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Ansprechend. Gruppenarbeit in einem Gymnasium in Baden-Württemberg. Der Soziologe Hartmut Rosa beschreibt Bildungsprozesse als „Zum-Klingen-Bringen der Welt“. Haben sich Lehrer, Schüler und Stoff dagegen nichts zu sagen, wird die Schule zur „Entfremdungszone“.

© Marijan Murat/dpa

Neue Bücher von Hartmut Rosa: Es knistert im Klassenzimmer

Menschen als Resonanzwesen: Der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa erklärt, wie gute Schule und Bildung gelingen – und gutes Leben insgesamt.

Zeki Müller ist ein ungewöhnlicher Quereinsteiger. Doch der Bankräuber, der eigentlich nur auf der Suche nach der versteckten Beute in ein Schulgebäude gerät und dort als Hausmeister anheuert, wird schließlich auch ohne Abitur, Studium und Referendariat ein guter Lehrer. Am Ende gelingt es ihm, seine Klasse zu motivieren. Wie schafft er das? „Es ereignet sich ein – wie ich glaube – natürlicher menschlicher Vorgang, der vielleicht insgeheim eine Sehnsucht ist“, meint der Soziologe Hartmut Rosa von der Universität Jena.

Genau diese Sehnsucht könnte, neben dem attraktiven Hauptdarsteller, die Erklärung dafür sein, dass „Fack ju Göhte“ über sieben Millionen Zuschauer hatte: Dieser Film erzählt die Geschichte eines recht ungehobelten Lehrers und einer ziemlich bildungsfernen Schulklasse, die sich gegen alle Wahrscheinlichkeit füreinander zu interessieren beginnen.

Rosa sieht ihn deshalb – wie den in vieler Hinsicht anders gearteten Kultfilm „Der Club der toten Dichter“  – als Beispiel dafür, dass Lernen erst gelingt, wenn Resonanz möglich wird. Ob nun in der 10 b einer Münchner Gesamtschule, in der Jugendliche ohne Perspektive ihre Lehrerinnen zur Verzweiflung und bis in den Suizid treiben, oder im elitären Internat an der amerikanischen Ostküste.

Wann wird das Leben als gut empfunden?

Resonanz – diesem Begriff, der ursprünglich aus der Akustik kommt, die Beziehung zwischen schwingungsfähigen Körpern beschreibt und nun als musikalische Metapher dient, hat sich Rosa gleich mit zwei Neuerscheinungen verschrieben. Mit seinem gerade bei Suhrkamp erschienenen gewichtigen Werk „Resonanz – eine Soziologie der Weltbeziehung“ hat er sich das ambitionierte Ziel gesetzt, „über das gelingende Leben mehr zu sagen, als dass es sich gut anfühlt“. Seine Grundthese: Das Leben wird als gut empfunden, wenn es dem Menschen möglich wird, sich zu anderen Menschen und zu Dingen in Beziehung zu setzen – so dass sie ihm antworten.

Erschöpfung und „Burnout“ sind dagegen dadurch charakterisiert, dass diese „Resonanzachsen“ abhanden kommen, so dass die Welt als stumm oder sogar als ablehnend wahrgenommen wird. Im „Post-Wachstums-Kolleg“, das er an seiner Universität initiierte, sucht der Soziologe, der als „Entschleunigungs-Papst“ bekannt wurde, nach den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sich die „Qualität der Weltbeziehung“ verbessern lässt.

Mit der Hoffnung auf Resonanz, also in Rosas Worten „auf Anverwandlung und Antwort in einer schweigenden Welt“, kommen seiner Ansicht nach auch Kinder und Jugendliche in die Bildungseinrichtungen: „Menschen sind aus anthropologischer Sicht Resonanzwesen.“ Bildung sei vor allem deshalb erstrebenswert, weil sie die Beziehung zur Welt verändere.

Bildungsprozesse als "Zum-Klingen-Bringen" der Welt

Ob es nun um ein Gedicht, das Weltall oder die Bruchrechnung geht: Rosa beschreibt Bildungsprozesse recht poetisch als „Zum-Klingen-Bringen der Welt“. Da ist Wilhelm von Humboldt nicht fern, der die Beziehung des Ichs zur Welt als „Wechselwirkung seiner Empfänglichkeit und seiner Selbstthätigkeit“ beschrieb.

Wie entscheidend die (Resonanz-)Beziehung zwischen Lehrern und Schülern den Lernerfolg bestimmt, können aber moderne Bildungsforscher wie John Hattie („Lernen sichtbar machen“) auch empirisch und in deutlich nüchternerer Sprache belegen. Der Neuseeländer hat in einer umfassenden Studie, für die er 800 Metaanalysen englischsprachiger Studien auswertete, die Person der Lehrerin und des Lehrers als für den Lernerfolg entscheidenden Faktor ausgemacht.

Sehr modern wirkt Rosa zudem, wenn er über „Begabung“ spricht. Ihr entscheidendes Charakteristikum sei nicht einfach „Intelligenz“, sondern vielmehr Resonanzfähigkeit. Ein Kernproblem der Schulen sieht er darin, dass sie vor allem Kindern aus bildungsbürgerlichem Umfeld ein reichhaltiges Resonanzfeld bieten. Die wirkliche Benachteiligung der Kinder aus sogenannten benachteiligten Schichten bestehe also nach wie vor darin, dass die schulischen Angebote sie nicht wirklich erreichen, auf jeden Fall weniger Widerhall bei ihnen finden.

Die Schule als Entfremdungszone

Was dann droht, führt Rosa im Gespräch mit dem Pädagogen Wolfgang Endres in einem zweiten Buch mit dem schwungvollen Titel „Resonanzpädagogik. Wenn es im Klassenzimmer knistert“ (Beltz-Verlag 2016) weiter aus. Die Schule werde so oft zur „Entfremdungszone“, in der Lehrer, Schüler und Stoff sich nichts zu sagen haben, die Lerninhalte trocken, langweilig und uninteressant erscheinen, die Akteure keinen Draht zueinander finden, sich gegenseitig frustrieren und sich sogar als feindlich und zurückweisend wahrnehmen.

Der Soziologe macht klar: Wenn aus der Indifferenz Widerstand wird, wird die Schule zur Kampfzone, wird Gewalt möglicherweise zur einzigen Form, in der Jugendliche eigene Aktivitäten als wirksam empfinden können.

Eine weitgehend überzeugende Analyse. Die Bilder gelingenden Lehrens und Lernens fallen dagegen blasser aus, die Beispiele sind zu wenig konkret, um das „Knistern“ glaubhaft zu vermitteln. Kein Zweifel: Aushilfslehrer Zeki Müller (alias Elyas M'Barek) führt anfängliches Scheitern wie letztendliches Gelingen seines Lehrauftrags in leuchtenderen Farben vor.

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