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Aus einem anderen Land. Die Menschen, die nach dem Mauerfall den Westen erkundeten, erschienen als ein besonderes Völkchen. An diesem Bild hat sich nur wenig geändert.

© AFP

Negatives Bild: Medien stellen Ostdeutsche als Verlierer dar

Eine Studie mit dem Titel „Der Ossi“ untersucht, welches Bild in Zeitungsartikeln von den Menschen in Ostdeutschland gezeichnet wird: vor allem das von Verlierern.

Bevor der „Stern“-Reporter bei Rebecca Pates anrief, hatte er mit seinen Kollegen gewettet: „Die ist bestimmt ein Ossi.“ Das Thema von Pates’ Untersuchung war für ihn Beweis genug: das negative Bild der Ostdeutschen in den Medien. Für diese Forschung konnte sich in seinen Augen nur eine Ostdeutsche interessieren.

Es ist eine typische Reaktion auf den Band mit dem Titel „Der Ossi“ (Springer Vs Verlag, 24,95 Euro), den die Mitherausgeberin Pates unlängst in Potsdam vorgestellt hat. „Überregionale Medien verstehen unser Buch als Angriff“, sagte die Politikwissenschaftlerin von der Uni Leipzig bei einer Diskussion des Netzwerks Dritte Generation Ostdeutschland, das sich seit 2010 um eine positive Debatte über ostdeutsche Identität bemüht.

Der Anruf des Reporters beweist für Pates einmal mehr die These der von ihr geleiteten Untersuchung: Ostdeutsche werden besonders von überregionalen Medien als Verlierergruppe dargestellt, die sich ein knappes Vierteljahrhundert nach der Wende in der Bundesrepublik immer noch fremd und benachteiligt fühlt. Als „Jammerossi“ werden Menschen aus den neuen Bundesländern dann salopp bezeichnet. Wer wie Pates ein Buch herausgibt, das solche Zuschreibungen untersucht, wird schnell verdächtigt, selbst ein Jammerossi zu sein.

Pates (britischer Vater, sächsische Mutter) ist in Stuttgart aufgewachsen und hat in Kanada und Hongkong geforscht, bevor sie einen Ruf nach Leipzig erhielt. Auf das Thema brachten sie Studierende, die auch Aufsätze zum Band beigesteuert haben. Sie untersuchten Zeitungsartikel aus den Jahren 2003 bis 2007, vor allem aus überregionalen Medien wie „Spiegel“ und „Zeit“. Dabei stellten die Autoren fest, dass die negative Berichterstattung über Ostdeutsche dazu genutzt wird, gesellschaftliche Konflikte zu rechtfertigen.

Auf den zu Rechtsradikalität neigenden Brandenburger lässt sich etwa die Verantwortung für ein Problem abwälzen, das auch in Nordrhein-Westfalen zu finden ist. In der Debatte um die Hartz-IV-Gesetze im Jahr 2003 diente der „dumpfe und duldsame“ Niedriglohnarbeiter aus Sachsen gar als Vorbild. „Da hieß es, schaut auf die anpassungsfähigen Arbeitssuchenden im Osten, die bereit sind, für wenig Geld flexibel und mobil zu arbeiten“, sagt Pates. „Im Grunde wurden Ostdeutsche als ausbeutbar gelobt.“

Der abwertende Begriff „Ossi“ kursiert seit Anfang der 1990er Jahre in den Medien. Bis dahin gab es nur den „Wessi“, eine Bezeichnung von West-Berlinern für provinzielle Bürger der restlichen Bundesrepublik. Die Begriffe Wessi und Ossi ordnen dabei Menschen auch auf einer sozialen Skala ein. Die Verfasser stellen fest, dass häufig eine Entwicklungshilfe-Rhetorik benutzt wird. Auf der einen Seite steht der Westdeutsche, meist ein einzelner Mutiger, der sich in die neuen Länder vorwagt. Sein Ziel ist es, das Leben dort zu verbessern, wobei er nicht selten zunächst sein eigenes verbessert und in die Chefetage aufsteigt.

Auf der anderen Seite steht das Kollektiv der Ossis, die für die Zeitungen eine Art „indigene Bevölkerung aus einfachen Verhältnissen“ darstellen, wie es Pates ausdrückt. Die Sozialismus-Erfahrung scheint wie ein körperlicher Makel an ihnen zu haften. Immer wieder tauchen in den Medien simplifizierende Thesen wie die des Kriminologen Christian Pfeiffer auf, der 1999 behauptete, den Rechtsextremismus im Osten mit der „Töpfchen-Theorie“ erklären zu können: Durch ihre Kita-Erfahrungen neigten Ostdeutsche zur Unterordnung. Für Pates ist Fremdenfeindlichkeit eher eine Folge von Armut und ländlichem Lebensstil.

So häufig werden Ostdeutsche als eine Gruppe mit abweichender Mentalität bezeichnet, dass Pates von einer eigenen „Ethnie“ spricht. Zwar merkt Pates leicht spöttisch an, das Amtsgericht Stuttgart habe 2010 befunden, dass „Ossis keine Ethnie“ seien, weil sie sich in ihrer Sprache, Kleidung und Tradition nicht genügend von anderen Deutschen unterschieden. Im sozialwissenschaftlichen Sinn stellt Pates aber eine negative Klassifizierung von Ostdeutschen fest, die der von Ausländern ähnelt. Ihre Anpassungsschwierigkeiten würden mit denen von Einwanderern verglichen. Ossis sind für sie daher „symbolische“ Ausländer. Beispiele finden sich viele: Etwa, wenn die „Zeit“ 2003 titelt: „Ossis sind Türken“. Oder wenn die Formulierung auftaucht, Ostdeutsche seien „Fremde im eigenen Land“. Die Stigmatisierung hat politische Konsequenzen. Löhne und Renten etwa unterscheiden sich je nach Himmelsrichtung. Die sozialen Auswirkungen der Vorurteile will Pates in einem Folgeprojekt untersuchen.

Die Studie wird in ostdeutschen Medien begrüßt, weist aber Schwächen auf. Die Ausländer-Analogie wirkt effekthascherisch. Bei der Buchvorstellung wird der Tenor als „einseitig“ kritisiert. Eine Historikerin weist auf die positiv konnotierte politische Opposition hin. Nicht zuletzt ignorieren die Forscher, dass viele Vorurteile noch aus den 1990er Jahren stammen.

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