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Neurobiologie: Die Macht eines einzelnen Neurons

Eine einzige Hirnzelle zu stimulieren kann ausreichen, um Verhalten zu ändern.

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass es ausreichen kann ein einzelnes Neuron zu stimulieren, um Verhalten und lernen zu beeinflussen. Die Ergebnisse, die in dieser Woche in Nature veröffentlicht wurden, stehen im Gegensatz zu der lange postulierten Annahme, dass viele Neurone - in der Größenordnung von mehreren tausend - nötig sind, um eine Verhaltensreaktion hervorzurufen.

Die Ergebnisse stützen die Hypothese, die besagt, dass wenige Neurone aktiv sein müssen, um eine Reaktion zu erzeugen. Diese Theorie wurde hitzig diskutiert, sagt Karel Svoboda, Neurobiologe am Janelia Farm Research Campus des Howard Hughes Medical Research Institute in Ashburn, Virginia, und einer der Autoren der Studie. "Es wird heftig darüber gestritten, ob der neuronale Code ‚spärlich' ist", sagt er.

Svoboda und seine Kollegen sowie eine unabhängige Forschergruppe unter der Leitung von Michael Brecht an der Humboldt Universität in Berlin gingen die Frage an, indem sie die Region im Gehirn von Nagern untersuchten, die sensorischen Input von den Tasthaaren erhält. Diese Region, Barrel Cortex genannt, besteht aus etwa zwei Millionen Neuronen. Jedes Tasthaar sendet Signale zu einer Gruppe von Zellen, die in diesem Hirnareal zusammengeballt sind.

Die Größe des Barrel Cortex widerspiegelt seine Bedeutung; Ratten können sich mit ihren Tasthaaren ebenso gut orientieren wie mit den Augen. Brecht sagt, als er Experimente mit blinden und sehenden Ratten durchführte, "musste man die Käfige mit den blinden beschriften, da sie sich anhand ihrer Tasthaare perfekt bewegten".

Lichtreize

Beide Teams nutzten Techniken, die es ihnen erlaubten, spezifische Neuronencluster zu stimulieren. Svoboda und seine Kollegen schufen transgene Mäuse, die ein auf Licht reagierendes Protein spezifisch in der Region des Barrel Cortex exprimierten, die mit Lernen assoziiert ist. Das Protein, das sich üblicherweise in Algen findet, reagiert auf blaues Licht, indem es Ionen die Zellmembranen passieren lässt, wodurch ein elektrischer Fluss entsteht.

Die Wissenschaftler setzten ein Glasfenster in den Schädel der Mäuse sowie eine winzige lichtemittierende Diode in ihren Kopf ein. Mit dieser Methode war es zwar nicht möglich einzelne Neurone gezielt auszumachen, die Forscher konnten jedoch die Intensität des Effekts auf die Zellmembran variieren, indem sie die Intensität des Licht herauf oder herab regelten.

Svoboda und sein Team belohnten die Mäuse mit einem Schluck Wasser, wenn sie eine von zwei Öffnungen in ihrem Käfig nach Stimulation ausgewählt hatten. Sie entdeckten, dass die Mäuse lernten, auf Lichtimpulse zu reagieren, die gerade einmal sechzig Neurone aktivierten (1).

Brechts Arbeitsgruppe wählte ein anders Vorgehen. Sie implantierten Elektroden tief in den Barrel Cortex von Ratten, so dass sie einzelne Neurone aktivieren konnten. Anschließend trainierten sie die Ratten darauf, durch mehrmaliges Zungenschlecken einen Lichtstrahl zu unterbrechen, wenn sie die neuronale Stimulation wahrnahmen.

Anhand dieser Methode entdeckten die Wissenschaftler, dass die Ratten durchschnittlich in 5 Prozent der Fälle auf die Stimulation eines einzelnen Neurons reagierten (2). Das Ausmaß der Reaktion hing jedoch stark davon ab, welches Neuron stimuliert wurde. Manche Neurone riefen in 50 Prozent der Fälle eine Reaktion hervor.

Die Ergebnisse könnten radikale Auswirkungen auf die Sicht auf das neuronale Netzwerk haben, sagt Dirk Feldmeyer, Neurobiologe am Forschungszentrum Jülich. "Es ändert die Sichtweise, dass der Cortex auf Stimulation mit massiver Aktivität reagiert."

Brecht und Svoboda haben jedoch bereits eingeräumt, dass ihre Ergebnisse die Debatte nicht beenden werden. "Diese Experimente zeigen, dass Tiere sehr sparsame Codes ‚lesen' können", sagt Svoboda. "Sie zeigen jedoch nicht, dass die Codierung des normalen Verhaltens ebenfalls sparsam erfolgt."

Um das zu belegen, wäre extrem sensitive bildgebende Technik nötig, um die neuronale Aktivität zu untersuchen. "Das ist bislang nicht in zufriedenstellender Weise möglich", erklärt Svoboda. "Es gibt technische Hürden zu überwinden, aber viele Leute arbeiten daran."

(1) Huber, D. et al. Nature 451, 61-64 (2007). (2) Houweling, A. R. & Brecht, M. Nature 451, 65-68 (2007)

Dieser Artikel wurde erstmals am 19.12.2007 bei news@nature.com veröffentlicht. doi: 10.1038/news.2007.392. Übersetzung: Sonja Hinte. © 2007, Macmillan Publishers Ltd

Heidi Ledford

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