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Wiederbelebte Beinmuskeln. Der gelähmte Italiener Gabriele Tronconi demonstriert, wie er mithilfe der Elektrostimulation aufstehen kann. Er hofft, mithilfe der Methode eines Tages wieder gehen zu können.

© Reuters

Medizintechnik: Elektrostimulation hilft Gelähmten

Steh auf und wandle: Neue elektronische Bewegungshilfen erleichtern es Gelähmten, wieder auf die Beine zu kommen. Wie einem 25-Jährigen Amerikaner, der seit einem Autounfall fünf Jahre lang gelähmt war.

Auf der Stelle stehen ist alles andere als Stillstand. Nervensignale aus dem Gehirn jagen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 300 km/h durch das Rückenmark bis in die Lenden, geben den Befehl zum Anspannen der Gesäß- und Beinmuskeln und dem Durchdrücken der Kniegelenke. Der Gleichgewichtssinn arbeitet auf Hochtouren, balanciert leichtes Schwanken durch kaum merkliche Muskelbewegungen in Beinen und Füßen aus. Ein Augenblicksvorgang für einen gesunden Menschen, alltäglicher Automatismus unterhalb der Wahrnehmungsschwelle.

Anders bei Rob Sommers. Der 25-jährige Amerikaner ist seit einem Autounfall vor fünf Jahren von der Brust abwärts gelähmt. Wackelig hält sich der ehemalige Baseballspieler an einem Trainingsgestell fest, umringt von einem Team aus Wissenschaftlern und Ingenieuren. Dann steht er das erste Mal aus eigener Kraft wieder auf seinen Beinen. Das kleine Wunder vollbrachten US-Forscher vor kurzem mit Hilfe der Elektrostimulation.

Nachdem eine intensive Bewegungstherapie bei Summers keinen Erfolg brachte, entschloss sich das Team unter der Leitung von Susan Harkema von der Universität von Louisville in Kentucky zu dem Eingriff. Die Forscher pflanzten dem Patienten auf Höhe der Lendenwirbelsäule 16 Elektroden ein. Sie stimulieren über einen ebenfalls implantierten Pulsgenerator das Rückenmark in der Region der Lendenwirbelsäule.

Die Befehle, welche das folgerichtige Zusammenziehen der Beinmuskulatur auslösen, kommen von einem Computer außerhalb des Körpers. Er ist über ein Kabel mit dem Pulsgenerator verbunden. Wird das Computerprogramm gestartet, sendet der Pulsgenerator in der richtigen Reihenfolge Befehle zu den Elektroden, die dann die für den festen Stand nötigen Muskelkontraktionen auslösen.

Das Experiment verbesserte die Situation des Patienten drastisch. Schon nach kurzer Zeit war Summers in der Lage, mithilfe eines Therapeuten einige Schritte auf dem Laufband zu machen - wie dieses Video eindrücklich zeigt:

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Summers konnte wieder seine Hüfte, die Knie, Füße und Zehen bewegen. Auch die Kontrolle der Harnblase und die Sexualfunktionen des Patienten haben sich deutlich verbessert, berichten die Forscher im Fachblatt „Lancet“. Summers ist von den Fortschritten buchstäblich elektrisiert: „Ich bin überzeugt davon, dass mich die Technik aus dem Rollstuhl herausbringt.“

Der Erfolg kommt für Experten nicht unerwartet. „Die funktionelle Elektrostimulation wird seit den 1960er Jahren vorangetrieben“, sagt Thomas Schauer, Elektroingenieur an der Technischen Universität (TU) Berlin . Zusammen mit Jörg Raisch, der Arbeitsgruppen an der TU und am Magdeburger Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme leitet, entwickelt der Forscher intelligente Regelsysteme für elektronisch gesteuerte Bewegungshilfen. Mit ihnen sollen gelähmte Schlaganfallpatienten wieder auf die Beine kommen. „Die Herausforderung dabei ist, die Bewegungssteuerung so flexibel zu machen, dass sie sich an die Tagesform oder Kondition des Patienten anpasst“, erklärt Schauer.

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Maschine hilft Mensch. Ein Mitarbeiter des Magdeburger Herstellers Hasomed demonstriert, wie das „Rehabike“ Querschnittsgelähmte wieder mobil machen soll.
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© ddp

Den Anfang machten Experimente im Labor. Die Forscher ließen Patienten, die infolge eines Schlaganfalls halbseitig gelähmt waren, am Ergometer in die Pedale treten. Dazu befestigten sie die Füße mit Spezialschuhen fest an den Trethebeln und klebten Elektroden auf die Beine der Patienten, auf den Kniebeuger- und -streckermuskel und den Hüftstrecker. Ähnlich wie bei einer Herzstromkurve (EKG) lässt sich mithilfe der abgeleiteten elektrischen Ströme auf die Nervenreizung in den Beinmuskeln rückschließen. Dann wurde der Computer mit Informationen über die Stellung der Pedale gefüttert. Zusammen mit den Nervensignalmessungen wurde daraus ein Programm. An ihm feilten die Forscher Monate, bis sie eine einigermaßen „runde“ Steuerung der Beinarbeit erhielten. Die Probe aufs Exempel machten querschnittgelähmte Patienten mit einem Liegedreirad. Auf dem Gepäckträger des Gefährts sind Batterien für die Energieversorgung und ein Bordcomputer untergebracht.

Wie im Laborexperiment steckten die Füße der Patienten in fest mit den Pedalen verbundenen Schuhen. An den Beinen klebten wieder Elektroden, die von einem Elektrostimulator wohldosiert befeuert wurden. Dann radelten sie los. Gesteuert nur vom Computerprogramm, lösten winzige, mikrosekundenpräzise Stromstöße die nötigen Muskelkontraktionen in ihren Beinen aus, so dass am Ende eine perfekte Drehbewegung dabei herauskam. Aus dem Projekt ist mittlerweile in Zusammenarbeit mit dem Magdeburger Medizintechnikunternehmen Hasomed ein Trainingsergometer für Patienten mit Querschnittlähmung oder einer Beinlähmung nach einem Schlaganfall entstanden.

Nun tüftelt Schauer zusammen mit dem Medizintechnikhersteller und Neurologen an der Berliner Charité an einem intelligenten Ergometer. Kraftsensoren in den Pedalen „spüren“, wie stark der Patient in die Pedalen tritt. Dadurch kann der Computer die Reizimpulse besser an den Zustand der Muskeln anpassen. Auch die Elektroden verfügen über eine Rückkoppelung, indem sie reizen und zugleich die elektrische Erregung der Muskeln messen und an den Computer melden. „So ist auf einen Schlag erkennbar: Welche Leistung erbringt der Patient und wie viel die Technik“, sagt Schauer. Für die Rehabilitation sind das wichtige Informationen, mit deren Hilfe Arzt und Patient den Fortgang der Trainings individuell anpassen können. Auf ähnliche Weise lässt sich die Technik auch für das Laufbandtraining einsetzen.

Erleichterung schafft die Elektrostimulation auch bei Patienten, die nach einem Schlaganfall an einer Fußheberschwäche leiden. Damit die Schritte in das neue Leben der Patienten noch sicherer werden, haben die Berliner Forscher eine vorausdenkende Software entwickelt. Binnen Millisekunden wertet sie nach jedem Schritt die Daten eines kleinen Sensors aus, der sich an den Schuh klipsen lässt und liefert flugs, noch vor dem nächsten Schritt, ein angepasstes Simulationsmuster.

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