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Meeresforschung: Knick in der Klimaanlage

Forscher finden ein versunkenes Gebirge – es stört den Austausch von Meerwasser in der Antarktis.

Eine schier unendliche Menge an Daten haben Seismologen gesammelt, um zu erfahren, wie sich die Erdplatten bewegen. Die Fülle an Informationen sollte vermuten lassen, dass das Puzzle, aus dem sich die feste Oberfläche unseres Planeten zusammensetzt, bekannt ist. Doch weit gefehlt. Als Geophysiker des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven Schallsignale analysierten, die sie vor der Küste der Ostantarktis in den Meeresuntergrund geschickt hatten, zeigte sich: Das Südliche Kerguelen-Plateau, von dem man glaubte, es sei lediglich eine etwas dickere ozeanische Kruste, ist in Wirklichkeit ein untergegangener Kontinent.

„Im Grunde haben wir es mit einem riesigen Gebirge zu tun, das unter Sediment verborgen ist“, sagt der AWI-Forscher Karsten Gohl. Wie es entstanden sein könnte, hat die Geowissenschaftler immer wieder beschäftigt. Das Plateau steigt aus einer Wassertiefe von etwa 4000 Metern um 3000 Meter an und erstreckt sich über eine Fläche, die größer ist als jene von Deutschland und Frankreich zusammen. An einigen Stellen ragt es über den Meeresspiegel und bildet zum Beispiel die Kerguelen-Inseln. Der Vulkan Mount Ross auf der Hauptinsel Courbet erreicht sogar eine Höhe von 1960 Metern über Normalnull.

Bisher vermuteten die Forscher, dass der größte Teil dieses Massivs aus normalem Meeresboden besteht, der später durch Magma aus der Tiefe verdickt wurde. Dem widersprechen die Ergebnisse einer 400 Kilometer langen Messfahrt, bei der die AWI-Wissenschaftler vom Forschungsschiff „Polarstern“ aus Schallwellen in den Meeresboden schickten und deren Echos auswerteten: Die Schallgeschwindigkeiten in den tiefen Strukturen entsprechen dem Muster von Gesteinen, wie sie für einen Kontinent typisch sind. Der Geophysiker Karsten Gohl stellt sich die Vorgeschichte des Kerguelen-Plateaus jetzt so vor: Nachdem der indische Subkontinent vor ungefähr 130 Millionen Jahren bereits vollständig von der Antarktis abgelöst war und in Richtung Äquator wanderte, wurde der Riss in der Erdkruste nach Norden versetzt – und trennte somit ein Stück des Kontinents ab. Während das heutige Indien weiter nach Norden driftete, blieb der abgetrennte Teil – das südliche Kerguelen-Plateau – auf der antarktischen Seite zurück. „Vor etwa 120 Millionen Jahren, zu einer Zeit, als es in vielen Regionen der Erde heftigen Vulkanismus gab, wurde das Plateau zusätzlich mit Basalt aus aufsteigendem Magma verdickt“, erläutert Gohl.

Die Entstehung des Kerguelen-Plateaus interessiert die Wissenschaftler vor allem deshalb, weil es ein Hindernis für den um den antarktischen Kontinent kreisenden Zirkumpolarstrom darstellt. Die weltweit größte Meeresströmung entstand etwa vor 40 Millionen Jahren, nachdem sich Australien und Südamerika von der Antarktis gelöst hatten. Seine gewaltigen Wassermassen umfließen heute das Kerguelen-Plateau im Norden. Noch ist nicht bekannt, ob der Zirkumpolarstrom schon immer diesen nördlichen Umweg nehmen musste oder ob nicht ein wesentlicher Teil des Wassers durch die schmale Öffnung zwischen dem Plateau und der Antarktis strömte. „Sollte dies der Fall gewesen sein, hätte das sicher Auswirkungen auf den Wärmehaushalt des Südkontinents gehabt“, sagt Gohl. Ob es in der Antarktis dann wärmer geworden wäre – oder kälter –, können die Wissenschaftler noch nicht sagen.

Eine Antwort auf diese Frage erhoffen sie sich vom Projekt „Plates & Gates“ (in etwa „Erdplatten und Meeresengen“). Darin erforscht das Team um Gohl den Zusammenhang zwischen Plattentektonik, Meeresströmungen und Klimaentwicklung. Dass die Plattentektonik das Erdklima beeinflusst hat und künftig beeinflussen wird, ist zwar oft behauptet worden, aber es fehlen Fakten, die diese Hypothese schlüssig nachweisen. Die Wissenschaftler wollen wissen: Gibt es einen Zusammenhang zwischen den über Jahrmillionen andauernden Verschiebungen der Erdplatten und dem Klima, etwa über den wichtigen Faktor der Meeresströmungen? Was geschieht, wenn durch kleine Veränderungen der Gestalt des Ozeanbodens große Meeresströme umgelenkt werden?

Diesen Fragen widmen sich bei „Plates & Gates“ Experten aus 18 Ländern. „Vor allem wollen wir herausfinden, ob der sprunghafte Rückgang der globalen Temperatur um fünf Grad vor rund 34 Millionen Jahren oder die nicht ganz so schnelle, aber tendenziell anhaltende Abkühlung seit 15 Millionen Jahren mit der Bewegung der Kontinente zusammenhängt“, erläutert Gohl. Deshalb konzentrieren sich die Forschungen im Süden auf die Öffnungen zwischen der Antarktis und Australien sowie zwischen der Antarktis und Südamerika. Im Nordpolargebiet ist vor allem die Framstraße zwischen Grönland und Spitzbergen interessant.

Die Erkenntnisse sollen in eine neue Generation von Computermodellen fließen, welche die Klimaentwicklung über sehr lange Zeiträume simulieren können. Und dazu bedarf es genauer Informationen über die Meeresbodentopographie. Wie der Ozeanboden genau aussieht, wird vor allem von der Plattentektonik bestimmt. Dabei nehmen die Meerengen (englisch Gateways) eine Schlüsselstellung ein. Sie setzen dem globalen Wasserkreislauf geometrische Grenzen und bestimmen dessen Wege.

Erkundungen dieser Art können auch dazu beitragen, gegenwärtige Phänomene wie das verstärkte Abschmelzen des westantarktischen Eisschildes besser zu verstehen. So haben beispielsweise Ozeanographen am Meeresboden der vorgelagerten Amundsensee langgezogene Tröge entdeckt, die mehr oder weniger exakte Verlängerungen von Dehnungsbrüchen an Land sind. Über diese Rinnen gelangt warmes Tiefenwasser an die Küste, und das ist vermutlich die Ursache für das extrem schnelle Schrumpfen zweier großer Gletschersysteme.

Auch auf der anderen Seite des Globus haben die Forscher des AWI einige überraschende Entdeckungen gemacht. Mehr als zehn Jahre lang erkundeten sie die Framstraße im Nordpolarmeer. Sie ist die einzige Verbindung der Arktis zu den übrigen Ozeanen, über die kaltes Tiefenwasser ausgetauscht wird. Entstanden ist sie durch die Abspaltung Spitzbergens von Grönland. Viele Wissenschaftler sehen im Aufreißen der Erdkruste an dieser Stelle eine Ursache für die Vereisung der Nordhalbkugel, die – so die dominierende Meinung – vor drei bis fünf Millionen Jahren begonnen haben soll.

Eine Bohrung in diesem Gebiet brachte jedoch eine 160 Meter dicke Sedimentschicht zutage, die zweifelsfrei von Eisbergen stammt und deren unterste Lage ein Alter von immerhin 18 Millionen Jahren aufweist. Die Vereisung hat also bedeutend früher eingesetzt als in sämtlichen Lehrbüchern behauptet. Weitere Messungen zeigten, dass die heutige Framstraße zu eben dieser Zeit eine Tiefe erreicht hatte, die den ersten massiven Wasseraustausch zuließ. Die Folge war eine Abkühlung.

Zumindest für diese Region liegen jetzt exakte Daten über den Zusammenhang von Tektonik und Klima vor. Für viele Gebiete der Erde fehlen sie noch.

Gert Lange

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