Problemstellungen, für die sie Lösungswege erforschen. Es gibt allerdings eine enge Zusammenarbeit mit Helmut Pottmann von der TU Wien, der sich mit geometrischen Modellen für die architektonische Anwendung beschäftigt und an einigen realisierten Bauwerken mitgearbeitet hat. So entstand das Modell einer Halle mit halbrunden Öffnungen und runder Dachöffnung, die aus ebenen Vierecken besteht und deren Konstruktionsdicke durchgehend konstant bleibt. Der Laie findet die Struktur einfach schön. Nur der Fachmann weiß, dass diese Schönheit erst durch Mathematik möglich wird.

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