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Erwischt. Die Bilderserie zeigt, wie ein Versuchstier das Futter greift. Es hatte nach einem Schlaganfall eine Immuntherapie sowie motorisches Training bekommen.

© Tabea Kraus

Nach einem Schlaganfall: Ratten lernen wieder Greifen

Nach einem Schlaganfall helfen Medikamente und motorisches Training – allerdings nicht gleichzeitig, sondern nacheinander. Offenbar kommt es auf das richtige Timing an.

Zunächst muss alles ganz schnell gehen. „Time is brain“, Zeit ist Gehirn, so lautet die Devise nach einem Schlaganfall. Ob es sich nun darum handelt, eine Blutung zu stillen, die durch ein geplatztes Gefäß entstanden ist, oder ob ein verstopftes Gefäß wieder durchlässig gemacht werden muss, um die Versorgung des Gehirns mit Sauerstoff sicherzustellen: Es kann Leben – und Lebensqualität – retten, schnell in eine spezialisierte Klinik zu kommen. Hat der Schlaganfall zu Störungen beim Sprechen oder in der Bewegung geführt, dann gilt allerdings eine andere Devise: Üben, üben, üben. Nach der Akutphase ist Reha angesagt. Die Hoffnung, dass auch beim Menschen das Gehirn dynamisch und plastisch genug ist, um sich vom Schlag eines Schlaganfalls zu erholen, ist in den letzten Jahren gewachsen.

Zudem mehrten sich aber auch die Hinweise darauf, dass die Neurorehabilitation wirksamer ist, wenn sie durch Substanzen unterstützt wird, die das Wachstum von Nervenfasern anregen. Zumindest im Tierversuch gelingt das schon. Dabei kommt es auf das richtige Timing an, berichtet ein Forscherteam um Anna Sophia Wahl von der Universität Zürich und der Universität Heidelberg im Fachblatt „Science“. Demnach erholen sich Ratten mit gelähmten Gliedmaßen am besten, wenn sie beides bekommen, Medikamente und motorisches Training – allerdings nicht gleichzeitig, sondern hintereinander.

Das Wachstum der Nervenfasern wird angeregt

Ein Teil der Versuchstiere, in deren Gehirn die Forscher gezielt Schlaganfälle durch Gefäßverschlüsse hervorgerufen hatten, bekam eine Immuntherapie mit einem Antikörper, der sich gegen den Eiweiß-Komplex „Nogo-A“ richtet. Die Nogo-Proteine hemmen das Wachstum von Nervenfasern und setzen damit dem Erfolg des Trainings nach einem Schlaganfall oft enge Grenzen. Dass es sinnvoll ist, sie zu blockieren, leuchtet also unmittelbar ein, und es wurde im Tierversuch auch mehrfach belegt. Studien zur Wirkung bei Patienten mit Multipler Sklerose, Amyotropher Lateralsklerose (ALS) und Verletzungen des Rückenmarks, die alle zu Lähmungen führen können, befinden sich allerdings erst in frühen Stadien.

Für die aktuelle Untersuchung trainierten alle Versuchstiere, mit ihren vom Schlaganfall gelähmten Vorderbeinen Futterpellets zu greifen und sich zum Maul zu führen. Diejenigen Ratten, die zusätzlich noch eine Immuntherapie erhielten, wurden in zwei Gruppen geteilt: Die eine begann gleichzeitig mit dem Greif-Training, die andere erst im Anschluss an die medikamentöse Therapie. Das erwies sich als deutlicher Vorteil. Zwar verhalf die Immuntherapie allen Tieren zu einem Aussprossen neuer Nervenfasern. Doch nur diejenigen, bei denen die Forscher mit dem Training gewartet hatten, erreichten nach der Übungsphase wieder die gewohnte Gewalt über die Motorik ihrer Vorderbeine. Sie erlangten 85 Prozent ihrer Greif-Fähigkeiten wieder, während es bei den Ratten, die sofort mit dem Üben begonnen hatten, nur 15 Prozent waren. Auch gelang es den Tieren besser, die wiedererworbenen Fertigkeiten auf andere Aufgaben zu übertragen, wenn es einen zeitlichen Abstand zwischen Medikamentengabe und Training gegeben hatte.

Entscheidend ist nicht die Menge der Nervenzellen, sondern ihre Vernetzung

Offensichtlich hilft allein nicht die schiere Menge neuer Nervenfasern, sondern die Art ihrer Vernetzung: Zusätzliche Versuche, in denen bestimmte Nervenfasern für kurze Zeit „ausgeschaltet“ wurden, legen jedenfalls nahe, dass für die wiedergewonnene Motorik besonders die Verbindungen wichtig sind, die sich von der gesunden Hirnhälfte ausgehend zum Rückenmark hin bilden. Es scheint ein enges Zeitfenster zu geben, in dem gezieltes Training solche erwünschten neuen Verbindungen stärkt, schreiben die Forscher. Beginnt das Training aber zu früh, dann sprießen die neuen Nervenfasern womöglich nach ungünstigen Mustern.

Auch wenn man die Ergebnisse der Grundlagenforschung nicht eins zu eins auf den Menschen übertragen kann, ist das eine Erkenntnis, die für die Neuroreha von Schlaganfall-Patienten extrem wichtig werden könnte: „Wir vermuten schon länger, dass das Timing hier eine wichtige Rolle spielt, auch weil das Zusammenspiel der beiden Hirnhälften nach einer Verletzung des Gehirns in Phasen verläuft“, sagt Christian Dohle, Chefarzt der Neurologie an der Median-Klinik in Berlin-Kladow.

Bisher gibt es kaum Medikamente, die die Reha unterstützen

Auch dass die Antikörper-Therapie im Tierversuch so gut angeschlagen hat, lässt bei ihm Hoffnung aufkommen. Denn durchschlagende Erfolge mit Medikamenten fehlen bisher. Das Arsenal der Mittel, die derzeit unterstützend während der Reha eingesetzt werden, ist nicht groß, es umfasst vor allem Antidepressiva und Parkinson-Medikamente.

Darüber hinaus belege die Studie, wie nützlich das Trainieren der motorischen Fertigkeiten nach einem Schlaganfall grundsätzlich ist, betont Dohle. Nicht nur Zeit ist Gehirn, sondern oft auch Fleiß und Beharrlichkeit.

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