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© ISM

Medizin-Nobelpreis: Ende gut, alles gut

Telomere bewahren die Erbfäden vor dem Ausfransen. Beim Altern und bei Krebs spielen sie eine wichtige Rolle

Es war wohl der freudigste Weckanruf ihres Lebens: Bei den in Amerika arbeitenden Wissenschaftlern Elizabeth Blackburn, Carol Greider und Jack Szostak klingelte am gestrigen Montag in den frühen Morgenstunden das Telefon. Der Anrufer verkündete, dass ihnen der Nobelpreis für Medizin und Physiologie des Jahres 2009 zuerkannt worden sei. „Alle drei waren ziemlich verschlafen und dann hocherfreut“, sagte Göran Hansson, der Sekretär des Nobelkomitees.

Das Komitee hat mit dem Preis drei Forscher geehrt, die schon lange als Anwärter gehandelt wurden. Sie erhalten die Auszeichnung „für ihre Entdeckung wie Chromosomen durch Telomere und das Enzym Telomerase beschützt werden“.

Als Telomere werden die Enden von Chromosomen bezeichnet. Beim Menschen ist das Erbgut, das etwa sechs Milliarden Buchstaben umfasst – die Hälfte von der Mutter, die Hälfte vom Vater – auf 46 Chromosomen aufgeteilt. Jedes besteht im Prinzip aus einem einzigen hunderte Millionen Buchstaben langen DNS-Faden. Wie bei Schnürsenkeln befindet sich am Ende eine Art Kappe, die verhindert, dass der Faden sich aufdröselt oder ausfranst.

Dass es solche Kappen geben muss, vermuteten schon Forscher in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts. Damals untersuchte die amerikanische Forscherin Barabara McClintock die Chromosomen von Maiszellen. Mit Röntgenstrahlen verursachte sie Brüche in den DNS-Fäden und stellte dabei fest, dass solche Bruchstellen sich wieder verbinden konnten, aber stets mit anderen Bruchstellen. Nie verschmolzen sie mit dem Ende eines Chromosoms. Offenbar waren die Chromosomenenden besonders geschützt. Der Forscher Hermann Muller gab diesen Strukturen den Namen Telomere, der sich aus den griechischen Wörtern für Ende (telos) und Teil (meros) zusammensetzt.

Damit existierte zwar ein Name für die Strukturen, aber keine Idee wie sie aussehen könnten. Stattdessen kam in den Siebzigern ein weiteres Rätsel hinzu. Inzwischen hatte man herausgefunden, wie menschliche Zellen sich vermehren – und war dabei auf ein Problem gestoßen. Bei der Zellteilung läuft die Kopiermaschinerie der Zelle den DNS-Strang entlang und verdoppelt ihn so. Aber sie kommt dabei nie bis ganz an das Ende des Strangs, weil sie dort gewissermaßen den Halt verliert. Bei jeder Zellteilung müssten die Chromosomen also ein kleines Stück kürzer werden, bis irgendwann wichtige Gene Stück für Stück verschwinden würden.

Elizabeth Blackburn entdeckte Ende der siebziger Jahre, dass sich beim Einzeller Tetrahymena eine kurze DNS-Sequenz an den Chromosomenenden immer wieder wiederholt. Konnte das der Schutz sein? Die Ergebnisse interessierten Jack Szostak, der mit Hefezellen experimentierte. Er hatte Minichromosomen, kurze DNS-Stücke, in die Zellen eingeführt, stellte aber fest, dass diese schnell abgebaut wurden. Die beiden entschieden sich, die Endsequenz von Tetrahymena an das Ende seiner Minichromosomen im Hefepilz zu heften. Tatsächlich schützten die künstlichen Enden die DNS-Stücke in der Hefe davor, zerstört zu werden.

Damit war auch klar, dass Blackburn und Szostak auf einen fundamentalen biologischen Mechanismus gestoßen sein mussten. Anders war nicht zu erklären, dass er bei zwei kaum verwandten Organismen offenbar gleich funktionierte. In der Tat tragen fast alle Tiere und Pflanzen solche Schutzkappen an den Enden ihrer Chromosomen.

Es blieb aber die Frage, wie diese Kappen davor geschützt werden, mit jeder Zellteilung dahinzuschmelzen. 1984 gelang es Blackburn und ihrer Studentin Carol Greider die Antwort darauf zu finden: ein Eiweiß, dem sie den Namen Telomerase gaben. Dieses Eiweiß trägt eine kurze Erbgutsequenz, die es als Muster benutzt, um die Enden der Chromosomen immer wieder zu verlängern.

Mit der Entdeckung des Enzyms war die Tür für weitere Forschungen weit aufgestoßen: Blackburn wies nach, dass Mutationen in der Telomerase dazu führen können, dass die Telomere von Zellen immer kürzer werden und früh altern. Viele glaubten, damit die Lebensuhr der Zellen gefunden zu haben. Gleichzeitig rückten Krebszellen in den Fokus. Weil solche wuchernden Zellen sich besonders häufig teilen, müssten ihre Telomere schneller schrumpfen als die gesunder Zellen und früher zum Zelltod führen. Untersuchungen ergaben jedoch, dass fast 90 Prozent aller Tumorzellen besonders viel Telomerase besitzen und so ihre Telomere immer wieder verlängern. Das Eiweiß machte die Zellen unsterblich.

Entsprechend boomte die Telomerforschung Mitte der neunziger Jahre. Man glaubte den Brunnen der ewigen Zelljugend gefunden zu haben. „Viele von uns haben damals gedacht, da kann man Riesiges machen: Wir hemmen die Telomerase und heilen Krebs, wir aktivieren die Telomerase und heilen das Altern“, sagt Thomas von Zglinicki. Der Deutsche forscht an der Universität Newcastle an Telomeren. Inzwischen sei das Gebiet erwachsen geworden, glaubt er. „Die jugendliche Hybris haben wir abgelegt.“

Denn obwohl Telomere immer noch vielversprechend sind, hat sich gezeigt, dass für das Altern auch viele andere Faktoren wichtig sind. Studien haben zwar gezeigt, dass es einen statistischen Zusammenhang gibt zwischen kürzeren Telomeren und einem höheren Risiko an Krebs zu erkranken und früh zu sterben. „Aber der Zusammenhang ist nicht so groß, dass er für den Einzelnen diagnostisch relavant ist“, sagt von Zglinicki.

Auch in der Krebstherapie hat eine gewisse Ernüchterung eingesetzt. Es gebe zwar klinische Studien mit Stoffen, die die Telomerase hemmen. „Aber inzwischen ist klar, dass die nur in einer Kombination mit anderen Medikamenten wirklich wirksam werden.“ Tumorzellen sind offenbar in der Lage, sich auch ohne Telomerase weiter zu teilen.

Blackburn ist inzwischen auf einer ganz neuen Fährte: Sie untersucht den Zusammenhang zwischen Stress und Telomeren. In einer Studie konnte sie zeigen, dass Mütter chronisch kranker Kinder in ihren Immunzellen im Blut weniger Telomerase haben als Mütter gesunder Kinder. Möglicherweise seien kurze Telomere der Grund dafür, dass gestresste Menschen älter aussehen. Blackburn selbst hat der Stress eines Forscherlebens aber offenbar nicht geschadet. Im November wird sie 61 Jahre alt, aber als das amerikanische „Time Magazin“ sie 2007 zu einem der 100 einflussreichsten Menschen der Welt wählte, gaben die Autoren als Alter 44 Jahre an.

 Kai Kupferschmidt

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