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Familienbande. Das Bild zeigt Friedrich Weißler im Juli 1936 im Kreis seiner Familie im Pfarrhaus Plossig. Es handelt sich um die letzte von Weißler überlieferte Aufnahme, im Oktober des Jahres wurde er inhaftiert .

© Nachlass der Familie Weißler/Gailus

Nationalsozialismus: Als Jurist und Christ im Widerstand

Unbekannter Märtyrer: Friedrich Weißler kämpfte früh gegen die Nazis und wurde selbst von der Bekennenden Kirche fallen gelassen.

Innerhalb von fünf Tagen prügelten sie ihn zu Tode im KZ Sachsenhausen. Glaubwürdige Zeugen für die barbarische Tat gab es nicht. Aber der gerichtsmedizinische Befund spricht eine deutliche Sprache: Der Jurist Dr. Friedrich Weißler verstarb am 19. Februar 1937 an den Folgen schwerer Verletzungen an Kopf und Gehirn, Hals und Rachen, Brust, Rippen, Unterleib und Genitalien. Ein Suizid – wie SS-Wachmänner, Lagerarzt Dr. Karl Heinz Schröder und KZ-Kommandant Karl Koch behaupteten – schied nach präzisen staatsanwaltlichen Ermittlungen als Todesursache definitiv aus. Wer war Friedrich Weißler? Und warum erschlugen ihn SS-Wachmänner im Verlauf eines extremen Gewaltausbruchs?

Friedrich Weißler entstammte einer jüdischen Familie und wuchs in Halle (Saale) auf. Sein Vater Adolf Weißler war renommierter Anwalt und Notar und hatte um 1910 durch vielseitiges Publizieren juristischer Literatur reichsweites Renommee erlangt. Während des Weltkriegs erwies er sich als hochpatriotischer Zeitgenosse und litt schwer unter der deutschen Kriegsniederlage. Als im Juni 1919 der Versailler Vertrag unterzeichnet wurde, erschoss er sich. Er habe, so seine eigenen Worte, „die Schmach“ nicht ertragen können.

Sein evangelisch getaufter Sohn reüssierte als Richter und rechtswissenschaftlicher Publizist während der Weimarer Republik. Ende 1932 wurde er zum Landgerichtsdirektor am Landgericht Magdeburg berufen. Rotten von SA-Männern und Angehörigen des Stahlhelm-Bund der Frontsoldaten vertrieben ihn im Frühjahr 1933 als „Juden“ auf schmähliche Weise aus dem Richteramt. Weißlers Entlassungsurkunde aufgrund des „Berufsbeamtengesetzes“ trug die Unterschrift Roland Freislers, zu dieser Zeit Staatssekretär im preußischen Justizministerium.

Viele Studien- und Berufskollegen wandten sich ab

Fluchtartig verließen die Weißlers Magdeburg und fanden eine Wohnung in der Meiningenallee im Berliner Westend. Sämtliche Versuche des versierten Juristen, mit Eingaben an Behörden noch „rechtliches Gehör“ zu finden, blieben erfolglos. Auch viele Studien- und Berufskollegen wandten sich ab. Als er einer befreundeten Juristenfamilie in Hamburg im Oktober 1935 Geburtstagsgrüße übersandte und dabei seine Entlassung erwähnte, reagierte die Anwaltsgattin mit drastischen Worten: Dein Brief, so schrieb sie, „veranlasst mich ... zu einer ernsten und aufrichtigen Stellungnahme zu Deinen Klagen gegenüber meiner Rasse und unserer Regierung. Du klagst nur an und stellst Dich als Märtyrer hin. Wie wir geschädigt wurden unter der Vorherrschaft der Juden erwähnst und bedenkst Du nie.“

Was die evangelische Anwaltsgattin im Folgenden ausbreitete, war ein mit viel Inbrunst vertretenes nationalsozialistisches Weltbild. „Gebe Gott“, so schloss sie ihre religiös unterfütterten Bekenntnisse, „dass auch das jüdische Volk heimfindet. Jede Blume hat ihre eigene Art, von Gott gegeben. Bei einer Kreuzung geht das Ursprüngliche verloren, das, was Gott gab. Jedes Volk hat seine Art, von Gott gegeben. Das ist Religion, ewiges Gesetz. Wenn Du dieses Urgesetz nicht anerkennst, werden wir zwei uns nie mehr verstehen.“

"Wie ein Keulenschlag getroffen"

Dein Brief, antwortete Weißler der „lieben Else“, „hat mich wie ein Keulenschlag getroffen: Wer mir so schreiben kann, kennt mich entweder überhaupt nicht oder ist nicht mein Freund. Beides habe ich aber bisher von Dir annehmen zu dürfen geglaubt. Nur in dem Gedanken, dass Du wie so viele Andre der allgemeinen Psychose der Zeit erlegen bist und im Hinblick auf frühere Gemeinsamkeiten zwinge ich mich zu einer Antwort.“ Weißler wies allerhand Anwürfe gegen das Judentum im Allgemeinen und ihn sowie seine Familie zurück und betonte, dass er sich sein „Deutschtum“ von niemandem absprechen lasse. Zudem sei er bekennender Christ. Gemeinsam mit seiner aus dem Pfarrhaus stammenden Frau erziehe er seine zwei Söhne in christlichem Geist.

Als theologisch bewusster, kritischer Protestant lehnte Weißler die 1933 einsetzende völkische Selbstumwandlung der Kirche durch die von Hitler begeisterten, antisemitischen Deutschen Christen ab und schloss sich der Bekennenden Kirche (BK) an. Hier erhielt der berufslose Jurist eine Beschäftigung als Büroleiter bei der Vorläufigen Kirchenleitung. In diesem Kontext wirkte er an der Ausarbeitung einer streng vertraulichen Denkschrift an Hitler mit, die dem Reichskanzler Anfang Juni 1936 zugeleitet wurde. Durch Indiskretionen erschien der nichtöffentliche, politisch brisante Text in der Auslandspresse und löste zwei Wochen vor Beginn der Olympischen Spiele Unruhe und Empörung aus.

An eine Solidaritätsaktion dachte in der Kirchenopposition niemand

Am 7. Oktober 1936 verhaftete die Gestapo Weißler und lieferte ihn in das Polizeigefängnis am Alexanderplatz ein. Vernehmungen ergaben, dass er in Verbindung mit Werner Koch, einem Vikar Bonhoeffers, und dessen Freund Ernst Tillich kirchenpolitische Informationen an die Auslandspresse weitergeleitet hatte. Darunter befand sich auch eine Version der Denkschrift, die Tillich – gegen ausdrückliche Anordnung Weißlers – für 50 Reichsmark an das Nachrichtenbüro Reuter gab. Während der Vernehmungen betonte Weißler, dass dies keine strafbaren Handlungen gewesen seien. Er habe im Interesse der Ökumene gehandelt, denn es sei Wunsch der Christen im Ausland gewesen, mehr über die Vorgänge in Deutschland zu erfahren.

Seit Inhaftierung Weißlers im Oktober 1936 rückten die Spitzengremien der Kirchenopposition immer mehr von ihrem Büroleiter ab. Von Martin Niemöller sind harte Sätze überliefert: „Gegen Weißler muß sofort ein klarer Strich gezogen werden. Wir müssen sauber und klar handeln, das sind wir der BK schuldig.“ Die BK sprach von „Vertrauensbruch“, konnte selbst die Sache nicht aufklären und forderte die Gestapo auf, die Verursacher der Indiskretion zu ermitteln. An eine kirchliche Solidaritätsaktion für Weißler, Koch und Tillich, die im Wortsinn „unter die Räuber gefallen“ waren, dachte in der Kirchenopposition kaum jemand.

Am 13. Februar 1937 wurden die „Schutzhäftlinge“ Weißler, Koch und Tillich in das KZ Sachsenhausen überführt. Als „Nichtarier“ kam Weißler sofort in Einzelhaft in den Zellenbau, wo er frühmorgens am 19. Februar leblos aufgefunden wurde. Wie staatsanwaltliche Untersuchungen ergaben, war er Opfer eines aus wenigen SS-Wachmännern bestehenden Totschlägerkomplotts geworden.

Die Täter handelten im Affekt

Die Gelegenheit zu diesem Gewaltexzess ergab sich eher durch Zufall. Der Christ jüdischer Herkunft war zu diesem Zeitpunkt der einzige „Nichtarier“ im Lager. Wurde er erschlagen, weil er Angehöriger der BK war? Wohl eher nicht. Die Täter wussten nichts von seiner Biografie. Auch seine Verstrickung in die Denkschriften-Indiskretion spielte für sie keine Rolle. Maßgeblich für sie war allein der Umstand, dass Weißler in ihren Augen ein „Jude“ war. In mehrfacher Hinsicht handelte es sich bei dieser Tat um einen bösen Irrtum: Es waren Söhne von christlichen Eltern (die beiden 25-jährigen Haupttäter hießen mit Vornamen „Christian“ und „Kaspar“), die als fanatisch gläubige Nationalsozialisten einen Christen totschlugen, den sie – in ihrer ideologischen Verblendung – für einen „Juden“ hielten.

Einer der brutalen Peiniger machte in der späteren gerichtlichen Untersuchung geltend, sein Vater in Unterfranken sei angeblich von einem jüdischen Viehhändler um seine Ersparnisse gebracht worden. Die Täter, untere Chargen der SS-Totenkopfverbände, handelten im Affekt, als ihnen absolute Gewalt über den einzigen „Nichtarier“ im Lager zufiel.

Warum Friedrich Weißler so lange unbekannt blieb, bleibt rätselhaft

Märtyrer, Helden, Heilige – auch die kopflastigen Protestanten brauchen sie in ihrer Erinnerungskultur. Besonders für die Zeit des Nationalsozialismus, als geistige Mittäter und Komplizen der Nazis das kirchliche Erscheinungsbild maßgeblich prägten. Indessen – die Helden und Märtyrer sind rar. Alle Welt kennt Dietrich Bonhoeffer, viele haben von Niemöller gehört, aber wer kennt Friedrich Weißler?

Schon bald nach der Tat reklamierte die Kirchenopposition ihn als ersten Märtyrer der Bekennenden Kirche. Es bleibt bis auf den heutigen Tag rätselhaft, warum Weißler so lange Zeit so unbekannt geblieben ist. Er war einer der wenigen, der die engen, selbst gesetzten Grenzen der BK überschritt und als „Nichtarier“ das hohe persönliche Risiko des Widerstands auf sich nahm. Er bezahlte dies mit seinem Leben. Im Raum der Hauptstadtkirche ist bisher keine kirchliche Einrichtung bekannt, die seinen Namen trägt.

Von dem Historiker Manfred Gailus ist soeben das Buch erschienen: „Friedrich Weißler. Ein Jurist und bekennender Christ im Widerstand gegen Hitler“, Göttingen 2017. Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525301098. 30 Euro. - Am 19. Februar (Beginn 14 Uhr) findet in der Gedenkstätte Sachsenhausen eine Gedenkfeier mit Lesung zum 80. Todestag Friedrich Weißlers statt. Anmelden kann man sich noch unter seferens@stiftung-bg.de oder unter 03301-810920. – Eine Lesung von Manfred Gailus aus seinem Buch über Friedrich Weißler für Jugendliche und junge Erwachsene gibt es am Montag, dem 20. Februar 2017, um 18 Uhr, in der Schwarzkopf-Stiftung, Sophienstraße 28/29, 10178 Berlin. Anmeldung bis zum 16. Februar bei anmeldung@schwarzkopf-stiftung.de.

Manfred Gailus

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