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Nachruf auf Helga Grebing: Forscherin mit Prinzipien

Mit Helga Grebing starb eine Sozialdemokratin der ersten Stunde nach 1945.

Von Caroline Fetscher

Sie wusste, wovon sie sprach. Den zentralen Gegenstand ihrer Forschung kannte Helga Grebing schon aus ihrer Kindheit. Am 27. Februar 1930 kam sie in Berlin-Pankow zur Welt, der Vater war Maurerpolier und in der Familie gab es Sozialdemokraten wie Kommunisten, gestritten wurde über den Weg in eine bessere Welt. Dass Helga Grebing einmal das Standardwerk „Die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ schreiben sollte, ahnte jedoch keiner.

Mit fünf verlor sie den Vater durch einen Unfall und zog mit der Mutter an den Stadtrand, ins heutige Zeuthen. Das junge Mädchen besuchte die Handelsschule in Neukölln, arbeitete in einer Rüstungsfabrik und begann, erschüttert von Krieg und Nationalsozialismus, mit 17 Jahren ihr Studium: Geschichte, Germanistik, Philosophie und Staatsrecht an der Humboldt-Universität. Doch Indoktrination, „nicht mehr braun, jetzt rot“, das kam „nicht in Frage“, erklärte sie in einem großen Interview zu ihrem Leben und Denken (zum Interview hier). Im Januar 1948 trat Helga Grebing in die SPD ein, der sie ihr Leben lang treu blieb.

"Das war irre umständlich, spannend und risikoreich"

Als die DDR gegründet wurde, wechselte Grebing an die Freie Universität, wo sie 1952 promovierte. Sie lebte in der Sowjetischen Besatzungszone bei der Mutter und fuhr jeden Tag nach Berlin zur Freien Universität, „um nicht entdeckt zu werden, erst bis Friedrichstraße und dann runter nach Dahlem“, erzählte sie. „Das war irre umständlich, spannend und risikoreich.“ Es folgten einige Jahre als Lektorin, 1968 die Habilitation in Politikwissenschaft an der Frankfurter Goethe-Universität, 1972 der Ruf nach Göttingen, 1987 der nach Bochum, wo sie bis zu ihrer Emeritierung 1995 lehrte.

Stärkstes Anliegen ihres unbeirrbaren Wirkens war, dass sich der Faschismus nie wiederholen darf, daher ihr Eintreten für einen humanen Sozialismus, für Europa und für historische Aufklärung. An den Universitäten, erklärte die Biografin von Willy Brandt, wurde nach 1945 „zu viel Rücksicht genommen auf offene oder verkappte Nazis“. Und sie kritisierte „die Lebenslüge der DDR als antifaschistischem Staat“. In Forschung wie Lehre ging es ihr, prinzipientreu, um eine soziale Demokratie.

Gern hätte sie das Buch noch selber vorgestellt

Einer ihrer Weggefährten, Klaus-Jürgen Scherer, erzählt im „Vorwärts“, wie Helga Grebing ihm auf einer Tagung der „Hochschulinitiative Demokratischer Sozialismus“ eine handschriftliche Notiz zuschob. Er las: „Wenn wir so weiterdiskutieren wie jetzt, kommt der Sozialismus nie!“ Scherer assistierte Grebing in ihrem letzten Lebensjahr bei ihrer Publikation: „Streiten für eine Welt jenseits des Kapitalismus. Fritz Sternberg – Wissenschaftler, Vordenker, Sozialist“, die gerade im Schöningh-Verlag erschien. Sternberg (1895–1963), der undogmatische Denker links der Mitte, sollte gerade heute neu entdeckt werden. Gern hätte sie das Buch noch selber vorgestellt, Termine waren geplant. Helga Grebing starb am 25. September 2017 in Berlin.

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