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Tradition - aber mit Flexibilität. Die Briten legen bei ihren Universitäten auf Humboldt'sche Prinzipien wert. Aber neben den berühmten alten Unis sind inzwischen viele neue entstanden, mit eigenem Profil. Das Foto zeigt das Royal Naval College der Universität Greenwich.

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Mehr Wettbewerb unter britischen Unis: Großbritanniens Hochschulen müssen sich voneinander abheben

Zum Gipfeltreffen der Uni-Präsidenten weltweit in Hamburg: Wie Großbritanniens Wissenschaft noch besser werden kann. Die künftige Präsidentin der britischen Rektorenkonferenz skizziert die Lage.

Vom 10. bis 12. Juni kommen über 50 Hochschulpräsidenten aller Kontinente zu einem Gipfeltreffen nach Hamburg, um über die Herausforderungen für Hochschulen zu diskutieren. Das erste Hamburg Transnational University Leaders Council wird von der Hochschulrektorenkonferenz und der Körber-Stiftung veranstaltet. Zu den Teilnehmern gehört auch Julia Goodfellow, Vice-Chancellor der University of Kent, die für den Tagesspiegel die Lage in Großbritannien skizziert. (Tsp)

Universitäten sind Akteurinnen des Wandels: Sie verändern das Leben ihrer Studierenden und beeinflussen mit ihren Forschungserkenntnissen die Gesellschaft. Aber natürlich unterliegen die Hochschulen selbst auch ständig dem Wandel. Sie müssen sich veränderten Bedingungen anpassen, während sie die Werte verteidigen wollen, auf denen sie ruhen.

Der Einheit von Forschung und Lehre verpflichtet

Was heißt das für die Hochschulen in Großbritannien? Zunächst: Unser Hochschulwesen ist nicht anders als das in Deutschland dem Grundsatz der Humboldt’schen Einheit von Forschung und Lehre verpflichtet. Trotzdem gibt es eine Reihe von markanten Unterschieden. Wir organisieren Forschung und Lehre aufgrund unserer Tradition anders.

Der Hochschulsektor Großbritanniens ist äußerst vielfältig. Universities UK, das wichtigste Vertretungsorgan der Hochschulen, hat 133 Mitglieder, zu denen Oxford und Cambridge mit ihrer über 800-jährigen Geschichte ebenso zählen wie einige Institutionen, die noch keine zehn Jahre alt sind. Die Mehrheit der weit über zwei Millionen Studierenden in Großbritannien ist an diesen Hochschulen immatrikuliert.

Alle Hochschulen versuchen, sich abzuheben

Alle Institutionen stehen miteinander im Wettbewerb und sind bestrebt, sich von der Masse abzuheben, beispielsweise durch ihr Renommee auf einem bestimmten Forschungsgebiet. Birkbeck konzentriert sich beispielsweise hauptsächlich auf ältere und Teilzeitstudierende. The Open University ist führend im Bereich des Fernstudiums. Die Universität Kent legt ihren Schwerpunkt auf Europa. Die Universitäten in Schottland, Wales und Nordirland nehmen andere Änderungen vor. Die vorherige Regierung wollte den privaten Sektor stärker einbeziehen. Es entstand eine Reihe kleinerer Institutionen, die sich zumeist auf Weiterbildungen ohne Hochschulabschluss spezialisiert haben. In jedem Fall wird die Differenzierung auf verschiedensten Ebenen weiter zunehmen. Markenführung ist heute ein wichtiger Bestandteil der Strategie einer Hochschule. Wenn ich richtig sehe, wird auch in Deutschland über mehr Differenzierung diskutiert.

Nationale Netzwerke wie in Deutschland fehlen noch

Während sich ein Teil der deutschen Forschung in außeruniversitären Einrichtungen abspielt, laufen in Großbritannien die meisten Forschungsaktivitäten an den Hochschulen. Dass dies für uns kein Nachteil ist, zeigt etwa eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung: Demnach gehören 30 Prozent der britischen Forschungsvorhaben zu den weltweit führenden. Allerdings kann sich für uns ein Blick nach Deutschland gleichwohl lohnen. Denn wir haben zwar einige herausragende Institutionen wie zum Beispiel das John Innes Centre in Norwich, doch uns fehlen Deutschlands tragfähige nationale Netzwerke.

Die Studiengebühren waren umstritten

Die staatliche Forschungsförderung ist über viele Jahre hinweg relativ gleich geblieben und basiert auf einem dualen Fördersystem.  Zum einen wird qualitativ hochwertige Forschung auf der Grundlage von Peer Reviews im Abstand von fünf bis sechs Jahren gefördert. Es verwundert nicht, dass Universitäten, die in den globalen Rankings die vorderen Plätze belegen, besonders hohe Summen erhalten. Wie die Mittel intern verteilt werden, bleibt der Universität überlassen. Zum anderen werden durch Fachleute überprüfte Zuschussanträge bei den sieben Forschungsräten eingereicht. Alle Fachgebiete werden abdeckt. Die Anträge stammen normalerweise von Einzelpersonen oder Forschungsgruppen und werden für bestimmte Vorhaben gestellt. Beide Fördermittelarten sollen langfristige Forschungsvorhaben zu unterstützen.

Unternehmen finanzieren die Darlehen

Der größte Unterschied zwischen Deutschland und Großbritannien besteht in der Finanzierung von Studiengängen. Mehrere britische Regierungen haben entschieden, dass die Studierenden selbst für einen Teil der Kosten aufkommen sollten. Die Studiengebühren betragen in England (maximal) 9000 Britische Pfund pro Jahr (mit abweichenden Regelungen in Schottland, Wales und Nordirland), wobei kostenintensive Abschlüsse wie im Bereich der Naturwissenschaften und der Medizin zusätzlich staatlich bezuschusst werden. Ein Teil der Gebühren muss dafür verwendet werden, weniger bemittelten Studierenden den Zugang zur Hochschulbildung zu erleichtern. Die Darlehensfinanzierung erfolgt durch ein Unternehmen.

Nicht alle Absolventen werden ihre Schulden tilgen können

Die Einführung dieses Systems war umstritten. Einerseits tragen die Studierenden bei ihrem Abschluss eine beträchtliche Schuldenlast. Andererseits entspricht die progressive Rückzahlung letztendlich einer Absolventensteuer: Wer einen Hochschulabschluss vorweisen kann, verdient meist deutlich mehr. Er erwirbt ein „privates“ Gut.   Und weil wohl nicht alle Studierenden ihre Schulden werden tilgen können, ist ein nicht unerheblicher staatlicher Zuschuss systemimmanent. Seit die neuen Regelungen 2012 eingeführt wurden, hat die Zahl der Vollzeitstudierenden zugenommen – auch aus Familien ohne akademischen Bildungshintergrund.

Ein perfektes Modell gibt es nicht

Fazit: Hochschulen gehören zu den ältesten Institutionen der Welt. Für den Erfolg der britischen Forschung gibt es viele Gründe: ihre Offenheit, Vielfalt und Unabhängigkeit, ihre Betonung der Interdisziplinarität und zweifellos auch die englische Sprache. Auch unsere Zukunft wird jedoch vom Wandel geprägt sein: Der finanzielle und der Wettbewerbsdruck nehmen immer mehr zu. In Kürze wird in Großbritannien darum das neue Crick Biomedical Research Institute eröffnet, und die Regierung hat die Gründung eines Turing Institute für die Analyse von Big Data angekündigt.

Ein allgemein gültiges, perfektes Modell dafür, wie ein Land sein Hochschulwesen organisieren soll, gibt es nicht. Doch dauerhafte institutionelle Autonomie und Flexibilität sowie ein kontinuierliches Streben nach herausragender Bildung und ein Bewusstsein für die weitreichenden sozialen Auswirkungen der Forschung gehören meiner Ansicht nach zu den wichtigsten Grundsätzen.

Professor Dame Julia Goodfellow ist Vice-Chancellor der University of Kent, ab dem 1. August 2015 ist sie zudem Präsidentin der britischen Rektorenkonferenz Universities UK. Einen Beitrag über die Lage des japanischen Hochschulsystems lesen Sie hier.

Julia Goodfellow

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