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Zurück ins Leben. Ambulantes Training in einem Berliner Rehazentrum.

© Thilo Rückeis

Nachsorge: Zu Hause den Infarkt kurieren

Die ambulante Therapie eines Herzinfarktes am Wohnort ist häufig billiger und vorteilhafter als in einer weit entfernten Klinik.

„Anschlussheilbehandlung“ ist ein deutsches Wortungetüm. Was dahintersteckt, kennt man eher unter dem Kürzel „Reha“. Unter anderem machen in jedem Jahr in Deutschland 75 000 Herzpatienten ein solches Programm mit. Sie werden dort nicht allein von Ärzten, sondern auch von Ernährungsberatern, Bewegungstherapeuten, Ergotherapeuten und Psychologen betreut.

Nach einem Herzinfarkt und der Akutbehandlung in der Klinik ist eine solche Rehabilitation sinnvoll, wie eine Analyse zahlreicher Studien zeigt, die 2008 von der unabhängigen Cochrane-Organisation veröffentlicht wurde. Die Programme tragen dazu bei, dass Herzkranke sich wieder besser fühlen, wieder leistungsfähig werden – und nicht zuletzt in den folgenden Jahren weniger von einem tödlichen Herz-Kreislauf-Ereignis bedroht sind.

Plausibel ist das schon deshalb, weil Herz-Kreislauf-Leiden zu einem guten Teil auf das Konto von Rauchen, Bewegungsmangel und Überernährung gehen. Es lohnt sich also, den Lebensstil zu verändern. Eine andere Frage ist, ob Herzkranke eine solche Auszeit unbedingt in einer Klinik und fern von zu Hause nehmen müssen. In der Schweiz kommt es darüber immer häufiger zum Streit zwischen Kassen und Ärzten. Denn die wohnortnahe ambulante Lösung ist billiger. „Zankapfel Reha“ titelte vor kurzem die „Neue Zürcher Zeitung“.

In Deutschland sieht die Lage anders aus. Neun von zehn Anschlussheilbehandlungen – auf die jeder Versicherte einen Anspruch hat – finden hier stationär statt. „Das Kur- und Badewesen, das sich hierzulande im 19. Jahrhundert entwickelt hat, führte dazu, dass sich primär die wohnortferne stationäre Form der kardiologischen Rehabilitation etabliert hat, ganz anders als in anderen westeuropäischen Ländern und in Nordamerika“, sagt Gregor Sauer, Herzspezialist an der Rhein-Klinik in Duisburg.

106 rein stationären Herz-Reha-Kliniken stehen heute nur 21 ambulante Einrichtungen gegenüber, ganze acht bieten beide Möglichkeiten unter einem Dach. Die internationalen Studien gehen von deutlich anderen Bedingungen aus, sie beziehen sich fast ausschließlich auf ambulante Programme. „Obwohl die Rehabilitation für Herzkranke in Deutschland schon seit über 30 Jahren unter stationären Bedingungen erfolgt, gibt es keine soliden Studien, die die Wirksamkeit einer solchen Maßnahme belegen würden", kritisiert Sauer.

Dass die Ergebnisse der „Reha to go“ am Wohnort sich nicht verstecken müssen, zeigen inzwischen auch deutsche Untersuchungen. So wurde im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung Rheinland und der Rheinischen Krankenkassen die Entwicklung von 553 Patienten verfolgt, die nach einer Herzattacke an insgesamt sechs Einrichtungen eine ambulante Reha gemacht hatten. Zwei Jahre danach waren drei Viertel von ihnen wieder oder noch im Berufsleben.

Es liegt natürlich nahe, dass es die ohnehin gesünderen, etwas jüngeren Patienten sind, die ihre Reha von zu Hause aus angehen. Sauer vermutet allerdings auch, dass sie dann zusätzlich von der Nähe zu ihren eigenen vier Wänden und ihrem sozialen Umfeld profitieren: der Verzicht auf die Zigarette, das leichtere Essen, die Gelassenheit im Umgang mit Konflikten, all das muss sich gleich abends zu Hause auf die Probe stellen lassen.

„Ein Vorteil ist auch, dass man die ambulante Reha in Intervallen betreiben kann, viele Patienten kommen jeden zweiten oder dritten Tag, so können sie sich zwischendurch von dem anstrengenden Programm ausruhen, andere können eventuell auch beruflich schon wieder aktiv werden“, sagt Timo Ylinen, Herzspezialist am Berliner Auguste-Viktoria-Klinikum, wo eine der vier ambulanten Herz-Rehas in der Hauptstadt angesiedelt ist. Auch der Übergang in Phase drei, nach Akutklinik und Reha, fällt fließender aus, wenn schon in Phase zwei die Kontakte geknüpft werden, etwa zu einer Herzsportgruppe. Herzpatienten, die eine ambulante Reha absolviert haben, nehmen danach viel häufiger am Programm „Irena“ teil, der „intensivierten Rehabilitationsnachsorge“, die die Deutsche Rentenversicherung anbietet.

Und es gibt ein anderes, härteres Argument: Die Hürde ist oft niedriger, wenn es eine Möglichkeit in der Nähe gibt. „Viele Patienten nehmen das Angebot zur Reha heute gar nicht wahr, weil sie nach einem längeren Klinikaufenthalt nicht noch einmal länger von zu Hause weg sein wollen“, sagt Sauer. Befragungen ergaben, dass sogar unter den schwer Herzkranken jeder fünfte die ambulante Variante bevorzugen würde. Die Interessen der Kostenträger und die der Versicherten passen in diesen Fällen gut zusammen. Allerdings fehlen die wohnortnahen Angebote in weiten Teilen der Republik. Berlin und Nordrhein-Westfalen sind in dieser Beziehung privilegiert.

Reha am Tag, eigene Wohnung in der Nacht und am Wochenende: Das kommt andererseits für einige Menschen, die sich vom Infarkt oder der Herzoperation erholen sollen, überhaupt nicht infrage. Für beruflich gestresste Selbstständige oder Manager, die dort keine Ruhe finden würden, für Alleinlebende, die sich noch nicht selbst versorgen können, vor allem aber für schwer Kranke, denen der Transport nicht zugemutet werden kann.

Sauer plädiert für fließende Übergänge zwischen den Angeboten. Nach ein bis zwei Wochen in der Reha-Klinik könnte man dann das Programm von zu Hause aus in einer ambulanten Einrichtung fortsetzen. Und versuchen, möglichst viel davon beizubehalten, wenn danach der Alltag wieder Einzug hält.

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